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# taz.de -- ARD-Dokuserie „Rabiat“: Mehr Ich als Fakten
> Die Reporter*innen des Y-Kollektivs beschäftigen sich in den neuen Folgen
> von „Rabiat“ mit den großen Themen: Armut, Rassismus – und sich selbst.
Bild: Mit Mettbrötchen und Doppelkeksen: Reporterin Thiele beim Mittagessen au…
Wann ist ein man ein man? Im Journalismus wird wieder einmal um die Frage
der (vermeintlichen) Objektivität gestritten. Da passt es, dass die ARD mit
neuen Folgen der Dokuserie „Rabiat“ nachlegt. Die Reporter*innen des
Y-Kollektivs greifen darin Gesprächsthemen der Millennials auf. [1][Um
Drogen oder Pädophilie ging es beim Sendestart 2018], jetzt soll’s
politischer werden.
„Arsch hoch, Deutschland!“ heißt der erste der drei Filme, Thema Armut.
Reporterin Anne Thiele spricht mit einer Aufstockerin, die Pfand sammelt,
schnauzbärtigen Langzeitarbeitslosen, selbsternannten „Hartzern im
Widerstand“ und ganz viel über sich selbst. Nach fünfzehn Sekunden das
erste „Ich“. Das Konzept wird schnell klar: „In einer Platte bin ich auch
großgeworden“, allerdings in einer Akademikerfamilie – Thiele checkt ihre
Privilegien gegenüber den Protagonist*innen. Sie will ergründen, warum
manche in Lohn und Brot stehen, während andere arm bleiben.
Am Ende wird sie gut die Hälfte der 45 Minuten langen Doku im Bild sein –
ob beim Kaffee mit Plattenbewohner Jürgen (Sonderangebot für 2,20, sagt er
stolz) oder der Schrippe mit den Jungs vom Bau. In Jena trifft Thiele
zufällig ihre ehemalige Kindergärtnerin, sie betrachten alte Fotos auf dem
Handy. Man lernt nicht nur viel über Armut, sondern auch über die Autorin:
Ihr erstes Geld verdiente sie mit Babysitten, Obdachlose zu sehen macht sie
„echt fertig“, das Klischee vom abgehängten Ostdeutschen geht ihr auf die
Nerven. Warum so persönlich?
„Wir wollen eben keine allwissenden Reporter, keine Erkläronkel“, sagt
Thomas von Bötticher von Radio Bremen. Die kleinste der ARD-Anstalten
betreut „Rabiat“ redaktionell. Dass die Reportagen sehr menscheln, machen
sie für ihn glaubwürdig: „Es braucht Reporter, die auch mal ihre Rübe
reinhalten, das macht es authentisch.“ Im Vergleich zu den „rein faktisch
geprägten Dokumentationen“ der Neunziger sei die Haltung heute zunehmend
interaktiv: „Die Kollegen machen sich selbst als Teil der Recherche
transparent“, heißt es bei Radio Bremen – das sei nicht eitel, sondern
ehrenhaft.
## Reden mit „Oma gegen Rechts“ und Frauke Petry
Mehr noch als Thiele, die in ihren Film auch dosiert Statistiken über Armut
in Deutschland einwebt, macht [2][Gülseren Ölcüm i]hre „Rabiat“-Dokus zu
ihren Geschichten. Sie fragt in „Deutschland den Deutschen?“ etwas
suggestiv, ob sie angesichts rechter Meinungsmache noch eine Zukunft im
Land habe: „Kann ich was an der Stimmung ändern oder sollte ich bald meine
Koffer packen?“
Um das herauszufinden, begleitet Ölcüm eine [3][„Oma gegen rechts“],
räsoniert mit Moderator Michel Friedman und befragt Konfliktforscher
Wilhelm Heitmeyer. Höhepunkt: Eine Annäherung an Frauke Petry, die Ölcüm
babybäuchig nach einem Vierzehnstundentag und Wahlkampf in einer Zwickauer
Kneipe empfängt. Das Gespräch ist kontrovers, ehrlich, Petry lang nicht so
garstig, wie man sie aus Talkshows kennt. Einig werden sich beide natürlich
nicht. Ölcüm findet außergewöhnliche Protagonist*innen (SS-Siggi!), ist
aber eben immer auch selbst Handelnde.
Tanjev Schultz, Professor für Journalismus an der Uni Mainz, sieht dahinter
einen generellen Trend: „Mein Eindruck ist, es gibt immer mehr
Ich-Erzähler.“ Subjektive Beiträge seien manchmal berührend, könnten aber
auch bekenntnishaft oder narzisstisch wirken. „Journalismus sollte sich
nicht ständig um die Journalisten drehen“, so Schultz. „Wenn das Wühlen im
Ich alles überlagert und Betroffenheiten wichtiger werden als mühsames
Recherchieren, verliert der Journalismus seine aufklärerische Kraft.“
Spaß machen die neuen Folgen allemal. Mit sprunghaften Schnitten,
Dendemann-Beats und den frechen Fragen der Reporterinnen wirken die Filme
zeitgemäß. Und noch mehr: Über weite Strecken gelingt den ersten beiden
Folgen der neuen „Rabiat“-Staffel zweierlei: Empathie und Erkenntnisgewinn.
13 May 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Finn Holitzka
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