# taz.de -- Prekäre Arbeit in Berlin: Einsame Zeitungszusteller | |
> Für viele Verlage ist die Zustellung von Zeitungen ein Verlustgeschäft. | |
> Sie drängen auf staatliche Unterstützung. Für Zusteller bleibt der Job | |
> prekär. | |
Bild: Ein harter Job mit ungewisser Zukunft: Zeitungszusteller | |
Um zwei Uhr nachts beginnt die Schicht von Katrin Lange*. In Charlottenburg | |
stellt sie sieben Nächte in der Woche vier Stunden lang Zeitungen zu. Seit | |
Anfang 2018 bekommt sie dafür den Mindestlohn, zuvor war die Branche vom | |
Mindestlohn noch ausgenommen, Lange wurde wie alle 150.000 | |
Zeitungszusteller in Deutschland pro zugestellter Zeitung bezahlt. „200 bis | |
250 Euro sind das mehr auf dem Lohnzettel“, schätzt sie. | |
Die Verlage kritisieren diese Umstellung: Dietmar Wolff, | |
Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Zeitungsverleger | |
(BDZV), sagte, dass die Umstellung eine Mehrbelastung von rund 200 | |
Millionen Euro im Jahr für die Verlage bedeute. Vor allem die | |
Zeitungszustellung im ländlichen Raum sei zu einem Verlustgeschäft | |
geworden. | |
Abhilfe war im Koalitionsvertrag vorgesehen. Nach diesem sollen die | |
Beiträge, die Arbeitgeber für die Rentenversicherung der Zeitungszusteller | |
zahlen, von 15 auf 5 Prozent gesenkt werden. Dies wiederum kritisierten | |
Gewerkschaften. Arbeitsminister Hubertus Heil versicherte daraufhin, dass | |
die Differenz aus Bundesmitteln beglichen werden solle. | |
Auch dieser Vorschlag sorgte für Kritik. Johannes Steffen, Rentenexperte | |
und Betreiber des Portals für Sozialpolitik, sagte der taz bereits 2018, | |
dass eine steuerliche Subvention der Verlage bedeute, dass „wir alle, also | |
die steuerzahlende Allgemeinheit, einen Teil der Rentenbeiträge für die | |
Zusteller bezahlen“. | |
Das Gesetzesvorhaben der Koalition wurde bisher aber nicht umgesetzt. Laut | |
dem Arbeitsministerium werden noch bis Juni weitere Optionen geprüft, mit | |
denen die Verlage unterstützt werden könnten. Dabei sollen auch Beispiele | |
aus anderen Ländern als Inspiration dienen. Dem Fachmagazin Horizont | |
zufolge befinden sich Verlegerverbände und Arbeitsministerium derzeit in | |
Verhandlungen über einen direkten Zuschuss je zugestellter Zeitung. | |
Mit diesem Zuschuss würden die Verlage die Mehrkosten begleichen, die für | |
sie durch die Einführung des Mindestlohns in der Branche entstanden sind. | |
An der Situation der Zusteller würde ein Gesetz aber wenig ändern. | |
Zehn Jahre stehen Lange noch bis zu ihrer Rente bevor. Die werde so klein | |
ausfallen, dass Lange dann wohl weiterhin Zeitungen zustellen muss – | |
„vorausgesetzt, die Probleme im Rücken und die Arthrose im Fuß werden nicht | |
schlimmer“, sagt sie. Schon jetzt ist Lange in manchen Nächten auf | |
Schmerztabletten angewiesen. | |
Ob sie diesen Job aber in zehn Jahren noch machen wird, ist auch aus einem | |
anderen Grund fraglich: die Digitalisierung und die damit verbundene Krise | |
der gedruckten Zeitung. Immer mehr Menschen lesen online, auch die taz will | |
ab 2022 nur noch am Wochenende als Printausgabe erscheinen. | |
Die Zusteller erleben diesen Auflagenrückgang unmittelbar. Auf Langes Route | |
ist die Abonnentenzahl innerhalb der letzten 20 Jahre von rund 400 | |
Exemplaren auf 200 zurückgegangen. Hinzugekommen sind stattdessen Magazine | |
und Fernsehzeitschriften, die zuvor noch von der Post zugestellt wurden. | |
Lange freut sich deshalb über jeden Zeitungsabonnenten. Denn weniger | |
Printleser bedeuten auch, dass die Agentur ihr die benötigte Zeit für die | |
Tour kürzt: „Zeitlich macht das aber einen geringen Unterschied, ob ich nur | |
im vierten Stock eine Zeitung vor die Wohnungstür lege oder auf dem Weg | |
nach oben noch zwei andere zustelle“, sagt Lange. | |
Den Kürzungen können die Zusteller aber wenig entgegensetzen. Einen | |
Betriebsrat gibt es in der Branche selten. In der Hauptstadt ist die | |
Vertriebsgesellschaft „Berlin Last Mile“ für die Zeitungszustellung | |
verantwortlich. Bei den ihr untergliederten zehn Zustellfirmen gibt es nur | |
bei der größten in Charlottenburg-Wilmersdorf einen Betriebsrat. | |
Laut Stephan Bast, Betriebsrat in Dresden, erschwert die Untergliederung in | |
kleine lokale Firmen, dass Arbeitnehmer ihre Interessen verfolgen können. | |
Hinzu komme auch, dass Zusteller „einsame Einzelkämpfer“ seien, die „wed… | |
von den Abokunden wahrgenommen werden noch ihre Kollegen sehen“. | |
Allein, nachts, bei Regen und schlechter Bezahlung: eine | |
Berufsbeschreibung, die für wenige attraktiv klingt. In manchen Regionen | |
ist es deshalb schwer, genügend Zusteller zu finden. Die Schwäbische | |
Zeitung hat einmal sogar ihre Redakteure darum gebeten, Zeitungen | |
zuzustellen. So einen Rollentausch würde sich Katrin Lange auch wünschen. | |
Mitlaufen sollten die Redakteure aber nicht nur für eine Nacht, so Lange. | |
„Am besten eine ganze Woche, damit man wirklich sieht, wie hart dieser Job | |
ist.“ | |
*Weil die Protagonistin ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, | |
wurde er von der Redaktion geändert. | |
17 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Yannic Walther | |
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