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# taz.de -- Kolumne Macht: Rassistisch, scheinheilig, Palmer
> Wieder einmal äußert sich der Grünen-Politiker Boris Palmer rassistisch.
> Unsere Autorin verletzt das. Deshalb will sie dieses Mal nicht schweigen.
Bild: Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen), Oberbürgermeister von Tübingen …
An den regelmäßigen Boris-Palmer-Festivals habe ich mich bislang nur selten
beteiligt. Zu kindlich wirkt das Streben des Oberbürgermeisters von
Tübingen nach Aufmerksamkeit. Eigentlich sollte man ihm nicht den Gefallen
tun, das zu bedienen. [1][Aber dieses Mal hat er gewonnen], jedenfalls was
mich betrifft. Ich bin zu wütend – nein, das stimmt nicht: Allzu verletzt
bin ich, um zu schweigen.
Boris Palmer hat sich in die lange Reihe all derer gestellt, die – offen
oder versteckt – versuchen, meine Tochter aus ihrer Heimat auszugrenzen und
als „Minderheit“ zu definieren, seit sie vor 31 Jahren in Köln geboren
wurde. Nora hat einen kenianischen Vater, folglich eine dunklere Hautfarbe
als Herr Palmer.
Sie ist allerdings so deutsch wie er und hat einst in der Schule sogar den
Dichter Ludwig Uhland durchgenommen, der in Tübingen geboren und gestorben
ist. Ob Palmer das ihr gegenüber milder stimmen würde? Keine Ahnung. Was
ich hingegen weiß: Ich bin diese Ausgrenzung unendlich Leid. Und sie hört
nicht auf. Sie hört einfach nicht auf.
In einem Facebook-Post vor einigen Tagen hatte Palmer gefragt, was für eine
Gesellschaft mit Fotos auf der Internetseite der Deutschen Bahn eigentlich
abgebildet werden solle, die mehrheitlich Menschen mit
Migrationshintergrund zeigten. Als die von ihm erwartete – und wohl
erwünschte – Kritik über ihn hereinbrach, behauptete er, es sei
diskriminierend, wenn Personengruppen wie beispielsweise alte, weiße Männer
auf einer solchen Fotostrecke nicht gezeigt würden.
## Scheinheilig und verlogen
Das ist scheinheilig und verlogen. Herr Palmer ist zu intelligent, um nicht
zu wissen, wie Werbung funktioniert. Aber ich will mal so tun, als hielte
ich ihn wirklich für so dumm, wie er sich stellt, und es ihm leicht
verständlich erklären. Werbung will Aufmerksamkeit erregen, überraschen,
manchmal belustigen, manchmal provozieren, manchmal sogar verstören.
Werbung bildet nicht die Realität ab. Wer glaubt, dass sie das täte, muss
ein niedliches Bild von den Regeln des Kapitalismus haben.
Übrigens eint alle von der DB abgebildeten Personen, so weit wir wissen,
eines: Sie sind fabelhaft in diese Gesellschaft integriert. Ist es nicht
genau das, was diejenigen immer fordern, die behaupten, Angst vor
„Überfremdung“ zu haben? Das nützt Leuten gar nichts, die anders aussehen
als die meisten hierzulande. Fremd bleibt fremd.
Ein Wort wie „Überfremdung“ würde Herr Palmer übrigens nie in den Mund
nehmen. Er ist Profi. Deshalb formuliert er so, dass er genau richtig
verstanden wird – von Freund und Feind – , ihm aber mit noch so genauer
Sprachanalyse nichts nachgewiesen werden kann. Seine Posts sind
demagogische Meisterwerke.
Jetzt behauptet er, wenig erstaunlich, er sei „falsch verstanden“ worden.
Wie fast alle Rassisten, immerzu. Die Hautfarbe habe außerdem gar nicht er
als wesentliches Merkmal eingeführt, das sei von anderen gekommen. An
welches Kriterium hatte Boris Palmer denn gedacht, um Menschen „mit
Migrationshintergrund“ zu erkennen? (Übrigens ist „Migrationshintergrund“
gar nicht so leicht zu definieren. Aber ich möchte es für den
Oberbürgermeister auch nicht zu kompliziert machen. Also lasse ich das mal
so stehen.)
Meine Tochter arbeitet seit einigen Jahren in London. Bis vor drei Tagen
hatte sie noch nie von Boris Palmer gehört. Die vermutlich ultimative
Kränkung für jemanden wie ihn, da dürfte auch kein Uhland helfen.
Eine SWR-Korrespondentin findet die ganze Aufregung übertrieben und
empfiehlt: „Macht Euch mal locker, Leute!“ Sagt sich leicht. Ich werde mich
nicht locker machen in dieser Frage. Und bin jedem und jeder persönlich
dankbar, die das auch nicht tut.
26 Apr 2019
## LINKS
[1] /Kommentar-Tuebinger-OB-Boris-Palmer/!5587804
## AUTOREN
Bettina Gaus
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