# taz.de -- Gutshäuser in Mecklenburg Vorpommern: Anreize und neue Ansprüche | |
> Sie beleben als Hotels, Restaurants und Veranstaltungsorte die ländliche | |
> Struktur: Viele Herrenhäuser wurden wieder aufgebaut, liebevoll | |
> restauriert. | |
Bild: Gut Pohnstorf in der mecklenburgischen Schweiz | |
Alte Gemäuer, von Efeu überrankte Eisentore, verwunschene Gärten. Gebäude, | |
die aussehen wie mittelalterliche Burgen, klassizistische Güter oder ein | |
italienischer Stadtpalast. Auf jedem zehnten Quadratkilometer steht in | |
Mecklenburg-Vorpommern ein betagter Herrensitz. Viele auf plattem Land, | |
umgeben von unendlichen Roggen-, Mais- und gelb leuchtenden Rapsfeldern. | |
Einsame, schöne Alleen führen von Dorf zu Dorf, teilweise | |
kopfsteingepflastert. Immer wieder blitzt silbern hinter Bäumen ein | |
schilfverwachsener See auf, Kraniche und Schreiadler haben hier ihr Revier. | |
Mehr als 2.000 herrschaftliche Wohnsitze sind in Mecklenburg zu finden, | |
1.080 stehen unter Denkmalschutz. Ein Drittel davon wird touristisch | |
genutzt – vom 5-Sterne-Hotel bis zur Heuherberge –, ein Drittel hält sich | |
gerade so, ein Drittel verfällt. Jedes Gutsdorf hat seine eigene | |
Geschichte. Sie sind in unterschiedlichem Zustand, unterschiedlicher | |
Nutzung und gehören unterschiedlichen Eigentümern. | |
Es gibt touristisch funktionierende Perlen wie Ulrichshusen oder | |
Woldzegarten. Und es gibt eine breite Szene, die gerade wächst. Etliche | |
dieser meist denkmalgeschützten Bauten sind in den vergangenen Jahren mit | |
hohem Einsatz saniert worden. „Man trifft so viele schräge Vögel. Leute mit | |
beschränkten Möglichkeiten machen hier große Sachen. Man hat dabei große | |
Lasten zu tragen. Es ist durchaus zwiespältig. Die Häuser sind nicht | |
einfach, sie töten auch Beziehungen. Lange Winter, unendliche | |
Herausforderungen“, sagt Robert Uhde. | |
Er lebt mit seiner vierköpfigen Familie im Nebengebäude des Guts Vogelsang, | |
in Mamerow nahe Lalendorf. Eine aufregend steile Treppe führt vom Eingang | |
zum Stallgebäude hoch in den Wohnbereich. Unten im Pferdestall misten drei | |
Mädchen aus, striegeln die Pferde. „Sie kommen aus dem Dorf. Irgendjemand | |
ist immer hier“, sagt Robert Uhde. „So ein Gutshof ist kein | |
Einfamilienhaus.“ | |
## Eine große Entscheidung | |
Der dynamische, hochgewachsene Robert Uhde ist Mediziner. Doch seine wahre | |
Berufung ist die Organisation, das Vernetzen von Menschen und Projekten. | |
„Menschen zusammenbringen, das liegt mir“, sagt er. Heute hat er eine | |
Eventagentur in Rostock. Und er ist Gutshausbesitzer, Mitglied und zweiter | |
Vorsitzender des Schlösservereins der Guts- und Herrenhäuser. Bis zur | |
Vertreibung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war das Gut Vogelsang im | |
Besitz der Familie Hüniken. 1946 richtete die Rote Armee ein Versorgungsgut | |
ein. Danach wurde es volkseigenes Gut. Seit 1988 steht das Herrenhaus leer. | |
Nach wechselnden Vorbesitzern kauft es Uhde 2010. | |
Eine neogotische Fassade mit Türmen, Zinnen und Freitreppen, ein | |
romantischer Ort für Feste, Feiern, Partys. Gut Vogelsang ist für | |
Veranstaltungen konzipiert. „Dieses Haus ist in mich reingefallen“, erzählt | |
Uhde in der ausgebauten Wohnküche mit Holzofen und knarrenden Dielen, bei | |
Kaffee und selbst gekauftem Kuchen. „Ich wollte auch ein Stück Kulturerbe | |
erhalten. Wir haben unsere Wohnung in Rostock verkauft und sind hierher | |
gezogen. Das ist eine große Entscheidung.“ | |
Die mageren Jahre liegen hinter ihm. Seit 2018 sei die Saison voll, sagt | |
Uhde. Das sei auch Landentwicklung, in Wertsetzung der Region. „Da wo etwas | |
funktioniert, sind auch wieder Menschen.“ Die Realität sei aber auch, „dass | |
einer von der Bank herkommt und bewertet, und dann sagt er, alles sei | |
nichts wert. Null. Wir kämpfen mit diesem Thema, weil wir ja aus dem Nichts | |
schöpfen müssen.“ | |
Die Gutshäuser bringen Anreize, neue Idee, neue Ansprüche in die Region. | |
„Es geht auch um die Agrarthemen. Unternehmen in der Schweiz kaufen hier | |
riesige Landflächen. Wir wollen aufzeigen, dass die Vielfalt der ländlichen | |
Region über diese Gutshäuser erhalten werden kann. Mit den entsprechenden | |
Konzepten vor Ort.“ | |
## Das Dorf ist wichtig | |
Langsam sei auch die Politik aufmerksam geworden auf diese Strukturen. Man | |
schätzt, dass die Gutshäuser bei der Belebung der Region eine wichtige | |
Rolle spielen. Auch bei der Nachhaltigkeit. „Das mag jetzt verklärt | |
klingen: Aber in einem Gutshof ist nie etwas weggeworfen worden. Wenn | |
irgendwo ein Tier geschlachtet wurde, dann wurde alles verwendet. Dieses | |
Konzept, in sich geschlossen zu bleiben, nachhaltig zu bleiben, das | |
versuchen wir langsam zu entwickeln“, sagt Uhde. | |
Es ist schon etwas Besonderes, was Robert Uhde und andere hier aufbauen. | |
„Als ich 2010 hierher kam, hatten wir eine Weihnachtsfeier mit dem Dorf. | |
Man braucht sich gegenseitig. Wenn das Dorf nicht mitmacht, wird es | |
schwierig. Man bekommt so ein Haus nur gemeinsam wieder hin. Der | |
Elektriker, der Bauer, der Dachdecker, die Interaktion mit dem Dorf ist | |
notwendig“, weiß Uhde. | |
Auch bei Festen wie der Mittsommerremise, die jedes Jahr im Juni | |
stattfindet, spielt das Dorf als Gastgeber eine große Rolle. Die Remise ist | |
eine Tour zu verschiedenen Herrenhäusern, zwei Tage der offenen Tür mit | |
Verkostung vor Ort. „Wir versuchen auch ein europäisches Festival und ein | |
europäisches Netzwerk aufzubauen. Die Gutshäuser im Ostsee-Raum, in | |
Dänemark, Litauen und Polen, haben ähnliche Herausforderungen wie wir.“ | |
Das Gutsdorf mit dem städtischen Leben zu verknüpfen, als Erholungsraum, | |
als Teil der Kulturlandschaft, das ist die Idee des Machers Robert Uhde: | |
„Es geht auch um Dorfentwicklung, Infrastruktur, Anbindung an die Stadt und | |
Elektromobilität.“ | |
## Das Haus als neue Leidenschaft | |
Letzteres bringen die Besitzer von Gut Pohnstorf in die Region. Kamila und | |
Fabian Sösemann wohnen in Pohnstorf mit seinen 45 Einwohnern. Es liegt 20 | |
Kilometer von Gut Vogelsang entfernt. Vor zwei Jahren haben sie das Gut | |
übernommen, sind mit ihren zwei Kindern hierher gezogen, in die | |
Mecklenburgische Schweiz nahe dem Kummerower See. Fabian Sösemann pendelt | |
und arbeitet in seinem Hauptberuf weiter daran „die direkte und | |
intelligente Nutzung von erneuerbaren Energien zu ermöglichen“. Elektroauto | |
und Elektrofahrräder für die Gäste stehen schon vor dem Haus bereit. | |
Das Gut liegt auf halber Höhe des Hardtberges, der mit seinen 124 Metern | |
Höhe eine der höchsten Erhebungen Mecklenburgs ist. Das Licht flutet durch | |
die hohen Fenster des großen Salons, die weiten Ausblick auf die hügelige | |
Endmoränen-Landschaft bieten. Kunst hängt an der Wand. Großformatige Bilder | |
von Lothar Oertel, einem Maler, der sich in der Region niedergelassen hat. | |
„Wir haben ein Netzwerk mit Künstlern, Aktivisten und wir haben eine tolle | |
Tourismusbeauftragte von Kummerow. Auf dem Dorf sind Netzwerke super, super | |
wichtig“, sagt die sympathische, verbindliche Kamila Sösemann. | |
Sie hatte nie den Traum von einem Gutshaus. „Das Haus hat mich gefunden. | |
Ich traf zufällig die Vorbesitzerin Mi Spirandelli. Sie wollte verkaufen. | |
Wir schauten uns das Haus an. Es hat uns nicht mehr losgelassen.“ Das 1850 | |
erbaute Haus wurde in den letzten Jahren umfassend restauriert und verfügt | |
über sieben abgeschlossene, geschmackvoll eingerichtete Ferienwohnungen. Im | |
Erdgeschoss des 750 m² großen Hauses befinden sich ein festlicher Saal und | |
eine gut ausgestattete Gutshausküche. Ein idealer Ort für Feiern. „Wir | |
vermieten sehr oft das ganze Haus für Großveranstaltungen, Geburtstage, | |
Hochzeiten. Im Sommer auch Appartements an Familien. Wer hier schon alles | |
am Tisch gesessen hat! Das ist alles sehr spannend, bereichernd.“ | |
Mit aller Konsequenz hat das Paar Ja zu Pohnstorf und dem Leben in der | |
„vollen, teuren, engen Großstadt“ in Berlin-Friedenau Ade gesagt. Sie | |
wohnen nun mit ihren beiden Kindern in einem einfachen Haus gleich beim | |
Gut. „Das Gutshaus fordert einem viel ab, unterschiedliche Kompetenzen für | |
Handwerker, Gästebetreuung, Website, Marketing“, sagt Kamila Sösemann. Sie | |
hat ihren Job als politisch-kommunikative Leiterin vom Hauptstadtbüro des | |
Verbands der Deutschen Holzindustrie gekündigt. | |
## Eine Bauchentscheidung | |
Ihre Netzwerkerinnen-Fähigkeiten, ihre Kontakte kann sie hier gut nutzen. | |
„Ich habe ein Berliner Netzwerk. Ich will meine Generation, die Generation | |
X, ansprechen. Leute, zwischen 1965 und 1980 geboren, die sich fragen, wie | |
will ich leben, wie will ich arbeiten? Die nicht auf das dicke Auto | |
schielen, sich was gönnen. Work-Life-Balance. Familienzeit. Ich weiß, wie | |
die Leute ticken.“ | |
Großstädter, mitten im Leben, die eine Sehnsucht nach Freiheit, Natur, | |
Selbstverwirklichung, Raum spüren. „Ich habe mich im Schweinsgalopp für das | |
Haus entschieden“, sagt Kamila Sösemann. „Es war eine Bauchentscheidung. | |
Die Suche nach etwas, was mich berührt. Raus aus der städtischen | |
Komfortzone, sich selbst anders erfahren. Man darf manchmal nicht so viel | |
Angst haben. Angst lähmt.“ | |
Fühlt sie sich als Gutsherrin? „Nein, wir haben ein offenes Haus, gute | |
Beziehungen zum Dorf. Das ist wichtig.“ Die Leute hätten ein starke | |
Beziehung zum Gutshaus. Hier war der Konsum untergebracht, hier haben viele | |
Familien vorübergehend gewohnt.„Ich bin erstaunt über die Menschen, die | |
ganz unerwartet, offen und frei denken. Vielleicht ist es auch | |
Anfangseuphorie“, sagt sie. „Auf jeden Fall sehe ich es jetzt als meine | |
Aufgabe, das Haus mit Leben zu füllen.“ | |
1 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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