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# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Panik ist produktiv
> Verbrechen, Impfen, Wildschweine – immer haben wir Angst vor dem
> Falschen. Dabei müssten wir uns vor dem Richtigen fürchten.
Bild: Liebt den Müll, nicht das Plastik: ein wildes Schwein in Berlin
Ein herrlicher Samstagmorgen, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und
wir machen mit Freunden Frühjahrsputz in der Natur. Meine Tochter und ich
stehen am Schildhorn, einem Uferstück des Wannsees, und sammeln wie jedes
Jahr Müll aus der Umwelt. Alles ist friedlich.
Plötzlich explodiert zwischen uns das Unterholz: Eine kapitale Wildsau
schießt aus ihrem Versteck, pflügt fünf Meter neben uns durchs Schilf und
galoppiert zurück in den Wald. Wir stehen erstarrt, aber nichts ist
passiert. Schwein gehabt. Trotzdem schlägt mir das Herz bis zum Hals.
„Mann, habe ich mich erschreckt!“, sagt meine Tochter.
Als unsere Hände nicht mehr allzu sehr zittern, stopfen wir weiter unsere
Müllsäcke voll: Mit kaputten Plastiktüten, Schokoriegel-Verpackungen,
Feuerzeugen, Personalausweisen, Spritzen, Plastikflaschen, Schuhen, Eimern,
mit allem, was so ans Ufer geschwemmt wird.
## Klima, Artentod, Chemiegifte – das juckt nur Allergiker
Und mir fällt auf: Vor dem Wildschwein hatten wir Angst. Aber eigentlich
sollten wir uns davor fürchten, was wir hier sehen: Der Uferstreifen ist
überall mit kleinen Plastikfetzen so durchsetzt, dass man das Zeug gar
nicht mehr wegbekommt. Willkommen im Plastozän.
Vor den wilden Schweinen warnt der Förster. Vor den Schweinen, die die
Wildnis versauen, gruselt sich niemand. Wie immer fürchten wir uns vor dem
Falschen: vor steigender Kriminalität, auch wenn sie nachweislich abnimmt;
vor angeblicher „Überfremdung“ in Gegenden, wo kaum MigrantInnen leben; vor
Impfungen statt vor Seuchen. Aber wenn wir jedes Jahr in einem verrückten
weltweiten Freilandversuch 37 Milliarden Tonnen CO2 in die Luft blasen,
Hunderte von Tier- und Pflanzenarten ausrotten oder Tausende von chemischen
Stoffen ungetestet auf die Natur und die Menschen loslassen – dann juckt
das nur die Allergiker.
Die Bundes„regierung“ verharrt bei grünen Themen in Schockstarre. Sie
fürchtet die 10 Prozent AfD und Anti-Ökos mehr als den Frust der 90 Prozent
Pro-Ökos. Sie zittert mehr vor dem Verlust von Branchen, die zu Recht
aussterben, als davor, dass die Jobs der Zukunft nicht entstehen. Vor den
paar lautstarken Bremsern in der Industrie kuscht sie mehr als vor den
vielen Firmen, die einen CO2-Preis und Leitplanken für grüne Entwicklung
wollen.
Angst und Panik sind keine guten Ratgeber? Kann sein. Ich war bei unserer
unheimlichen Wildschwein-Begegnung auch wie gelähmt. Aber wenn die Gefahr
langsam kommt, kann Angst helfen, den Arsch hochzukriegen. Denn nichts ist
schlimmer als diese bräsige Blase aus scheinbarer Sicherheit, die uns
umgibt. Ein paar Prozent Panik wären ganz produktiv.
13 Apr 2019
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Plastik
Schwerpunkt Klimawandel
Panik
EU-Richtlinien
Umweltschutz
Schleswig-Holstein
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