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# taz.de -- Auf den Spuren von Rosa Luxemburg: Das große Gelausche
> Ein Audiowalk schafft es, der vor hundert Jahren ermordeten Rosa
> Luxemburg zu gedenken und dabei die ritualisierten Erinnerungspfade zu
> verlassen.
Bild: Rosa Luxemburg auf der Spur: 75 Minuten dauert die Tour
Sie widersetzte sich ihren Gegnern sogar noch, als sie tot war. Mit Steinen
hatten die Mörder ihre Leiche beschwert, sie sollte im Landwehrkanal
untergehen und nicht mehr auftauchen, einfach verschwinden und mit ihr ihre
Gedanken und Ideen. Doch selbst der Leichnam bewegte sich noch auf dem
Grund des Kanals, brauchte für die kurze Strecke zwischen der
Lichtensteinbrücke, wo er am 15. Januar 1919 ins Wasser geworfen wurde, bis
zur Tiergartenschleuse 136 Tage.
Vor hundert Jahren, am 31. Mai 1919, wurde die Leiche Rosa Luxemburgs
schließlich geborgen. „Du liegst im großen Gelausche. Umbuscht, umflockt �…
Das notierte der Dichter Paul Celan, als er 1967 an der Stelle vorbeikam,
an dem die tote Rosa Luxemburg von ihren Mördern ins Wasser geworfen wurde.
Mehr als fünfzig Jahre später wird das Gedicht auf die Kopfhörer einer
Gruppe gespielt, die der Premiere eines Audiowalks folgen.
„Ich war, ich bin, ich werde sein. Rosa Luxemburg auf der Spur“ ist der
Titel des Spaziergangs entlang der letzten Stationen der Sozialdemokratin,
Sozialistin, Mitgründerin der KPD, aber auch liebevollen Briefeschreiberin,
die am 5. März 1871 geboren und nur 48 Jahre alt wurde. Für die 75-minütige
Tour haben die Schriftstellerinnen Ruth Johanna Benrath und Anna Opel
politische Schriften von Luxemburg, Briefe an ihren Partner Leo Jogiches,
aber auch eigene Gedichte zu einem ebenso anschaulichen wie
unaufdringlichen Gesamttext arrangiert, der tatsächlich einen Bogen vom
Damals ins Heute zu schlagen vermag.
Schon beim Beginn des Spaziergangs, in der Mannheimer Straße 37 in
Wilmersdorf, ist da dieser Moment des Besonderen. „Hallo? Sind Sie da? Mit
der U-Bahn gefahren. Hierher, in diese damals noch sehr unbewohnte Gegend?“
Die Stimme des weiblichen Guides nimmt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
sanft an die Hand, regt sie an zum gemeinsamen Schauen. „Sie sind auf Rosas
Spuren? Hier im zentralen Dorf der gut Gestellten, wo die Häuser still und
ruhig sind, parkende Autos, Hundehaufen, ein Recyclinghof. Auf der anderen
Straßenseite steht ‚Keep it real‘ in Rot aufs Mäuerchen gesprayt. ‚Bleib
dir treu.‘“
Dann wird die Aufmerksamkeit auf die Gedenktafel gelenkt, die vor dem Haus
in den Gehweg eingelassen ist. „Letzter Zufluchtsort der deutschen
Revolutionäre Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht“ ist darauf zu lesen. Die
Sprecherin greift das auf, sagt: „Revolutionäre, schön und gut, aber
deutsch?“ Denn Rosa Luxemburg ist im polnischen Zamość geboren, das damals
noch zum russischen Zarenreich gehörte, und auch ihre zärtlichen Briefe an
Leo Jogiches schrieb sie auf Polnisch.
Als deutsche Revolutionärin hätte sie sich selbst wohl nicht bezeichnet,
sie war schließlich Internationalistin. Ihre Sache war, wenn schon deutsch,
dann die Revolution in Deutschland. Aber auch ein ganz normales Leben zu
führen war ihre Sache, einen geregelten Alltag wie der, den sie erlebte,
als sie im Mai 1898 frisch in Berlin ankam. „Morgens wache ich vor acht
auf, mach einen Sprung ins Vorzimmer, schnappe mir die Zeitung und Briefe,
und krieche wieder unter das Federbett.“ 27 Jahre alt war Luxemburg da,
jeden Tag geht sie eine Stunde im Tiergarten spazieren. Sie schreibt, setzt
sich mit dem Revisionismus Kautskys auseinander, Jahre später wird sie ihr
Wort auch gegen die eigene Partei, die SPD, richten und gegen den Krieg
anschreiben.
Drei Jahre Haft bringt ihr das ein, Jahre, in denen sie ihren Optimismus
nicht verliert, wie ein Brief an die Frau von Karl Liebknecht verdeutlicht:
„Gestern dachte ich also: Wie merkwürdig das ist, dass ich ständig in einem
ständigen Rausch lebe – ohne jeden besonderen Grund.“ Als dieser Brief auf
den Kopfhörer gelesen wird, ein Brief, in dem Luxemburg schildert, wie ein
Gefängniswärter einen Büffel quält, der einen Wagen ziehen soll, ist die
Gruppe – nach einer kurzen U-Bahn-Fahrt vom Fehrbelliner zum
Wittenbergplatz – bereits in der Budapester Straße angekommen. Dort befand
sich das Hotel Eden, in das Luxemburg und Liebknecht nach ihrer Festnahme
in der Mannheimer Straße gebracht wurden. „Wir wurden schon erwartet“,
erinnerte sich Wilhelm Pieck, der erste und einzige Staatspräsident der
DDR, der damals auch verhaftet worden war, „denn vor dem Eingang befanden
sich einige Offiziere und Soldaten, die uns mit großem Gejohle und
Geschimpfe empfingen und die sich besonders gegenüber Rosa Luxemburg in der
gemeinsten Weise benahmen.“ Waldemar Papst, ein Offizier, hatte die beiden
verhaften lassen, noch im Hotel schlug ein Untergebener Luxemburg mit dem
Gewehrkolben an den Kopf, im Auto wurde die Bewusstlose dann erschossen.
Auch Papst, den Auftraggeber der Morde, lassen die Autorinnen Benrath und
Opel zu Wort kommen: „Ich nahm damals an der KPD-Versammlung teil, auf der
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sprachen. Ich gewann den Eindruck, die
beiden seien die geistigen Führer der Revolution, und ich beschloss, sie
umbringen zu lassen.“
Auch noch 1962, als Papst diese Zeilen schrieb, kein Wort von Reue: „Ich
vertrete auch weiterhin die Auffassung, dass dieser Entschluss auch vom
moralisch-theologischen Gesichtspunkt durchaus vertretbar ist.“
Verurteilt wurde denn auch nicht Papst, sondern der Untergebene, der Rosa
Luxemburg bewusstlos geschlagen hatte. Das Besondere an Benraths und Opels
Führung sind nicht in erster Linie die zeitgenössischen Textpassagen als
vielmehr ihr Arrangement und die Ansprache an die Zuhörerinnen und Zuhörer.
Da wird nicht interpretiert und gezeigefingert, sondern vor allem zum
Nachdenken angeregt.
Das gilt auch für ein Gedicht von Ruth Johanna Benrath mit dem Titel
„Monkey Bar, City West“: „… ihr Körper nur mit Mühe identifizierbar,
angeschwemmt im Mai, die entsorgte Revolution, nicht mehr kenntlich, was
wissen die jungen Leute davon mit ihren teuren Getränken …“ Und eben kurz
bevor dieses Gedicht in kapitalismuskritischen Kitsch umzuschlagen droht,
offenbart die Autorin die Unsicherheit darüber, mit welcher Sprache man
heute Rosa Luxemburg und ihren Ideen gerecht werden könnte: „Hundert Jahre
nach deinem Tod schwimmen wir im Geld, klirrende Eiswürfel in den
Cocktailgläsern des Kapitalismus, dieses Wort, das mir immer wieder
entschlüpft, wie ein glitschiger Aal, den du zerlegt hast. Rosa, erklär ihn
mir, seine Innereien, erklär uns die Welt, damit wir uns selbst verstehen
…“ So ist die Stärke des Audiowalks vor allem die, eine zeitgemäße Form …
die Erinnerung an Rosa Luxemburg gefunden und ritualisierte Pfade des
Gedenkens verlassen zu haben.
Und am Ende ist das Motto des Spaziergangs keine Phrase mehr: Ich war, ich
bin, ich werde sein.
30 May 2019
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Rosa Luxemburg
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