# taz.de -- Kommentar Bluttest auf Down-Syndrom: Entscheidungsfreiheit zählt | |
> Es ist in Ordnung, wenn der Bluttest in Einzelfällen zur Kassenleistung | |
> wird. Aber wir müssen über den Umgang mit Behinderungen reden. | |
Bild: Der „Praena-Test“ auf Trisomie 21 | |
Es ist verrückt: Da können Schwangere schon seit einigen Jahren ihr Blut | |
testen lassen, ob sie womöglich ein Kind mit Down-Syndrom erwarten oder | |
nicht, der privat zu zahlende Test kostet ab 130 Euro aufwärts, also nicht | |
die Welt. Aber erst jetzt, wo die Krankenkassen in bestimmten Fällen | |
[1][die Kosten für diesen Test übernehmen werden], toben die Protestwellen | |
durch das Land: „Diskriminierung, Selektion!“ heißt es. | |
Behindertenverbände befürchten ein „Screening“ des mütterlichen Blutes | |
aller Schwangeren per Krankenkasse, mit dessen Hilfe bestimmte Menschen mit | |
Behinderungen quasi schon im Vorfeld „aussortiert“ werden. Die Welt soll | |
angeblich hässlicher, unmenschlicher werden, als sie jetzt schon ist, nur | |
weil die Kasse die Kosten für den Bluttest übernimmt. | |
Das ist übertrieben, nicht nur, weil der [2][Gemeinsame Bundesausschuss] | |
aus Vertretern der Ärzte und Krankenkassen am Freitag entschieden hat, dass | |
die Kassenleistung künftig ausdrücklich nur für Risikoschwangere gelten | |
soll, und darunter auch nicht automatisch für die älteren werdenden Mütter | |
über 35, es muss schon ein nachweisbares individuelles „Risiko“ vorliegen. | |
Es muss sich also um werdende Mütter handeln, die, gäbe es den Bluttest | |
nicht, womöglich die für den Fötus viel riskantere Fruchtwasseruntersuchung | |
gemacht hätten. Der Beschluss des Bundesausschusses für eine | |
Kassenfinanzierung in Einzelfällen ist, so gesehen, in Ordnung. Doch der | |
Protest und die Debatte um den Test hat auch etwas in Bewegung gesetzt, und | |
das ist zu begrüßen. | |
[3][Behindertenverbände] beklagen den „Rechtfertigungsdruck“ auf Eltern mit | |
einem behinderten Kind, der sich verstärken könnte, sollten | |
Reihenuntersuchungen auf chromosomale Abweichungen tatsächlich Schule | |
machen. So nach dem Motto: „Wer heute noch ein behindertes Kind bekommt, | |
ist doch selbst dran schuld.“ | |
An dieser Befürchtung der Verbände ist was dran. Die Schuldzuweisung an | |
Familien mit einem Kind mit Behinderung ist historisch betrachtet schon | |
immer eine Methode für Nicht-Betroffene gewesen, das Thema Behinderung, | |
überhaupt Abweichung von der Norm, weit von sich zu weisen. | |
## Der Blick in den Spiegel | |
Dabei ist dies ein fruchtloser Versuch: In Wirklichkeit macht eine alternde | |
Gesellschaft inzwischen in jedem Leben, in jeder Familie, die Erfahrung, | |
was ein Leben mit Einschränkungen, mit Behinderung bedeutet. | |
Anstatt die Behinderung, die Abweichung, abzulehnen, sollten wir uns damit | |
beschäftigen: Zur sozialen Kompetenz heute müsste es gehören, wie man mit | |
einem Menschen mit Demenz, mit Sehbehinderung, mit Taubheit, im Rollstuhl | |
umgeht. Denn genau diesem Menschen werden wir wahrscheinlich in unserer | |
Familie oder im Freundeskreis begegnen. Und vielleicht auch dann, wenn wir | |
uns irgendwann mal im Spiegel betrachten. | |
Der Umgang mit Behinderungen, mit Abweichungen von irgendwelchen Normen ist | |
das eine. Nur sollte man die notwendige Inklusion eben trennen von der | |
Freiheit zum Wissen und zur Entscheidung und von der Verantwortung und | |
Belastung der Mütter und Väter. | |
Eine Schwangerschaft abzubrechen, weil der Fötus eine Abweichung aufweist, | |
der man sich nicht gewachsen fühlt, bedeutet nicht, dass man grundsätzlich | |
gegen Inklusion ist oder Behinderte diskriminiert. Genauso wenig, wie man | |
Menschen mit Behinderungen und deren Familien diskriminieren darf, sollte | |
man Mütter herabsetzen, die sich für einen Bluttest und im Falle eines | |
positiven Ergebnisses für den Schwangerschaftsabbruch entscheiden. | |
Das dürfte meist ein Trauma sein, eine schwere Entscheidung und kein | |
schmerzloses „Aussortieren“ oder „Selektieren“ – Behindertenvertreter… | |
da mitunter auch etwas leichtfertig in ihrer Terminologie. | |
Es kann nicht darum gehen, Gräben aufzureißen. Stattdessen muss alles | |
möglich und akzeptiert sein: Eltern, die erst gar keine Tests machen; | |
Eltern, die mit einem Kind mit Behinderung ein glückliches Familienleben | |
haben; Eltern, die sich für einen Test entscheiden und sich mit den | |
Konsequenzen auseinandersetzen müssen. Das Unglück kann überall wohnen. Und | |
das Glück auch. | |
23 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Bluttest-in-der-Schwangerschaft/!5579672 | |
[2] https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen/789/ | |
[3] https://www.lebenshilfe.de/mitmachen/kampagnen/1221-trisomie-bluttest/ | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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