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# taz.de -- Regisseur zu Luxemburg und Liebknecht: „Sehr interessante Dinge e…
> Der Regisseur und Buchautor Klaus Gietinger sieht kleine Fortschritte bei
> der Diskussion über die Verantwortung für die Morde an Luxemburg und
> Liebknecht.
Bild: Erinnerung an die Ermordung Rosa Luxemburgs am Berliner Landwehrkanal
taz: Herr Gietinger, Sie beschäftigen sich seit den achtziger Jahren mit
den Morden an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Wie sind Sie zu diesem
Thema gekommen?
Klaus Gietinger: Ich habe 1989 das 1969 veröffentlichte Fernsehspiel des
SWR-Redakteurs Dieter Ertel über die Morde gesehen und mit ihm Kontakt
aufgenommen, weil ich dachte: Da ist ja noch vieles unklar, da müsste man
mal einen Film drüber machen. Das hat aber leider nicht geklappt, Ertel
ging in Pension und ich habe das nicht finanziert gekriegt. Dann habe ich
einfach weiterrecherchiert und bin an den Nachlass von Waldemar Pabst
gekommen, den sonst noch niemand hatte. Dort habe ich sehr interessante
Dinge entdeckt.
Der Offizier Waldemar Pabst veranlasste 1919 die Erschießung Luxemburgs und
Liebknechts. Nachdem er jahrzehntelang geschwiegen hatte, prahlte er 1962
öffentlich mit dieser Tatsache. Hatte er nichts zu befürchten?
Er hat damals dieses sagenumwobene Spiegel-Interview gegeben mit dem Satz:
„Ich ließ sie richten.“ Danach gab es Strafanzeigen gegen ihn, aber da ist
nichts passiert. Im Gegenteil: Kurz vorher gab es eine Presseerklärung der
Bundesregierung, in der die Morde als „standrechtliche Erschießung“
bezeichnet wurden. Dazu muss man wissen: Pabst hatte gute Kontakte zum
damaligen Regierungssprecher, Felix von Eckardt – ein alter Nazi, der
Drehbücher für NS-Propagandafilme geschrieben hatte. Der hat damals diese
Erklärung herausgegeben, die übrigens nie widerrufen wurde.
Standrecht bezeichnet eine militärische Ausnahmegerichtsbarkeit. Was
bedeutete es, dass die Morde als „standrechtliche Erschießung“ bezeichnet
wurden?
Das ist ein Topos, der immer wieder angewandt wird in solchen Fällen und
fast immer völliger Quatsch ist. So auch hier: Damals gab es ja gar keinen
Belagerungszustand, das heißt, man hätte gar kein Standrecht anwenden
dürfen, und selbst wenn, hätte es auch da eine Verhandlung geben müssen.
Und außerdem: Weswegen sollte man die denn standrechtlich erschießen
lassen? Rosa Luxemburg hat Artikel geschrieben in der Roten Fahne, sie hat
keine Waffe in die Hand genommen. Auch Liebknecht hat keine Waffe in die
Hand genommen, der hat zwar mitgemacht bei den Aufständen, aber das allein
hätte niemals für ein solches Urteil gereicht.
Die Bundesregierung hat damals mit dieser Bezeichnung versucht, den Morden
nachträglich Legalität zuzuschreiben?
So ist es. Ich habe übrigens auch Dokumente des Ministeriums für
Staatssicherheit gefunden, aus denen hervorgeht, dass auch die Stasi auf
das Spiegel-Interview aufmerksam wurde. Die dachten damals eigentlich,
Pabst sei schon tot. Damals hat der Generalstaatsanwalt der DDR einen
Haftbefehl gegen Pabst erlassen und den an den damaligen Justizminister der
BRD geschickt, aber da ist nie darauf geantwortet worden. Das Verrückte ist
ja: Mord verjährt ja nicht und ist auch damals nicht verjährt. Man hätte
Pabst vor Gericht bringen können. Aber es hat sich in der gesamten
Bundesrepublik kein Staatsanwalt gefunden, der das gemacht hätte.
Wie sind Sie an den Nachlass von Pabst gekommen?
Eigentlich durch Zufall: Der lag im Militärarchiv Freiburg und hatte eine
Sperrfrist, die 1989, als ich mich darum bemüht habe, noch lange nicht
verstrichen war. Aber ich habe ihn einfach immer wieder bestellt und
irgendwann haben sie ihn mir dann hingelegt (lacht).
Was waren die zentralen Erkenntnisse, zu denen Sie dann gekommen sind?
Einmal, dass es tatsächlich der junge Offizier Herrmann Souchon gewesen
war, der damals Rosa Luxemburg erschossen hat, und nicht Kurt Vogel, wie
man jahrzehntelang geglaubt hatte. Vogel wiederum war ja damals von Wilhelm
Canaris, einem der Richter im Prozess 1919, der übrigens später Adolf
Hitlers Abwehrchef wurde, die Flucht ermöglicht worden. Gegen Dieter Ertel
hatte Souchon noch geklagt, weil der das in seinem Fernsehspiel so
darstellen wollte. Die zweite Erkenntnis betraf die Verstrickung der SPD.
Inwiefern?
Ich konnte nachweisen, dass Pabst damals mit dem SPD-Oberbefehlshaber
Gustav Noske gesprochen hatte und dass der die Erschießung der beiden
abgenickt hatte. Ich habe auch mit Otto Kranzbühler gesprochen, dem Anwalt
Souchons, der damals noch lebte und der Verteidiger in den Nürnberger
Prozessen gewesen war, ein beeindruckender Mann. Der hat mir bestätigt,
dass Pabst auch ihm – sozusagen „unter Offizieren“ – von dieser Absprac…
mit Noske erzählt hatte.
Hat sich denn diese Sicht, dass die damalige SPD-Führung Verantwortung für
die Morde trug, mittlerweile durchgesetzt?
Das ist unterschiedlich. Andrea Nahles hat im November in einer Rede
gesagt, dass Noske wohl seine Finger im Spiel gehabt habe bei der
Ermordung Luxemburgs und Liebknechts. Das werte ich als kleinen
Fortschritt. Gleichzeitig erlebe ich derzeit aber auch einen Rollback, was
die Lesart dieser Ereignisse angeht.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel hat der Journalist Arno Widmann, der ja die taz mitgegründet
hat, am 9. November folgendes geschrieben: „So rabiat die junge Republik –
auch unter Zuhilfenahme der alten Apparate – gegen alles, was links von ihr
stand, vorging, so vernünftig war das auch.“ Das ist meines Erachtens eine
Rechtfertigung nicht nur dieser Morde, sondern auch des Terrors. Noske hat
ja später mit Pabst auch noch diesen Schießbefehl erlassen, wo Gefangene
erschossen wurden, wo 1.200 Menschen allein in Berlin in wenigen Tagen
umkamen. Über diese Dinge wird kaum mehr gesprochen. Das ist verrückt.
Und die SPD?
Da wird oft versucht zu trennen: Noske war böse, aber der Rest war gut.
Insbesondere Friedrich Ebert wird hochgehalten. Aber Noske wurde gestützt
von der Führung der SPD, auch von Ebert – die haben alles abgesegnet, was
der gemacht hat. Und die Basis hat zwar immer verlangt: Verurteilt die
Mörder, macht einen vernünftigen Prozess, die haben schon aufbegehrt. Aber
am Ende haben sie sich doch immer damit abgefunden, dass die Parteiführung
das einfach so von oben bestimmt hat.
12 Jan 2019
## AUTOREN
Malene Gürgen
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