| # taz.de -- Wohnraum schaffen in Tübingen: Palmer zettelt eine „Revolution�… | |
| > Der Grünen-Politiker fordert 450 Grundstücksbesitzer in Tübingen auf, | |
| > Wohnungen zu bauen. Andernfalls drohten ihnen Enteignungen. | |
| Bild: Auf linken Umwegen – Krawallbürgermeister Palmer will Grundstücksbesi… | |
| Karlsruhe taz | Im Brief des [1][Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer | |
| (Grüne)] an etwa 450 Grundstücksbesitzer schwingt ein Hauch von Kommunismus | |
| mit. Sie sollen der Stadt bitte mitteilen, ob sie bereit sind, in den | |
| nächsten vier Jahren ihr Grundstück zu bebauen. Falls nicht, bietet die | |
| Stadt ihnen an, das Grundstück zum „Verkehrswert“ zu kaufen. Falls sie zu | |
| beidem nicht bereit sind, droht Palmer mit einem Zwangsgeld. Am Ende könnte | |
| sogar eine Enteignung stehen. | |
| Der Oberbürgermeister will Ernst machen, daran lässt das Schreiben keinen | |
| Zweifel: „Keine Rückantwort gilt als Ablehnung“, heißt es darin. Palmer | |
| hatte zuletzt überregional Schlagzeilen gemacht: Erst geriet er in Tübingen | |
| mit einem Studenten aneinander, dann [2][zog er über Berlin her], machte | |
| sich dort mit der CDU auf die Suche nach Dealern. Nun macht Palmer mal ganz | |
| andere Schlagzeilen. | |
| Mit seinem Plan möchte der Grüne 550 Grundstücke für den angespannten | |
| Tübinger Wohnungsmarkt nutzbar machen. Schon vor zehn Jahren, kurz nach | |
| seinem Amtsantritt, hatte Palmer Besitzer aufgefordert, Baulücken zu | |
| schließen. Nun wird es verbindlich. | |
| Palmer beruft sich bei seinem Griff nach dem Eigentum nicht nur auf die | |
| Sozialbindung von Eigentum im Grundgesetz, sondern auch auf das | |
| Baugesetzbuch. Dort ist das „Baugebot“ verankert, das Kommunen den Zugriff | |
| auf unbebaute Grundstücke gibt, wenn diese größeren Bauvorhaben im Weg | |
| stehen. Angewandt wird dieses Recht jedoch selten. „Weil wir es gewohnt | |
| sind, dass Eigentum zu nichts mehr verpflichtet“, ärgert sich Palmer. | |
| ## Enkelgrundstücke sind nicht mehr angemessen | |
| Bei den Flächen, die Palmer im Blick hat, handelt es sich meist um private | |
| „Enkelgrundstücke“. Grundstücke also, die oft ältere Bürger für ihre | |
| Nachkommen aufheben. Doch die Kinder und Enkel kehren nach Ausbildung und | |
| Studium meist nicht nach Tübingen zurück, und so bleiben die Grundstücke | |
| über Jahrzehnte ungenutzt. Nicht zum Schaden der Eigentümer: Denn die | |
| Universitätsstadt zählt zu den teuersten Wohnungsmärkten in der Republik, | |
| und selbst unbebaute Grundstücke konnten dort in den letzten zehn Jahren | |
| ihren Wert verdoppeln. | |
| Grundstücke für nächste Generationen aufzuheben sei zwar individuell | |
| verständlich, heißt es in Palmers Brief, „aber nach mehreren Jahrzehnten | |
| nicht mehr angemessen“. Der kleinen Zahl von Eigentümern, die es sich | |
| leisten könnten, ein Grundstück auf Jahrzehnte unbebaut zu lassen, stehe | |
| die weitaus größere Zahl von Familien gegenüber, die dringend ein | |
| Grundstück suchen. | |
| Für den Grünen sind die Aufforderung zum Bau und die Drohung ein letztes | |
| Mittel im [3][Kampf um bezahlbaren Wohnraum] und Teil des Programms „Fairer | |
| Wohnen“. Darin verpflichtet sich die Stadt, jährlich 100 Sozialwohnungen zu | |
| bauen und Baulücken in Neubaugebieten zu vermeiden. Gegenstimmen bleiben da | |
| nicht aus. Schon im Sommer, nach einer ersten Ankündigung, hatten sich CDU | |
| und FDP in dem Land gegen Zwangsmaßnahmen ausgesprochen. | |
| ## „Das ist schon revolutionär“ | |
| Und das, obwohl die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole | |
| Hoffmeister-Kraut (CDU) im vergangenen Jahr selbst, zum Ärger ihrer Partei, | |
| das Baugebot in die Diskussion um bezahlbaren Wohnraum eingebracht hatte. | |
| Es dürfe da keine Denkverbote geben, sagte die Wirtschaftsministerin. Der | |
| Präsident des baden-württembergischen Gemeindetags, Roger Kehle (CDU), der | |
| die eher kleinen Kommunen vertritt, widerspricht: „Der Schutz der | |
| Eigentümer hat überragende Bedeutung.“ | |
| So sehen es auch die Ortschaftsräte der betroffenen Tübinger Teilgemeinden. | |
| Sie haben sich inzwischen allesamt gegen Palmers Maßnahmen ausgesprochen. | |
| Für den Grünen ist das kein Grund, von seinem Vorhaben abzulassen. Immerhin | |
| hält der Deutsche Städtetag das Baugebot für ein wichtiges Instrument zur | |
| Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und fordert eine Vereinfachung der | |
| gesetzlichen Regelung. | |
| Um sein Vorhaben durchzusetzen, braucht Palmer ohnehin niemanden zu fragen: | |
| Das Baugebot ist laut Gesetz ein Verwaltungsakt, der ohne Zustimmung des | |
| Gemeinderats angeordnet werden kann. Das ist ganz nach Palmers Geschmack, | |
| der sich mit Äußerungen und Entscheidungen immer mal wieder gegen die | |
| Ratsmehrheit stellt. Trotzdem will er über den Brief Ende März im | |
| Verwaltungsausschuss der Stadt beraten lassen. Stoppen lassen will sich | |
| Palmer aber nicht. | |
| „Wir brechen hier mit der neoliberalen Einstellung der letzten Jahre, die | |
| das Grundgesetz mit seiner Sozialbindung ins Gegenteil verkehrt hat“, sagt | |
| Palmer. „Das ist schon revolutionär.“ | |
| 5 Mar 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benno Stieber | |
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