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# taz.de -- Gesundheit und Armut: Selbständig ohne Krankenschutz
> Soziale Initiativen beklagen die Not von Menschen ohne
> Krankenversicherung in Deutschland. Betroffen sind auch verarmte
> Selbstständige.
Bild: Bratwürste verkaufen: Bringt das genug Geld für die private Krankenvers…
Berlin taz | Kann es sein, dass man bei einer Firma in Deutschland
arbeitet, als angestellter Lieferfahrer, 58 Jahre alt, und keine
Krankenversicherung hat, keine bekommt bei einer gesetzlichen Krankenkasse
und auch keine bezahlbare kriegen kann bei einer privaten Kasse? Ja, das
kann passieren und bei Gyözo Csizmadi wäre der Darmkrebs wahrscheinlich
noch nicht so weit fortgeschritten, hätte ihn eine gesetzliche Kasse vor
ein paar Jahren aufgenommen.
„Ich habe doch gearbeitet, Steuern gezahlt, Rentenversicherung gezahlt.
Mein Arbeitgeber wollte auch eine Krankenversicherung für mich zahlen. Aber
keine Kasse hat mich genommen“, erzählt Csizmadi, gelernter
Außenhandelskaufmann und ungarischer Staatsbürger.
Sein Problem: Er war damals, bei der Jobaufnahme vor zehn Jahren in
München, schon 58 Jahre alt, hatte zuvor in Deutschland jahrelang als
Selbstständiger gearbeitet, aber niemals eine deutsche Krankenversicherung
besessen. AOK, Barmer & Co nehmen aber niemanden mehr auf, der älter ist
als 55 Jahre und niemals in der Gesetzlichen war. Eine private Krankenkasse
wiederum verlangte horrende Prämien, die Csizmadi mit seinem Gehalt nicht
bezahlen konnte. Er blieb ohne Krankenschutz.
## Unterschiedliche Zwangslagen
„Die Menschen können aus sehr unterschiedlichen Gründen keine
Krankenversicherung haben“, sagte Valentina Manasieva, Projektkoordinatorin
bei [1][„Ärzte der Welt“.] Die Organisation und andere Initiativen
beschäftigten sich in mehreren Veranstaltungen auf dem Kongress „Arbeit und
Gesundheit“ in dieser Woche in Berlin mit dem Thema der
„Nichtversicherten“.
Unter den Nichtversicherten befinden sich untergetauchte Geflüchtete,
arbeitslose EU-BürgerInnen ohne Sozialleistungsanspruch, „Overstayer“ aus
Drittstaaten, deren Reisevisa ausgelaufen sind. Und deutsche Selbständige,
die ihre frühere private Krankenversicherung verloren haben, weil sie die
Beiträge nicht mehr zahlen konnten.
Bei der [2][Clearingstelle] für nicht krankenversicherte Menschen in Berlin
sind etwa die Hälfte der Anfragenden Deutsche, darunter viele
Selbstständige, erzählt Sozialarbeiterin Carolin Ochs. „Die sagen dann: ein
Glück, dass es jetzt eine solche Beratung gibt.“ Ingo Neupert vom
Sozialdienst des Universitätsklinikums Essen berichtete, dass sich unter
den Klinikpatienten ohne Krankenversicherungsschutz zu 30 bis 40 Prozent
Deutsche befinden, auch viele ehemals Selbständige.
Laut Schätzungen von „Ärzte der Welt“ sind in Deutschland zwischen 80.000
und mehreren hunderttausend Menschen aus allen Nationen ohne
Krankenversicherung.
## Krankheiten schreiten voran
Die Folgen können schlimm sein: Der Münchner Lieferfahrer Csizmadi bekam
2017 Bauchschmerzen und Durchfall, der nicht enden wollte. Er ging als
Selbstzahler ins Krankenhaus, wo man ihn mit einem harmlosen Befund wieder
wegschickte. Der Durchfall und die Schmerzen blieben. 2018 schließlich kam
er zur Anlaufstelle bei „Ärzte der Welt“ in München, dort werden Patienten
auch ohne Krankenversicherung allgemeinärztlich untersucht, beraten und
weitervermittelt.
„Die hatten nicht geglaubt, dass es sowas gibt“, erzählt er. Die Fachärzte
stellten einen weit fortgeschrittenen Darmkrebs fest. Er bekam endlich eine
Behandlung, demnächst wird über eine Operation entschieden. Und er hat
jetzt eine Krankenversicherung, bei der Barmer Ersatzkasse. Denn Csizmadi
ist jetzt Empfänger der Grundsicherung im Alter, die BeraterInnen von
„Ärzte der Welt“ haben ihm dazu verholfen.
Etwas anders als bei Csizmadi ist die Situation von Privatversicherten, die
in Zahlungsschwierigkeiten geraten. „Wir sehen immer mehr ältere Menschen,
die die Beiträge für die private Kasse nicht mehr zahlen konnten und daher
vor Jahren herausgeschmissen wurden aus der Krankenversicherung“ sagte Nele
Kleinhanding vom Verein [3][„Armut und Gesundheit in Deutschland“.] Die
Krankenkassen, gesetzliche wie private, haben zwar eine
Wiederaufnahmepflicht für PatientInnen, die irgendwann früher mal bei ihnen
versichert waren. Aber sie haben auch das Recht, die nicht gezahlten
Beiträge für die „Zeit dazwischen“ rückwirkend einzufordern.
## Hohe Beitragsschulden
„Die Beitragsschulden sind ein Riesenproblem“, sagte Kleinhanding, „da
geraten die Leute in eine Schuldenfalle, aus der sie nicht mehr
herauskommen“. Sie berichtete von einem Klienten, bei dem sich 9.000 Euro
an Beitragsschulden angehäuft hatten. Der Mann ist jetzt
Hartz-IV-Empfänger, wieder krankenversichert, und bekommt dennoch
regelmäßig die Mahnungen von der Kasse, seine Schulden zu bezahlen. Durch
die Mahngebühren wächst der Schuldenberg jedes Jahr ein Stückchen mehr.
„Es gibt Leute, die kriegen Hartz IV und zahlen trotzdem die Schulden jeden
Monat durch kleine Beiträge ab“, erzählt Manasieva. „Manche Krankenkassen
machen da sehr viel Druck.“
17 Mar 2019
## LINKS
[1] https://www.aerztederwelt.org/
[2] https://www.berliner-stadtmission.de/was-wir-machen/chancen-geben/menschen-…
[3] https://www.armut-gesundheit.de/
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Krankenkassen
Schwerpunkt Armut
Rente
Flüchtlinge
Griechenland
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