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# taz.de -- Mutmaßliche IS-Anhängerin vor Gericht: Ermittlungsführer belaste…
> Im Prozess um ein verdurstetes jesidisches Mädchen schweigt die
> mutmaßliche IS-Rückkehrerin. Trotzdem werden weitere Details bekannt.
Bild: Die Angeklagte Jennifer W. schweigt im Prozes
München taz | Die Hoffnung, es könnte sich ein etwas klareres Bild eines
Verbrechens ergeben, das sich im Jahr 2015 auf dem Gebiet des vom
Islamischen Staat ausgerufenen Kalifats zutrug, zerschlug sich an diesem
Montagvormittag schnell. Vor dem Oberlandesgericht München ging der
[1][Prozess um ein verdurstetes jesidisches Mädchen im Irak weiter]. Nein,
seine Mandantin werde nicht aussagen, antwortete Verteidiger Ali Aydin auf
die entsprechende Frage des Vorsitzenden Richters.
So ist es Fassungslosigkeit, die bleibt angesichts dessen, was Jennifer W.
vorgeworfen wird und was Richter Reinhold Baier eingangs noch mal aufzählen
muss. Denn die Liste der möglichen Straftaten, wegen derer W. verurteilt
werden könnte, hat sich gegenüber der Anklage des Generalbundesanwalts
verlängert. So könnte die 28-Jährige nunmehr neben Mord durch Unterlassen
und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung auch wegen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Folter, Versklavung und
Menschenhandel verurteilt werden.
Der Vorsitzende Richter führt noch mal aus, was der Angeklagten konkret zur
Last gelegt wird: Die Frau aus Lohne, einem Städtchen zwischen Oldenburg
und Osnabrück, soll über die Türkei zunächst nach Syrien gereist und sich
dort dem IS angeschlossen haben. Später sei sie ins irakische Falludscha
gezogen, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann ein fünf Jahre altes Mädchen und
deren Mutter als Sklavinnen gehalten haben soll. Als ihr Mann in einem
Wutanfall das Kind mit Handschellen in der sengenden Sonne angekettet habe,
habe sie ihn davon nicht abgehalten, sondern zugesehen, wie das Mädchen
verdurstete.
Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass der Mann körperliche Gewalt gegen
das Kind und seine Mutter angewandt habe – nicht selten, nachdem sich
Jennifer W. über die beiden beschwert habe. Auch diesmal soll sie zu ihnen
gesagt haben. „Ihr bekommt jetzt eure Strafe.“ Zuvor hatte das Mädchen
offenbar eingenässt. Als ihr Mann das Kind dann bei 45 Grad vor dem Haus
angekettet habe, habe sie nichts unternommen, um es zu befreien oder ihm
auch nur zu trinken zu geben.
## Mutter des verdursteten Kindes als Nebenklägerin
Die Mutter des Kindes musste den qualvollen Tod mitansehen. Sie war erst
nach der Anklageerhebung ausfindig gemacht worden und tritt nun als
Nebenklägerin in dem Verfahren auf, vertreten unter anderem durch die
prominente Menschenrechtsanwältin Amal Clooney.
Als die Angeklagte um kurz nach halb zehn den Sitzungssaal B 277 im
Strafjustizzentrum München betritt, verbirgt sie ihr Gesicht zunächst
hinter einer roten Aktenmappe. Sie ist klein, fast zierlich, trägt eine
weiße Bluse und ein schwarzes Sakko. Als die Kameraleute und Fotografen den
Saal verlassen haben, zeigt sich ein unscheinbares Gesicht, dominiert von
einer schwarzen Kunststoffbrille.
Was eine damals 23-jährige Niedersächsin veranlasste, sich dem Islamischen
Staat anzuschließen, als Mitglied der Hisba, der „Sittenpolizei“ des IS,
mit einer Kalaschnikow in den Straßen Falludschas zu patrouillieren und
Frauen zu maßregeln, die ihren Nikab nicht korrekt trugen, und sich Sklaven
zu halten, bleibt aber an diesem Montag unklar.
Statt der Aussage der Angeklagten hört sich das Oberlandesgericht den
Bericht eines 44-jährigen Polizeibeamten an, der die Ermittlungen leitete,
die schließlich zur Festnahme der Frau führten. Diese war 2016
hochschwanger wieder zu ihrer Mutter nach Deutschland zurückgekehrt. Eine
entscheidende Rolle hatten dabei Chatprotokolle gespielt, die das FBI den
deutschen Behörden weitergegeben hatte.
In den Chats offenbarte sich die Frau einer Vertrauensperson der Ermittler,
plante mit ihr eine erneute Ausreise in den Nahen Osten, besprach sogar die
Möglichkeiten, ihren Ehemann, von dem sie Repressalien befürchtete,
ermorden zu lassen. Am Tag der Abreise, dem 29. Juni 2018, schickte die
Polizei den vermeintlichen Fahrer mit einem verwanzten Wagen. An einer
Autobahnraststätte im schwäbischen Jettingen-Scheppach schlugen die Beamten
schließlich zu und verhafteten Jennifer W.
Besondere Bedeutung kommt dem Prozess auch deshalb zu, weil es sich bei den
Opfern um Angehörige der in Kurdistan beheimateten religiösen Minderheit
der Jesiden handelt. Der jesidischen Organisation Yazda zufolge ist es das
erste Mal, dass eine vom IS an Jesiden begangene Tat zur Anklage gekommen
sei.
29 Apr 2019
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-IS-Anhaengerin-in-Muenchen/!5586579
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
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