# taz.de -- Ex-Justizministerin über Terror-Angst: „Ich will für die Freihe… | |
> Angst lähmt nur, meint Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Ein Gespräch | |
> über falsche Anti-Terror-Politik und die richtigen Strategien gegen Hass. | |
Bild: Sabine Leutheuser-Schnarrenberger will keine Rechten in der Regierung | |
taz am wochenende: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie waren | |
Bundesjustizministerin in zwei Regierungen. In der letzten | |
CDU-FDP-Regierung Helmut Kohls traten Sie zurück – aus Protest gegen den | |
geplanten „Großen Lauschangriff“. Sie zählen zu jenen Heldinnen Ihrer | |
Partei, die für Freiheit und Grundrechte kämpfen. | |
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Und das tu ich weiter, als bekennende | |
Liberale und Kämpferin für das, was in unserem Grundgesetz zu lesen steht. | |
Es gibt in der FDP nur noch wenige wie Sie, die wie Gerhard Baum, Burkhard | |
Hirsch und Hildegard Hamm-Brücher für Bürgerrechte eintreten. | |
Wir alle haben und hatten eine Bürgerrechtsagenda – und uns eint, dass wir | |
Fragen der Sicherheit nicht denen der Freiheit überordnen wollen. | |
Sie schreiben inzwischen viele Bücher, sind Gast in Talkshows – und sind | |
doch unter den Granden der liberalen Freiheitsidee noch ein Nesthäkchen. Wo | |
sind die neuen FDP-Kämpfer gegen Bevormundung und für Selbstbestimmung? | |
Na gut – sagen wir so: Ich bin ein Nesthäkchen, das mit 67 Jahren auch in | |
die Jahre gekommen ist. | |
Vor zwei Jahrzehnten sind Sie mit Ihrer Weigerung, staatlichen | |
Abhörerlaubnissen Tür und Tor zu öffnen, ziemlich berühmt geworden. | |
In gewisser Weise sind all jene, die Sie nennen, Gerhard Baum zuerst, sehr | |
bekannt geworden. Aber es gibt in der FDP-Bundestagsfraktion auch neue, | |
junge Politiker, die für unsere Ideen streiten. | |
An wen denken Sie? | |
Die haben nicht so eine Chance, bekannt zu werden – aber wir haben schon | |
gute junge Leute. Konstantin Kuhle etwa, der 2017 in den Bundestag gewählt | |
wurde. Der wird auch präsenter – bei mir hat das auch länger gedauert, das | |
geht nicht von heute auf morgen. Ich bin froh, wenn ich ihn und andere wie | |
Benjamin Strasser unterstützen kann. | |
Als außerparlamentarische Person, die Sie sind? | |
Indem ich mit ihnen zusammen auftrete. Und die fragen mich gerne. Über die | |
Friedrich-Naumann-Stiftung habe ich die Möglichkeit, ihnen eine Plattform | |
zu bieten. Es ist politisch alles schwieriger, wenn man in der Opposition | |
ist. | |
Zumal es vier Oppositionsparteien gibt … | |
… und meine Partei, die FDP, von einer herausragenden Persönlichkeit wie | |
Christian Lindner sehr klar geprägt wird. Dann haben es andere schwerer, | |
auch bekannt zu werden. | |
Wir nehmen wahr: Die FDP – das ist vor allem eine Wirtschaftspartei. Die | |
klassischen Bürgerrechtsthemen werden von Christian Lindner nicht | |
thematisiert. | |
Wir klagen gemeinsam gegen Online-Durchsuchungen etwa, Christian Lindner, | |
Gerhard Baum, Burkhard Hirsch und ich. Das sind ja Pläne der | |
Digitalisierung, die einen ganz tiefen Eingriff in unsere Grundrechte, in | |
die Privatsphäre aller Bürger bedeuten würden. Anträge aus der Opposition | |
einzubringen ist leicht – und bringen gegen eine Regierungsmehrheit keinen | |
Erfolg. | |
Was ist heute anders im Vergleich zu früher – sind Bürger*innen nicht mehr | |
an der Verteidigung ihrer Grundrechte interessiert? | |
Für die FDP war es früher einfacher, in den Siebziger Jahren | |
beispielsweise. Wenn wir zwischen zwei Volksparteien wie der SPD und der | |
Union agierten, dann hatte man eigentlich eine gute Plattform, um sehr klar | |
Bürgerrechtspositionen zu beziehen. Und Volksparteien haben ja eine | |
Neigung, in dieser Hinsicht eher – vorsichtig ausgedrückt – ein bisschen | |
zurückhaltend zu sein. Jetzt haben wir sechs Parteien. Und natürlich auch | |
Grüne, auch andere, die sagen, etwas für die Grund- und Bürgerrechte tun zu | |
wollen. | |
Apropos Grüne: Sollten eigentlich alle Parteien miteinander im Bundestag | |
koalitionsfähig sein? | |
Alle nicht. Ich sehe keinerlei gemeinsame Grundsätze oder auch nur Ansätze, | |
um mit der AfD auch nur irgendwas gemeinsam machen zu können. Die natürlich | |
gerne auch andere kapern möchten, das merkt man immer wieder. Und es ist | |
auch mit den Linken nicht leicht, das brauch ich nicht zu betonen. Aber es | |
entwickelt sich doch inzwischen – so sehr ich das jetzt mal als | |
Beobachterin des Bundestages sage – ein besserer Umgang miteinander, weil | |
doch alle Parteien jenseits der AfD merken, dass man sich nicht feindselig | |
begegnen darf. Da bewegt sich momentan viel. Es ist kein Geheimnis, dass | |
ich mir nach der letzten Bundestagswahl ein Jamaika-Bündnis gewünscht | |
hatte. | |
Haben Sie das Buch namens „Angst essen Freiheit auf“ geschrieben, um diese | |
atmosphärischen Änderungen zwischen den Parteien jenseits der AfD zu | |
befördern? | |
Mein Buch ist wichtig, weil es die Grundrechte als wirklich konstitutives | |
Element unserer Demokratie in den Mittelpunkt stellt. Meine These ist – | |
klassisch liberal: Wir müssen uns für unsere Grundrechte einsetzen, die | |
sind nicht einfach da, sie müssen jeden Tag erkämpft und bewahrt werden. | |
Woran krankt es denn? | |
Seit Jahrzehnten greift der Staat in Grundrechte ein – weil er die Aufgaben | |
der Inneren Sicherheit, als Kampf gegen den möglichen Terror, gegen | |
organisierte Kriminalität vorzugehen, wahrnimmt. Dabei jedoch auch zu | |
Maßnahmen greift, die den Bürger sehr tief in seiner | |
Kommunikationsfreiheit, in dem was er sagt und tut, in seiner Privatsphäre, | |
in seiner Persönlichkeit berührt. Und das darf nicht grenzenlos und | |
anlasslos sein. | |
Wie konkret meinen Sie das? | |
In Deutschland gibt es alleine mehr als 37 staatliche Behörden, die sich in | |
irgendeiner Art und Weise mit Terror befassen, und die alle ihre Dateien | |
haben. Und je mehr ich Dateien haben, umso größer ist auch die Gefahr, dass | |
meine Freiheit eingeschränkt werden kann. Man kann sich auch so sichern, | |
dass am Ende alle Freiheit weg ist. Mein Credo ist aber, dass es keine | |
totale Sicherheit gibt – und wir sie auch nicht wollen sollten. | |
Zumal alle Sicherheitsvorkehrungen kaum etwas genutzt haben. | |
Mehr Datensammelei hat nicht die NSU-Morde verhindert, noch mehr | |
Sicherheitspolitik hat den Terroranschlag Anis Amris in Berlin auch nicht | |
vereitelt. Es hat nie daran gelegen, dass es nicht genug Informationen bei | |
staatlichen Behörden, zum Beispiel über das NSU-Tätertrio und deren Umfeld, | |
gab. Und Anis Amri war in allen Sicherheits-, in allen Antiterrorzentren | |
bekannt. Und man hat die Rechtslage falsch bewertet. Der hatte zig Pässe, | |
der hatte zig Namen. Dafür hat man extra eine Regelung geschaffen, um | |
jemanden, der sich so seiner Identifizierung entzieht, der vorbestraft war, | |
in Haft zu nehmen. Die Daten waren bekannt, das Gesetz hat man aber nicht | |
angewandt. Und daraus sage ich: Nein, es ist nicht so, dass immer mehr | |
Informationen auch mehr Sicherheit bringen. Der Heuhaufen wurde und wird | |
nur noch größer – und die Stecknadel wird erst recht nicht gefunden. Immer | |
mehr Wissen ist nicht zwingend mehr Sicherheit. Man muss analysieren | |
können! | |
Haben Sie deshalb Ihrem Buch diesen Titel gegeben: „Angst essen Freiheit | |
auf“? | |
Er ist auch eine Referenz an Rainer-Werner Fassbinder und seinen | |
wunderbaren Film „Angst essen Seele“ auf. Die Angst vor Drohendem, das will | |
ich ausdrücken, beginnt uns zu lähmen. Wir passen unser Verhalten als | |
Freiheitsliebende an jene an, die unentwegt von Fürchterlichem, das kommen | |
werde, sprechen. Dann setzt sich eine Schere im Kopf fest. Man kommuniziert | |
anders, wenn man meint, die Kommunikation würde überwacht, angezapft, | |
Informationen würden anders verwandt werden. Und dann verändere ich durch | |
mein eigenes Verhalten, weil ich Angst vor bestimmten Bedrohungen und | |
Ausgrenzungen habe, mein Verhalten. Und dann isst die Angst die Freiheit, | |
meine eigene Freiheit, auf. | |
Sie alarmieren? | |
Nein, ich rede keinem Alarmismus das Wort. Davon halte ich nix. Ich möchte | |
jedoch dazu ermuntern, dass Freiheit etwas Positives ist. Ich will | |
motivieren und für die Freiheit begeistern. Wir dürfen nicht in einer | |
ungewissen Welt alles an Sicherheitswünschen dem Staat überantworten, nach | |
dem Motto: Wir gehen ins Mauseloch und warten dort, bis es irgendwie besser | |
wird. | |
Worin sehen Sie die Gefährdung dessen, was Sie Freiheit nennen? | |
Dass noch viel zu viele in Sachen Datenschutz den Satz: „Ich habe doch | |
nichts zu verbergen, unterschreiben würden. Und ich sehe eine Gefahr für | |
unsere Meinungsfreiheit. Ich sehe sie darin, dass sie natürlich extensiv | |
von denen genutzt wird, die damit gerne Schindluder treiben. Also wir reden | |
ja immer von Hassreden, von Fake News, von Desinformationskampagnen – ja | |
natürlich gefährden die unsere Meinungsbildung. Aber umso mehr muss man | |
doch jetzt, als Einzelner – aber gerade auch als Initiative, Partei, | |
Stiftung und so weiter – dafür sorgen, dass wir dagegen halten. Dass wir | |
mal sagen: Ja, das ist aber alles Manipulation. Das sind die eigentlichen | |
Fakten. Da kommt ein Diskurs in Gang, da kommt auch eine streitige | |
Auseinandersetzung in Gang, und die ist mit Mehrwert verbunden für uns | |
alle. | |
Sollte man Fake News verbieten? | |
Man kann Fake News nicht verbieten. Fake News gibt es nicht erst seit | |
heute. Wie war das denn im Kalten Krieg? Wie ist denn da mit | |
Falschinformationen, meistens von Geheimdiensten, gearbeitet worden? Eben. | |
Man kann allen Unsinn verbreiten – und es ist nicht strafbar. Man muss | |
gegen Fake News argumentieren, ihnen etwas entgegensetzen – mehr geht | |
nicht. | |
Sollte man nicht wenigstens Hass-Reden und -Schriften verbieten? | |
Ich verstehe dieses Anliegen. Hass-Reden sind per se nicht verboten. Ich | |
kann sogar über unsere Demokratie, unsere Regierung herziehen. Nur wenn ich | |
einen Minister oder die Kanzlerin oder eine Person mit Hasstiraden | |
überziehe und sie damit beleidige, dann ist das nach unserem geltenden | |
Recht verboten. Volksverhetzung, das hat auch mit Hass zu tun, nämlich | |
Menschen aufzubringen gegen Teile unserer Gesellschaft, ist auch strafbar. | |
Aber Hass zu schüren gegen den Islam, gegen Muslime, gegen Juden und | |
Jüdinnen – muss das erlaubt bleiben? | |
Wenn jemand sagt, wir müssen auf die Straße, Muslime machen alles kaputt, | |
die unterwandern uns, der Untergang ist nah, dann kann das ein Delikt der | |
Volksverhetzung sein. Und das ist strafbar. Das Entscheidende ist aber, | |
durch die Existenz der sozialen Netzwerke, dass man sich nur wehren kann, | |
indem man gegenhält. Mit Argumenten. Man darf sich das nicht alles so | |
entwickeln lassen, so nach dem Motto „So ein Schwachsinn, hör ich gar nicht | |
hin“. Es gibt genug Chats, Netzwerke, digitaler Art, wo genau das | |
kommuniziert wird. Und es gibt die, die auf die Straße gehen. Sei es in | |
Leipzig, in Dresden, in München, wo auch immer. Und denen darf man nicht | |
den öffentlichen Raum überlassen. | |
Aber wo ziehen Sie die Grenze? | |
Dort, wo es um üble Nachrede, Beleidigung, Ehrverletzung, Volksverhetzung | |
geht. Oder wenn – das ist bei uns in Deutschland ja so – mit verbotenen | |
Symbolen, etwa Hakenkreuzen, agiert wird. | |
Auschwitz zu leugnen, ist auch verboten. | |
Ich hab das Gesetz gemacht, das Holocaustleugnen strafrechtlich zu | |
verbieten. Ich war massiv kritisiert worden, weil das natürlich eine | |
Einschränkung der Meinungsfreiheit ist. Das Bundesverfassungsgericht hat | |
entschieden: Das geht verfassungsrechtlich gerade so in Ordnung. In anderen | |
Ländern, wie den USA und Großbritannien wäre das nicht möglich. In | |
Deutschland mit seiner NS-Geschichte ist das Gesetz, das die | |
Meinungsfreiheit begrenzt, wichtig. | |
Warum? | |
Mit Blick auf die Opfer, auf die Betroffenen, die Überlebenden der | |
NS-Verfolgung. Deren Familien haben Schlimmes erlitten Heute den Holocaust | |
zu leugnen oder zu relativieren, ist diese eine Missachtung der Würde der | |
Opfer, dieses Mit-Füßen-Treten der Ehre dieser Menschen, die da vollkommen | |
verloren gegangen war, das darf man nicht hinnehmen nach dem Motto „Ist | |
nicht so tragisch“. Das hat mich überzeugt, und deshalb habe ich das Gesetz | |
gemacht. | |
Warum soll nicht der Hass aus rechtsradikalen Kreisen gegen Muslime ebenso | |
verboten sein? | |
Es gibt fürchterliche Reden, Hass gegen Muslime, gegen den Islam, den man | |
als Gefahr für unsere Gesellschaft auserkoren hat, der angeblich unser | |
Deutschsein unterwandern würde. Da gibt es rechtliche Grenzen. Die | |
durchzusetzen, ist allerdings in jeder Hinsicht und von Fall zu Fall | |
verschieden schwierig. | |
Wie stellen Sie sich eigentlich die Zukunft Deutschlands unter einer | |
rechten Führung vor? | |
Ich will mir das nicht vorstellen. Solange ich noch irgendeinen Satz sagen | |
kann, werde ich alles tun, um möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, | |
dass darin nicht die Zukunft Deutschlands liegt. Ich will keine Regierung | |
wie in Italien haben. Auch nicht wie in Österreich. Natürlich verändert es | |
das gesellschaftliche Klima, wenn rechte und rechtspopulistische Parteien | |
regieren. Und das führt dann mit einem Mal schrittweise zu einer Politik, | |
die auch da ansetzt, wo es eigentlich aus unserer Sicht, gerade was unseren | |
Rechtsstaat, was die Justiz angeht, keine Verschiebungen geben darf. Man | |
kann über alle möglichen Fiktionen wunderbar spekulieren, auch über eine | |
rechte Regierungsbeteiligung in Deutschland: Ich nicht. | |
31 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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