| # taz.de -- Debatte Großbritannien und EU: Der Brexit kommt nie | |
| > Ivan Rogers ist Insider. Er war britischer Botschafter bei der EU in | |
| > Brüssel und weiß daher genau, was die Briten beim Brexit falsch gemacht | |
| > haben. | |
| Bild: Rogers sollte Recht behalten: Ein Spaziergang ist der Brexit sicher nicht | |
| Diese Abrechnung muss man gelesen haben. Das Buch ist ein furioser | |
| Wutausbruch, der den Brexit rein strategisch analysiert. Geschrieben hat es | |
| Ivan Rogers, der über das nötige Insiderwissen verfügt: Rogers [1][war | |
| britischer Botschafter bei der EU in Brüssel], als 2016 das | |
| Brexit-Referendum stattfand. | |
| Anschließend war er nicht mehr lange auf diesem Posten: Im Januar 2017 trat | |
| Rogers zurück, weil der mediale Druck zu groß wurde. In einem internen | |
| Papier hatte er nämlich prophezeit, dass es zehn Jahre dauern dürfte, bis | |
| die Briten mit der EU einen tragfähigen Brexitvertrag ausgehandelt hätten. | |
| Die konservative Presse in Großbritannien schäumte, dass jemand daran zu | |
| zweifeln wagte, dass der Brexit ein Spaziergang würde. | |
| In diesem Februar erschien nun Rogers’ strategische Analyse. Nach der | |
| Lektüre versteht man besser, warum der Brexit bisher kein Brexit war, | |
| sondern schon in die zweite Verlängerung geht. Leider gibt es diese „Neun | |
| Lektionen über den Brexit“ nur auf Englisch, aber das Buch ist so | |
| erfrischend kurz, dass es sich bequem zusammenfassen lässt. | |
| Vorab noch ein Wort zur Gefechtslage: Rogers ist zwar Remainer, versteht | |
| sich aber vor allem als treuer Beamter, der den Willen des Volkes | |
| umzusetzen hat. Er will [2][den Brexit] nicht rückgängig machen, | |
| verzweifelt aber an der Ignoranz der britischen Politiker – die über Europa | |
| nichts wissen und die Professionalität der EU-Kommission unterschätzen. | |
| Brexit-Befürworter würden zwar permanent über „Freihandel“ schwadroniere… | |
| würden aber „einen ‚Handelsvertrag‘ noch nicht einmal erkennen, wenn sie | |
| ihn in ihrer Suppe finden“. Mit ihren ahnungslosen „Fantasien“ müssten | |
| diese Schaumschläger nun gegen die Bürokratie in Brüssel antreten, zu deren | |
| Kernkompetenzen es gehört, weltweit Handelsverträge abzuschließen. | |
| Auch würde keineswegs „Chaos“ in der EU herrschen, wie viele Briten denken. | |
| Über Jahrzehnte hätte man in Brüssel gelernt, „wie man die politischen | |
| Spannungen in den einzelnen Nationalstaaten ausnutzt, um die eigenen Ziele | |
| durchzusetzen“. | |
| ## Drohung mit „No Deal“ | |
| Für die EU lief es also bestens, als Premierministerin May am 29. März 2017 | |
| erklärte, dass die Briten in genau zwei Jahren austreten würden. Indem sie | |
| Artikel 50 des EU-Vertrags aktivierte, wurde genau jene Zeitnot provoziert, | |
| die man in Brüssel so meisterhaft zu nutzen versteht. May hätte damit | |
| „gleich mehrere Tore in den ersten fünf Minuten des Spiels“ verschenkt. F�… | |
| die EU war es seither leicht, stets geschlossen aufzutreten und ihren | |
| Fahrplan durchzusetzen. Man wusste ja, dass man die Briten damit erpressen | |
| konnte, dass sonst ein „No Deal“ drohe. | |
| Warum haben die Briten diese offensichtliche Gefahr nicht gesehen? Rogers | |
| weist auf einen Denkfehler der Konservativen hin: Sie glaubten, zwei Mal | |
| verhandeln zu können. Bis zum Brexit am 29. März 2019 sollte ein | |
| „Transitabkommen“ stehen, um eine mehrjährige Übergangszeit zu regeln –… | |
| der dann das eigentliche, „vertiefte Freihandelsabkommen“ abgeschlossen | |
| werden sollte. | |
| Es wurde nicht rechtzeitig erkannt, dass „die anderen EU-Staaten keinerlei | |
| Lust hatten, sich den Verhandlungsstress zweimal zuzumuten“. Sie würden nur | |
| einmal mit den Briten verhandeln – und zwar endgültig. Das aber braucht | |
| Jahre. Rogers ist so diplomatisch, in seinem Buch nicht noch einmal die | |
| Zahl „zehn“ zu nennen. | |
| Bis der endgültige Vertrag steht, reichte es der EU, im Austrittsabkommen | |
| ihre drei zentralen Ziele durchzusetzen: Es soll die EU-Bürger absichern, | |
| die in Großbritannien leben; die Briten sollen für eingegangene | |
| Verpflichtungen zahlen, was sich auf 35 bis 39 Milliarden Pfund summiert; | |
| und es soll keine Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik | |
| Irland geben. Fertig. | |
| ## Es kommt noch schlimmer | |
| Ganz abgesehen vom Irland-Problem: Mit diesem Austrittsabkommen haben die | |
| Briten nichts gewonnen, wie sie jetzt verspätet erkennen. Auch nach dem | |
| Brexit würden sie faktisch in der EU festsitzen, weil es keine neuen Regeln | |
| für den Handel gibt. Also müssten sie europäische Vorgaben befolgen, wenn | |
| sie sich nicht isolieren wollen. Düster schreibt Rogers: „Ich mag das | |
| Gerede vom ‚Vasallenstaat‘ nicht, aber jeder kann das demokratische Defizit | |
| erkennen, wenn man Gesetze einhalten muss, die in Gremien beschlossen | |
| wurden, denen kein Brite angehörte.“ | |
| Diese Transitperiode würde zudem sehr ungemütlich, denn Rogers’ eigentliche | |
| Botschaft an seine Mitbürger ist: Die bisherigen Verhandlungen waren gar | |
| nichts; es kommt noch schlimmer. | |
| Der strategische Ausgangspunkt ist schlicht: Die 27 EU-Staaten seien ein | |
| Club, und wie in jedem Verein würden vor allem die Mitglieder zählen. Dies | |
| habe sich schon beim Thema Irland gezeigt. „Dublin wurde unterstützt, nicht | |
| London.“ Dieses Muster würde sich wiederholen, wenn es um den Handel geht. | |
| Nur zwei Beispiele: „Die Solidarität wird den wichtigen Fischerei-Nationen | |
| gelten, nicht Großbritannien.“ Auch auf Zypern werde man Rücksicht nehmen, | |
| um Präzedenzfälle zu verhindern, die auf die Türkei anwendbar wären. | |
| ## Putin? China? Trump? | |
| Es sei sinnlos zu hoffen, dass die EU-Länder ein Herz für die Briten | |
| entdecken könnten. Die transnationalen Großkonzerne hätten längst | |
| signalisiert, wie nachrangig Großbritannien sei: „Den europäischen | |
| Unternehmen ist ein funktionierender Binnenmarkt unendlich viel wichtiger.“ | |
| Rogers’ Buch nimmt die jüngsten Verwicklungen beim Brexit vorweg: Die | |
| Briten holen nun nach, was am Anfang versäumt wurde; sie werden intern | |
| klären, was ein EU-Austritt eigentlich bedeuten soll. Die Verlängerung von | |
| sechs Monaten dürfte dafür zu kurz sein. | |
| Zudem werden die Nachteile eines Brexits nicht kleiner, je länger man über | |
| ihn nachdenkt. Irgendwann dürfte er also abgesagt werden. Eine Begründung | |
| wird sich schon finden, die nicht allzu peinlich ist: Putin? China? Trump? | |
| 14 Apr 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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