# taz.de -- Die Hörbuchkolumne: Jeder Satz ist eine Tat | |
> Mit „Briefe von Karlheinz“ gibt es die Hasspost an „Spiegel“-Autor | |
> Hasnain Kazim und seine Antworten als akustische Hate-Poetry. Starker | |
> Tobak! | |
Bild: Hart im Nehmen, analytisch im Geben: Hasnain Kazim | |
Wenn es hart auf hart kommt, steht ihr dann wirklich hinter uns?“ Eine | |
Frage, auf die es nur eine Antwort geben dürfte. Fürchterlicher und zu | |
befürchtender Weise würde sie aber nicht jede*r mit einem deutlichen Ja | |
beantworten. Hasnain Kazim, im niedersächsischen Kaff Hollern-Twielenfleth | |
aufgewachsener Spiegel-Autor mit indisch-pakistanischem Hintergrund, stellt | |
diese Frage in „Post von Karlheinz. Wütende Mails von richtigen Deutschen – | |
und was ich ihnen antworte“. Wie andere Journalisten mit nicht deutsch | |
klingendem Namen bekommt Kazim nach jedem veröffentlichten Artikel | |
Hassbriefe, per Post, per Mail, über Facebook. Wie geht er damit um? | |
Die Justiz ist keine große Hilfe, wie Kazim konstatiert. Denn, wer | |
schreibt, Kazim „gehöre in die Gaskammer“ oder zumindest „zurück nach | |
Pakiland“, und hinterher behauptet, er oder sie sei es gar nicht gewesen, | |
„keine Ahnung wer das von meinem Account verschickt hat“, kann sicher sein, | |
dass das Verfahren eingestellt wird. | |
Derart allein gelassen, empfand Kazim das öffentliche Verlesen der Hetzpost | |
im Kollektiv bei der Veranstaltung Hate Poetry als Akt der Befreiung. Bei | |
der von taz-Redakteurin Doris Akrap moderierten „antirassistischen | |
Leseshow“ konkurrieren Autor*innen mit ausländischen Namen, darunter auch | |
der ehemalige taz-Redakteur Deniz Yücel, darum, wer den widerlichsten Brief | |
erhalten hat. Lachen hilft in der Bewältigung dieses deutschtümelnden | |
Deliriums, „Humor ist ein Weg, den Hass auszuhalten“, sagt Kazim. | |
Doch entsprechend Antoine de Saint-Exupérys Definition „jeder Satz ist | |
eine Tat“ befand Kazim, dass „Menschen die Folgen ihrer Worte spüren | |
müssen“. Deshalb beschloss er, auf die Zuschriften zu antworten. Oberste | |
Prämisse dabei war und ist, „niemals zurück zu hassen“. | |
Ein nicht ganz leichtes Unterfangen, das Kazim elegant und gewitzt löst. Er | |
weist immer wieder sachlich darauf hin, dass die Zuschriften keine | |
inhaltliche Kritik sind, sondern hirnloses Hassgeblähe, prangert die Gewalt | |
in der Sprache an, stellt bei den Hassschreiber*innen, die keineswegs nur | |
sogenannte Abgehängte sind, sondern durchaus auch Absolvent*innen von | |
Hochschulen, eine „Wohlstandsverwahrlosung“ fest. | |
Den Briefverkehr hat Kazim nach Themenkomplexen geordnet, „Die AFD“, „Der | |
Osten“, „Die Türkei“. Um zu verdeutlichen, dass die Bibel dem Koran in | |
puncto Frauenfeindlichkeit in nichts nachsteht, nennt er im längsten | |
Abschnitt „Der Islam“ einem engagierten Verteidiger des christlichen | |
Abendlandes frauenfeindliche Textstellen, vermeintlich aus dem Koran. | |
Des Weiteren lässt er ihn wissen, dass auch er fände, im Islam gäbe es | |
einige Kritikpunkte. Der Mann ist ganz beglückt, verbreitet die | |
Informationen sofort ungeprüft in seinem Umfeld. Im nächsten Brief | |
entschuldigt sich Kazim, ihm sei ein Fehler unterlaufen. Die genannten | |
Textstellen seien nicht dem Koran entnommen, sondern der Bibel. So zwingend | |
der Dumpfheit entlarvt, meldet sich der Islamfeind nicht mehr zurück. | |
## Haltlose Hetze | |
Viele Hassschreiber*innen brechen die Kommunikation ab, wenn die | |
Haltlosigkeit ihrer Hetze zu offensichtlich wird, in einigen Fällen klingt | |
aber auch der Ansatz des Nachdenkens an. „Manchmal bringt Kommunikation | |
etwas, ist aber anstrengend“, sagt Kazim, der seine Überlegungen zum Thema | |
mit kehliger Stimme selbst vorliest, mit kontrollierter Wut und einer | |
Vehemenz, die dazu auffordert, die „Briefe von Karlheinz“ nicht nur | |
kopfschüttelnd zu konsumieren, sondern den Ressentiments aktiv | |
entgegenzutreten „damit wir uns später nicht vorhalten lassen müssen, | |
geschwiegen zu haben“, wie Kazim sagt. | |
Kazims Antworten verliest der Schauspieler Bjarne Mädel mit nordischem | |
Zungenschlag, changiert dabei gekonnt zwischen Fassungslosigkeit und | |
nonchalanter Belehrung. Bernhard Schütz gibt den Briefeschreibern seine | |
Stimme und lotet dabei die unterschiedlichen Spielarten des teutonischen | |
Dumpfsinns einfallsreich aus. Cathleen Gawlichs Hetzerinnen sind schneidend | |
und in ihrer Kälte besonders beängstigend. | |
24 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Sylvia Prahl | |
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