# taz.de -- Unterhaus-Speaker John Bercow: Lust an der Provokation | |
> John Bercow leitet das britische Unterhaus und lenkt Debatten ungeniert. | |
> Früher war er Chef besonders durchgeknallter Thatcher-Groupies. | |
Bild: Flexibel: John Bercow war als Tennisprofi zu klein, also wurde der Politi… | |
BERLIN taz | Außerhalb Großbritanniens wurde John Bercow allgemein bekannt, | |
als das britische Parlament die Bühne des Brexit-Streits wurde. Der | |
„Speaker of the House of Commons“, also der Präsident des Unterhauses, hat | |
im politischen Gefüge von Westminster eine zentrale Funktion: Er erstellt | |
nicht nur die Rednerliste und ruft Redner und Anträge auf, es liegt auch in | |
seinem Ermessen, welche Anträge, die nicht von der Regierung kommen, | |
überhaupt behandelt werden. Das gibt Bercow, der als Gegner des Brexit | |
bekannt ist, erhebliche Möglichkeiten zur Lenkung von Brexit-Debatten, | |
[1][und er reizt diese Möglichkeiten ungeniert aus]. | |
Das war nicht absehbar, als John Bercow im Alter von 46 Jahren Speaker | |
wurde. Es war damals, im Juni 2009, die Dämmerzeit der Labour-Regierung, | |
und die Wahl eines Konservativen zum Präsidenten des Unterhauses nahm den | |
Machtwechsel 2010 voraus. Aber eben nicht irgendeines Konservativen, | |
sondern dieses Enkels jüdisch-rumänischer Emigranten namens Berkowitz, der | |
quer zu allen Lagern agiert. | |
Bercow wuchs in London in einfachsten Verhältnissen auf und wollte | |
eigentlich Tennisprofi werden, wofür er aber zu klein war. Also ging er in | |
die Politik, in der Thatcher-Ära der 1980er Jahre. Er wurde Chef der | |
rechtskonservativen Federation of Conservative Students (FCS), Sammelbecken | |
der besonders durchgeknallten Thatcher-Groupies an den Universitäten, das | |
durch Störaktionen auf sich aufmerksam machte und lautstark Solidarität mit | |
Apartheid-Südafrika oder die komplette Privatisierung des Bildungswesens | |
forderte. | |
Die FCS wurde schließlich als zu rechtsradikal aufgelöst, aber ihr Chef | |
Bercow blieb der Parteiführung verbunden, wurde Stadtrat in Südlondon und | |
1997 schließlich Wahlkreisabgeordneter für das südenglische Buckingham, das | |
er bis heute im Unterhaus vertritt. | |
## Perückenzwang für sich selbst abgeschafft | |
Der FCS-Politikstil „Viel Feind, viel Ehr“ prägt bis heute Bercows Stil: | |
die Lust an der gezielten Provokation, der Regelbruch im Sinne der eigenen | |
Sache. Er hat das Unterhaus modernisiert, den Krawattenzwang für | |
Abgeordnete und den Perückenzwang für sich selbst abgeschafft, aber er | |
gehört auch zu jener Generation radikaler Brutalo-Thatcheristen, die | |
konservative Ehrfurcht verachten und die Zerstörung des Bestehenden | |
predigen, damit sich am Ende der Stärkere durchsetzt. | |
Dies prägt auch heute seinen Instinkt im Parlament, wenn Regierung und | |
Hinterbänkler über die Hoheit über den Brexit streiten. Mal kramt der | |
Speaker obskure Präzedenzfälle aus dem Jahr 1604 hervor, um Theresa May zu | |
ärgern, dann wieder nennt er Präzedenz hinderlich, weil sich sonst nie | |
etwas ändern würde. | |
Kritiker bemängeln nicht nur diese Skrupellosigkeit. Zweifelhafte Vorfälle | |
in Bercows Umgang mit Mitarbeiterinnen hätten ihn schon fast seinen Job | |
gekostet, wenn die Labour-Opposition sich nicht schützend vor ihn gestellt | |
hätte. Und Bercows Hang zu antiquierter Rhetorik und Theatralik ist nicht | |
seinem Amt inhärent, sondern lediglich seiner Vorstellung davon. [2][Aber | |
einmalig ist diese Vorstellung durchaus.] | |
27 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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