# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Im Nirwana | |
> Mein Besuch in einem Kundenzentrum der Stadt Hamburg wurde zu einer | |
> verdichteten Erfahrung von Ruhe und Stillstand. | |
Bild: Existentielle Erfahrung: Warten in einem Hamburger Kundenzentrum | |
„Lange Wartezeiten in Hamburgs Kundenzentren“, las ich letzte Woche auf der | |
Seite vom NDR. Es sei eine „angespannte Situation in den Kundenzentren“, | |
sagte Claas Ricker von der Finanzbehörde dem NDR im Interview. | |
Ich war selbst gerade in der Situation, dass ich einen Termin bei der | |
Behörde machen musste, weil ich mich ummelden musste. Zwei Wochen hat man | |
Zeit, sagt das Gesetz, innerhalb von zwei Wochen soll man sich umgemeldet | |
haben. Aber wie, wenn man arbeiten geht, und es keinen freien Termin | |
innerhalb von zwei Wochen im Kundenzentrum gibt? Und fast möchte man | |
meinen, dass es so ist, dass es kaum bis gar keine freien Termine gibt. | |
Aber so ist es gar nicht. Es sieht nur so aus, als gäbe es keine, aber am | |
nächsten Tag gibt es da plötzlich einen, zwei, drei freie Termine. | |
Im Grunde kann man an jedem Tag zu fast jeder Stunde in irgendeinem | |
Kundenzentrum Hamburgs einen Termin bekommen, auch wenn es zu manchen | |
Zeiten gar nicht so aussieht, man kann im Grunde sogar drauf vertrauen. | |
Wenn ich jetzt, zum Beispiel, an einem Montag um 11:41 Uhr im Bürgerservice | |
„online-termine“ auf netapoint.de einen Termin zur Ummeldung innerhalb | |
Hamburgs suche, dann könnte ich sofort heute um 14:10 Uhr, um 14:15 Uhr | |
oder um 14:20 Uhr einen Termin im Kundenzentrum Billstedt bekommen, oder um | |
13:45 Uhr oder um 13:50 Uhr im Kundenzentrum Eimsbüttel, ferner gibt es | |
heute freie Termine in Lokstedt oder Rahlstedt, oder morgen früh in | |
Blankenese. Morgen sieht die Sache dann schon wieder anders aus, aber freie | |
Termine gibt es immer irgendwo (wenn auch vielleicht nicht in Altona). | |
Setzt man sich dann in den Bus und fährt zum Beispiel in das Kundenzentrum | |
Hamburg-Nord in der Lenhartzstraße, dann ist das so: Man betritt einen mit | |
Teppichboden ausgelegten Raum, in dem einen ein Schild darauf hinweist, | |
dass man, sofern man bereits eine Nummer hat, sich gerne dem Warten | |
hingeben kann, man braucht sich dann nicht an die Information zu wenden. Da | |
die meisten Menschen eine Nummer haben, braucht sich eigentlich niemand an | |
die Information zu wenden, außer den wegen vielerlei Dinge in ihrem Leben | |
erbosten Menschen, welche mit den Mitarbeitern erbittert wegen | |
Sachverhalten streiten möchten, wie zum Beispiel Vordrucken. | |
An diesem Tag, an dem ich im Kundenzentrum Hamburg-Nord meine Ummeldung | |
vorzunehmen gedachte, war das Kundenzentrum nur mäßig besucht. Die Sitze | |
waren leer, eine staubige Ruhe lag im Raum und interessiert betrachtete ich | |
die elektrische Anzeige, auf der irgendwann unsere Zahl auftauchen würde. | |
Es beunruhigte mich, dass bereits sehr viel höhere Zahlen aufgerufen wurden | |
als unsere. Es saßen einige Mitarbeiterinnen ruhig hinter ihren Tischen und | |
schienen sich ebenso dem Warten hinzugeben wie wir. Ich sagte zu meinem | |
Freund: „Lass uns da doch hingehen, diese Mitarbeiterinnen haben doch | |
nichts zu tun, da können sie doch uns schon dran nehmen“. | |
„Nein“, sagte mein Freund, „da steht es doch, dass wir warten müssen, bis | |
unsere Nummer aufgerufen wird.“ | |
Unser Termin war erst in 20 Minuten angesetzt, und da warteten wir. Es | |
wurden einige Nummern aufgerufen, mehrfach, deren dazugehörige Bürger aber | |
offensichtlich allesamt nicht erschienen. Das ausgeklügelte System erlaubt | |
es anscheinend nicht, dass in der für die nicht erscheinenden Bürger | |
eingeplanten Zeit, andere Bürger einzuschieben oder vorzuziehen. | |
So saßen wir da und betrachteten sehnsüchtig die Anzeigetafel und den | |
Teppichboden und die Uhrzeiger, und ich fühlte, wie sich die Dinge in | |
diesem Zustand der Ruhe und des Stillstandes verdichteten, zu der Essenz | |
unseres Daseins in der Behörde und in der Welt. Da sind wir in dem | |
Kästchen, das für uns vorgesehen ist. Und das selbst, wenn wir nicht da | |
sind. Auch als Abwesende sind wir immerhin ein Kästchen, eine Umrandung, in | |
dessen Rahmen unsere Abwesenheit stattfindet. Außerhalb dieses Kästchens | |
aber sind wir ein Nichts. | |
11 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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