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# taz.de -- Plastikverbot in Guatemala: Abuelita ist krank
> „Großmütterchen“ wird der Atitlánsee in Guatemala liebevoll genannt. D…
> in den letzten 20 Jahren hat sich die Gegend um ihn herum verändert.
Bild: Blick auf den den Atitlánsee in Guatemala
Das Epizentrum von San Pedro La Laguna ist der Markt. Er liegt am Fuße
eines Vulkans, ein paar schattige Gässchen entfernt vom Seeufer. Es ist
noch früh für die Touristen, die sich durch den Markt schieben, und bald
Feierabend für die Verkäufer. Ein Mann klimpert auf seinem Keyboard
biblische Lieder. Rote Tuk Tuks, made in India, rattern über den
Steinboden. Und trotzdem schläft ein junger Mann tief und fest auf einem
Berg Orangen. Neben ihm: grapefruitgroße Avocados, Säcke voller Bohnen,
hechelnde Straßenhunde.
Frauen balancieren Fruchtkörbe auf ihren Köpfen, an uniformierten Beamten
vorbei. Mit dem Klemmbrett in der Hand inspizieren sie die Stände – aber
sie suchen nicht nach illegaler Ware. Der Markt ist in San Pedro La Laguna
nicht nur der bunteste Ort, er soll auch der sauberste sein. Das zu
überprüfen ist ihre Aufgabe: plastikmüllfrei, so zumindest heißt es in
einer Verordnung, die das 14.000-Einwohner-Städtchen national und
international bekannt machte.
Seit zwei Jahren gibt es in San Pedro La Laguna ein striktes Plastik- und
Styroporverbot. Werden Marktverkäufer mit Plastiktüten erwischt, droht
ihnen eine Strafe von 300 Quetzal, umgerechnet knapp 40 Euro, heißt es im
gelb angestrichenen Gemeindehaus direkt neben dem Markt. Sie sind stolz
darauf, die erste Gemeinde am Atitlánsee zu sein, die auf die
überquellenden Müllhalden und Plastiktüten, die im See treiben, reagiert.
Der See ist sowohl Touristenmagnet als auch Frischwasserquelle für mehr als
300.000 Bewohner.
Mario Tuj Santos verwendete schon vor dem Verbot keine Plastiktüten mehr.
Weil sie gefährlich sind für unsere Umwelt, sagt Tuj Santos, seine
schwarzen Haare glänzen wie seine Lederschuhe, er sitzt lächelnd auf einer
Getränkekiste, während seine Frau einem Kunden ein Stück Fleisch reicht,
eingewickelt in ein Palmenblatt. Tuj Santos zeigt auf ein verrottendes
Maisblatt am Boden. Sie würden keinen Schaden anrichten, im Gegensatz zu
den Plastiktüten, die durch die Gassen fliegen. In der Regensaison würden
sie in den See geschwemmt werden und akkumulieren sich dort in einer
toxischen Suppe. Es ist das Wasser, das sie tagtäglich zu sich nehmen. „Das
Verbot ist gut für uns, die Welt und den Tourismus.“
## Der Gardasee Guatemalas
Der Atitlánsee ist der Gardasee Guatemalas. Er liegt etwa drei Stunden von
der Hauptstadt entfernt, in einem Tal, das einmal ein Vulkankrater war.
Versunkene Mayastädte liegen am Grund des 330 Meter tiefen Sees, sie sollen
Unesco-Weltkulturerbe werden. Die Anwohner des Sees sind zum Großteil
Indigene, sie sprechen Kaqchikel, Tzutujil oder K’iche’. In ihren Sprachen
hat der See einen Vor- und Nachnamen: Atitlán und Crystalina. Aber
kristallklar ist der See nicht mehr, das war früher.
Dass immer wieder Algen wie Ölteppiche auf dem See treiben, trübt die Sicht
auf den von Vulkanen umrahmten See. Für die einen ist der See bloß ein
Selfie-Hintergrundbild, für die Bewohner ist er aber Lebensgrundlage und
eine Art Heiligkeit. „Abuelita“ sagen die Indigenen zum See, und sie
wissen, ihr „Großmütterchen“ ist krank.
Seit 2009 kommt es vermehrt zu einer Algenblüte, einem explosionsartigen
Wachstum von Cyanobakterien. Und weil in immer kürzeren Abständen die
toxischen Algen über den vierzig Kilometer langen See flimmern wie
Bartstoppel, sorgen sich die Bewohner.
Humberto Manuel Cortez Gonzales hat dafür eine einfache Gleichung: „Der See
ist Leben. Und ohne Wasser kein Leben.“ Der Kunstlehrer steht in Hemd und
schwarzer Hose in einem Raum, der aussieht wie ein Grundschulklassenzimmer.
In Wirklichkeit ist es ein soziales Zentrum mitten in San Pedro La Laguna.
Die Tür ist offen. Touristen, Einheimische, Kinder und vor allem
Jugendliche haben hier Eintritt. Es gibt warmes Essen für Kinder – viele
von ihnen sind Waisen –, Hausaufgabenhilfen, Malkurse, eine Perspektive,
die ihnen mehr versprechen soll, als in den Drogenmissbrauch abzurutschen,
ein Problem abseits der Tourismuskulisse.
Alle drei Monate geht Cortez Gonzales mit den Kindern an den Strand. Der
Bürgermeister persönlich ruft zu einer kollektiven Aufräumaktion auf und
stellt Abfallsäcke bereit. Mehrere hundert Bewohner beteiligen sich.
Immerhin, durch das Plastikverbot seien die Sammelsäcke weniger voll, sagt
Cortez Gonzales, die Hände in den Hosentaschen vergraben.
Sonst aber würden die Behörden nichts gegen die Verschmutzung machen.
Anfang des Jahres versprach der Bürgermeister Mauricio Méndez, die maroden
Kläranlagen zu sanieren, denn bislang wurde der See als eine Art natürliche
Kläranlage genutzt. Abwässer fließen zum Großteil ungefiltert in den See.
Wenn es so weitergeht, droht der See zu kippen, warnen Wissenschaftler.
## Ort für Backpacker
Die Sorge um den See ist auch in den meisten Bildern von Cortez Gonzales’
Jugendlichen zu sehen. Touristen können deren Bilder für weniger als zehn
Euro kaufen, erklärt er. Geld, das in Stifte und Computer investiert wird.
Vor einem Bild eines Jugendlichen macht er Halt: Es zeigt einen Fischer auf
dem See, in freundlichen Pastellfarben, eine heile Welt. Jeder in San Pedro
weiß, dass das nicht die Realität ist. Der See ist nicht mehr nur eine
Heiligkeit. Darunter hängt ein Bild von Cortez Gonzales selbst: Es zeigt
einen Dorfältesten von hinten.
Er trägt einen Hut und eine schwarze Jacke. Seine Hose, eigentlich in
traditioneller Tracht, ist nur skizziert, aber nicht ausgemalt. „Wir
verlieren unsere Kultur“, sagt Cortez Gonzales. Er ist jemand, der
eigentlich stolz ist, an einem Ort aufgewachsen zu sein, wo sich die Leute
um die Tradition und ihren See kümmern. Er weiß aber auch, dass sich das
verändert hat.
San Pedro La Laguna ist ein Ort für Backpacker geworden. Touristen aus
allen Gesellschaftsschichten und aller Nationalitäten sind zu Besuch oder
haben sich angesiedelt. In der touristischen Hauptstraße gibt es ein
Angebot für alle: Japanische Restaurants reihen sich neben arabische
Falafelläden, ein Tattoo-Studio neben einen Bioladen. Holzschilder werben
mit Yoga. Aus einem italienischen Café duftet es nach Schokocrossaints.
Ein US-Amerikaner, der gitarrespielend durch die Gassen läuft, wird von der
Klingel eines Eisverkäufers übertönt. Dazwischen liegt das Angebot von
Ja’bel’ja, einem Touristenbüro und Gemeinschaftsprojekt, das das Ganze
drehen will: Touristen sollen hier über die Kultur der Maya lernen.
## Den See retten
Sechs Frauen leiten die Organisation, die übersetzt bedeutet: schöner See.
Damit fing es an, erklärt Wendy Navichoc, 2009, als der Atitlánsee mit der
bislang größten Algenblüte die Bevölkerung erschreckte. „Wir mussten
einfach etwas tun“, sagt die älteste der Touristenführerinnen. Die
Organisation war es auch, die zum ersten Mal ein Plastikverbot forderte.
Aus der Bemühung, den See zu retten, entstand eine neue Geschäftsidee und
eine Aufgabe, die sich fast nicht davon trennen ließ: die Tradition zu
erhalten, sagt Navichoc. Sie ist außer Atem, auf dem Weg zu Don Feliciano,
einem Dorfältesten, der den See schrumpfen, wachsen, dreckig und sauber
gesehen hat, lange bevor die Bewohner von Cyanobakterien gehört hatten.
Navichoc klopft an die Tür eines etwa hundert Jahre alten Lehmhauses. Don
Feliciano, fast genauso alt wie das Mauerwerk, erscheint und reibt sich die
Augen. Seitdem er aus seinem Amt als Bürgermeister geputscht wurde,
empfängt er Touristen in seiner Hütte wie zu einer Audienz. Einen
zementierten Boden gibt es in seinem Zimmer nicht, nur Erde. Auf einem
Tisch steht neben einer 2-Liter-Flasche Pepsi ein Fernseher, daneben ein
Berg an verstaubten Zeitschriften.
Im Hintergrund hängen an den Wänden aus Stein gemeißelte Porträts wie
Voodoo-Puppen: eines für jeden korrupten Politiker. Politik, sein Glaube
und die Tradition, das sind Don Felicianos Lieblingsthemen. Filmteams waren
schon in seiner Hütte, Hunderte Touristen, er ist ein bekannter Steinmetz,
Künstler, Geschichtenerzähler und einer der wenigen, der noch die
traditionellen bunten Hosen trägt.
## Das Dilemma mit Touristen
Der See ist heilig, sagt der 95-Jährige, mit zwei zur Decke gespreizten
Fingern. Seine Brille sitzt auf seiner Nasenspitze. Die Maya nennen den See
auch „Mutter“. Eine Einheit, die man beschützen und respektieren muss.
Viele würden das nicht mehr verstehen, sagt Don Feliciano, die Hände auf
die Hüften gestützt: „Der See hat keine Kraft mehr.“ Schuld daran sei die
Hotelindustrie auf der anderen Seite des Sees. Don Feliciano ist in einer
Zeit aufgewachsen, in der es keine Touristen gab. Sie hätten den Ort
verändert, sagt er. Und dennoch: Es ist gut, dass sie da sind. Sie kaufen
seine Kunst und helfen dem Ort.
Fast 400.000 Besucher besuchten im vergangen Jahr den Atitlánsee, mehr
Personen, als an der Lagune leben. Die meisten von ihnen kommen aus den
USA, gefolgt von Deutschen. Für Guatemala ist der Tourismus eine der
wichtigsten Einnahmequellen, er machte in den letzten fünf Jahren fast drei
Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.
Die Seeregion, noch vor weniger als zwanzig Jahren vom Kaffeeanbau und der
Fischerei geprägt, ist zu einem der wichtigsten Tourismusziele Guatemalas
geworden. Im Gebiet des Kratersees werden zwei Drittel aller Einnahmen aus
dem Tourismus erwirtschaftet, so das guatemaltekische Tourismusinstitut.
Gleichzeitig hat sich die Bevölkerung von San Pedro La Laguna in weniger
als zwanzig Jahren verdoppelt.
Früher gab es keine Läden mit Süßigkeiten und Chips, so erzählt es Wendy
Navichoc. Plastikmüll und Massenproduktion, das sei erst mit dem Tourismus
gekommen. Wenn sie von der Veränderung in ihrem Dorf spricht, sagt sie, es
gebe gute Dinge, die mit dem Tourismus kamen, und schlechte.
Die 39-Jährige sitzt auf einer gefliesten Mauer, die fast alle einstöckigen
Häuschen umsäumen, und grüßt die vorbeigehenden Leute. Jeder kennt sie im
Ort. Sie ist eine, die hier geboren wurde, in die Großstadt ging, um
Pharmazie zu studieren, sich Englisch selbst beibrachte und beide Welten
versteht: die von außen und das Leben im Dorf, wie es seit Hunderten von
Jahren existiert.
Auch Navichoc sorgt sich: Das Dorf stehe vor Herausforderungen. Die Kultur
verändere sich. Jugendliche wandern lieber in die USA aus, als ihre
Tradition zu schützen. Deshalb führt sie freiwillig Touristen durch das
Dorf. Sie erzählt von den Problemen am See und dem Erfolg des
Plastikverbots: „Es ist wichtig, dass sich nicht alles zu schnell
verändert“, sagt Navichoc. Eigentlich sei ihre Arbeit auch ein
Verteidigungsinstrument.
Die Recherche wurde gefördert und unterstützt vom Netzwerk Recherche und
der Olin Stiftung.
8 Apr 2019
## AUTOREN
Ann Esswein
## TAGS
Guatemala
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