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# taz.de -- EU-BürgerInnen im Ausland: Europawahlen in der Schweiz
> Fast ein Viertel der schweizerischen Wohnbevölkerung hat den Pass eines
> EU-Landes. Manchen wird das Wählen nicht leicht gemacht.
Bild: Sie ist zwar nicht in der EU, aber auch die Schweiz wählt mit bei der Eu…
Genf taz | In welchem europäischen Land können die wahlberechtigten
EinwohnerInnen nicht nur an einem bestimmten Tag ihre Stimme für das
EU-Parlament abgeben, sondern an allen vier Tagen vom gestrigen Donnerstag
bis einschließlich Sonntag? In der Schweiz. Sie gehört zwar nicht zur EU.
Doch leben in der Schweiz zwei Millionen Menschen, die den Pass eines
EU-Landes haben. Das ist fast ein Viertel der schweizerischen
Wohnbevölkerung von 8,4 Millionen.
Von den in der Schweiz lebenden Menschen mit EU-Pass sind 1,4 Millionen
StaatsbürgerInnen aus Deutschland und den anderen 27 Mitgliedsländern der
EU. Hinzu kommen, das fand die EU-Delegation in der Hauptstadt Bern bei den
Botschaften der EU-Mitglieder in einer Umfrage heraus, [1][mindestens
600.000 DoppelbürgerInnen], das sind SchweizerInnen, die auch den Pass
eines EU-Mitgliedsstaates besitzen. Von diesen waren zum für diese EU-Wahl
relevanten Stichtag im April 1,7 Millionen im wahlberechtigten Alter. Sie
können mitbestimmen über die künftige Zusammensetzung des EU-Parlaments.
Das bedeutet, dass in der Schweiz mehr potenzielle Wähler als in
EU-Mitgliedsstaaten wie Malta, Zypern oder Estland leben. Allerdings haben
die Regierungen der EU-Länder sehr unterschiedliche Voraussetzungen und
Bedingungen verfügt für die Teilnahme ihrer in der Schweiz lebenden
BürgerInnen an der Wahl.
Am einfachsten ist es für die PortugiesInnen. Sie waren neben den
ItalienerInnen die größte Gruppe unter den ausländischen MigrantInnen, die
ab Ende der 50er-Jahre als sogenannte „SaisonarbeiterInnen“ in die Schweiz
kamen. Genf ist mit rund 42.000 portugiesischstämmigen EinwohnerInnen die
größte portugiesische Stadt außerhalb des Mutterlandes.
Alle portugiesischen StaatsbürgerInnen mit gültigem Ausweisdokument sind
automatisch für die EU-Wahl registriert. Gewählt werden kann dann unter
Vorlage des Ausweises entweder auf Antrag per Briefwahl oder direkt in der
Botschaft Portugals in Bern und in den Generalkonsulaten in Genf und
Zürich.
Den Deutschen in der Schweiz hingegen wird die Teilnahme an dieser EU-Wahl
von der Bundesregierung extrem erschwert oder gar völlig verwehrt. Sie
dürfen nur per Briefwahl abstimmen und mussten auch das erst einmal
förmlich beantragen. Das war nicht möglich bei den Botschaften und
Konsulaten in Bern, Genf, Zürich und Lugano, sondern nur per Brief. Dieser
musste spätestens am 5. Mai in derjenigen deutschen Gemeinde eingehen, in
der sie zuletzt drei Monate am Stück gewohnt hatten.
Der Brief muss die nötigen unterschriebenen Dokumente enthalten, die man
auf der Webseite der Bundesregierung downloaden oder auf einer der vier
Auslandsvertretungen in der Schweiz abholen musste.
## Deutschland steht alleine da
Liegt dieser dreimonatige Aufenthalt in Deutschland allerdings länger als
25 Jahre zurück, oder fand er vor dem 14. Geburtstag der wahlwilligen
Deutschen statt, muss sie nachweisen, dass sie „persönlich und unmittelbar
Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen“ Deutschlands erworben hat.
So steht es auf der Website der Deutschen Botschaft in Bern. Dort wird auch
gleich klar gemacht: Zeitung lesen allein reicht für die erforderte
„Vertrautheit“ nicht.
Mit dieser Regelung, die von der Bundesregierung auch schon für
Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen verfügt wurde, steht Deutschland
unter den 28 EU-Mitgliedern alleine da. Die Regelung läuft auf die
Einschränkung oder gar Aberkennung des aktiven Wahlrechts von im Ausland
lebenden StaatsbürgerInnen hinaus.
Betroffen sind zahlreiche Deutsche, die nach jahrzehntelanger Tätigkeit bei
UNO-Organisationen in Genf auch nach ihrer Pensionierung in der Schweiz
geblieben sind. Sie beklagen diese Regel als verfassungswidrig. Eine
Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht steht noch aus.
Der Autor dieser Zeilen, seit 31 Jahren ununterbrochen in der Schweiz
wohnhaft und in Genf als UNO-Korrespondent der taz tätig, hat vor sieben
Jahren wieder einen Wohnsitz bei den Eltern in Köln angemeldet, um weiter
an Wahlen teilnehmen zu können.
Auch ItalienerInnen in der Schweiz wird das Wählen nicht leicht gemacht.
Sie müssen zum Teil sehr weite Reisen unternehmen, um ihr Wahlrecht
auszuüben. Sie dürfen ihre Stimme ausschließlich an dem Ort in Italien
abgeben, an dem sie im Wählerverzeichnis eingetragen sind, also am letzten
Wohnsitz vor Umzug in die Schweiz.
Für Salvatore, Besitzer meiner Lieblingspizzeria in Genf, liegt dieser Ort
im Süden Sardiniens. Da Salvatore aus ökologischer Überzeugung innerhalb
Europas nicht fliegt, ist er bereits am Dienstag mit dem Zug aufgebrochen
und kommt erste nächste Woche zurück.
## Rund 451.000 SchweizerInnen leben in der EU
Salvatore will mit seiner Stimme „dazu beitragen dass die italienischen
Rechtspopulisten nicht als Sieger aus diesen Wahlen hervorgehen“. Ein Sieg
oder zumindest große Stimmengewinne von Lega Nord, AfD, Rassemblement
National (ehemals Front National), Fidesz und anderen rechtspopulistischen
Parteien wäre aber Vorbedingung dafür, dass sich die Hoffnungen erfüllen,
die die Schweizer Regierung mit Blick auf diese EU-Wahl hegt.
Denn in Bern wünscht man sich einen neuen Präsidenten der EU-Kommission,
der der Schweiz mehr entgegen kommt als [2][Amtsinhaber Jean-Claude
Juncker]. Das ist allerdings eine Personalisierung, die an den Fakten
vorbeigeht, und ein Wunschtraum, der sich kaum erfüllen dürfte: Die
bisherige Kommission, der neben Juncker 13 weitere Mitglieder der
Europäischen Volkspartei angehören, acht Sozialdemokraten/Sozialisten, fünf
Liberale und ein Unabhängiger, war sich in allen die Schweiz betreffenden
Angelegenheiten völlig einig.
Das Ansinnen der Berner Regierung, nach dem Ja des Schweizer Volkes zur
„Initiative gegen Masseneinwanderung“, die sich gegen ZuzüglerInnen aus
Deutschland und anderen EU-Staaten richtete, das bilaterale Abkommen
zwischen Schweiz und EU zur gegenseitigen Personenfreizügigkeit
einzuschränken, wird von der Kommission geschlossen abgelehnt.
Auch die Drohung aus Brüssel, dass dann auch die anderen sechs bilateralen
Verträge mit der Schweiz zu handels-, wirtschafts- und verkehrspolitischen
und sicherheitspolitischen Fragen hinfällig würden, wird von der Kommission
gemeinsam getragen.
An dieser Haltung der EU-Kommission würde sich künftig, wenn überhaupt, nur
etwas ändern,wenn die diversen rechtspopulistischen Parteien aus den
EU-Staaten so große Stimmengewinne erzielen, dass sie – eine Einigung
untereinander vorausgesetzt – gemeinsam im Parlament künftig die
drittstärkste Fraktion hinter EVP und Sozialdemokraten bilden und dann auch
Posten in der Kommission besetzen könnten.
Das Interesse in der Schweizer Politik und den Medien an dieser EU-Wahl ist
auch deshalb so groß, weil rund 451.000 Schweizerinnen und Schweizer in der
EU leben. Sie sind von Entscheiden des Europäischen Parlamentes direkt
betroffen. Rund 345.000 dieser AuslandsschweizerInnen besitzen auch die
Staatsbürgerschaft eines EU-Landes. Zusammen mit den in der Schweiz
lebenden DoppelstaatsbürgerInnen haben fast eine Million SchweizerInnen
auch das EU-Bürgerrecht und grundsätzlich das europäische Wahlrecht.
26 May 2019
## LINKS
[1] /Verlust-deutscher-Staatsangehoerigkeit/!5574725
[2] /Bilanz-ueber-Junckers-Rolle-in-der-EU/!5591833
## AUTOREN
Andreas Zumach
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