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# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in Italien: Milde mit Männern
> Vergewaltigungen und Morde: In gleich drei Fällen waren italienische
> Richter*innen sehr nachsichtig mit den Tätern. Das sorgt für Empörung.
Bild: Oft finden Richter*innen einen Grund, warum die Frau mitschuldig oder ung…
Es scheint fast, als brächen wieder gute Zeiten an für gewalttätige Männer
in Italien. Gleich drei Gerichtsurteile, die in den letzten Tagen bekannt
wurden – zwei wegen Mordes, eines wegen Vergewaltigung – sorgen angesichts
ihrer Milde, angesichts des Verständnisses für die Täter für Empörung.
Da war zunächst der Fall der Olga Mattei. Sie lebte in Riccione an der
Adriaküste. Die 46-Jährige war nur gut einen Monat mit dem 57-jährigen
Michael Castaldo zusammen, dann beendete sie die Beziehung, da sie seine
krankhafte Eifersucht nicht ertrug. Das wollte ihr „Freund“ nicht hinnehmen
– er strangulierte sie im Oktober 2016. In erster Instanz hatte er 30 Jahre
Haft erhalten, doch das Berufungsgericht in Bologna war weit milder: Es
reduzierte seine Strafe auf 16 Jahre. Laut Urteilsbegründung nämlich war
ihm zugute zu halten, dass er sich während der Tat in einem „emotionalen
Gewitter“ befunden hatte. Die Staatsanwaltschaft will jetzt vor das
Kassationsgericht ziehen, um diesen Urteilsspruch anzufechten.
Ein ganz ähnliches Urteil erging dann in Genua. Dort hatte ein Ecuadorianer
seine Frau erstochen. Da er ein verkürztes Gerichtsverfahren gewählt hatte,
saß eine Einzelrichterin über ihn Gericht, und auch sie mochte nur 16 Jahre
Haft verhängen. Denn, so heißt es in ihrer Urteilsbegründung, der Täter
Javier Gamboa sei von „einer Mischung aus Wut, Verzweiflung, tiefer
Enttäuschung“ getrieben worden: Er habe „unter Antrieb einer sehr
intensiven, nicht vorgetäuschten und menschlich auch nicht völlig
unverständlichen Gefühlslage“ gehandelt. Seine Frau nämlich habe ihm
versprochen, ihre Beziehung mit einem Geliebten zu beenden und habe das
dann doch nicht getan, damit sei der Täter seinerseits Opfer von „Täuschung
und Enttäuschung“ geworden.
Dann zitiert die Richterin noch ausgiebig die Beleidigungen, die die
Ermordete vor der Tat ihrem Mann entgegengeschleudert habe, „du bist alt,
du widerst mich an“, „du hast doch nicht die Eier, um mich umzubringen“.
Bezeugt werden diese Beschimpfungen aber ausschließlich durch den Mörder
selbst.
## Anwältin: Italien kehre zum „Ehrendelikt“ zurück
Für die Nebenklageanwältin, die die Angehörigen des Opfers vertritt, ist
das Urteil ein Skandal. Sie selbst zieht die parallele zu dem Richterspruch
von Bologna, der mit dem „emotionalen Gewitter“ – und hält fest, dass in
jeder Eifersuchtstat „eine emotionale Komponente“ präsent sei, dass man mit
diesem Argument mithin generell mildere Strafen verhängen könne, und damit
„öffnet sich eine Art juristisches Niemandsland“.
Mehr noch, mit solchen Urteilen kehre Italien zum „Ehrendelikt“ zurück, zu
jenem erst 1981 aus dem Strafgesetzbuch getilgten Paragraphen, der den Mord
an Frau, Schwester oder Tochter mit bloß drei bis sieben Haft sühnte, wenn
die Angehörige sich auf außereheliche Beziehungen eingelassen hatte. Die
Anwältin rechnet vor, dass auch der Täter von Genua nach lediglich sieben
bis acht Jahren wieder draußen sein kann. Für jedes Jahr Haft werden bei
guter Führung drei Monate gutgeschrieben, und dann nach sieben bis acht
Jahren könne er Freigänger werden.
Um Jahrzehnte droht auch ein Urteil in einem Vergewaltigungsfall Italien
zurückzuwerfen. Drei Richterinnen hatten in Ancona den Fall von zwei jungen
Peruanern zu beurteilen, die von einer 22-Jährigen, ebenfalls aus Peru,
wegen Vergewaltigung angezeigt worden waren. Die junge Frau hatte sich
direkt nach der Tat in einem Krankenhaus untersuchen lassen. Dort waren
Vaginalverletzungen festgestellt und Benzodiazepine – die berüchtigten
K.o.-Tropfen – im Blut nachgewiesen worden.
## Opfer sah laut Richterinnen zu maskulin aus
Den Richterinnen reichte das nicht. Einer der Täter habe das Opfer mit dem
Alias „Wikinger“ in seinem Handy gespeichert, und in der Tat, befanden die
Juristinnen, sehe die Frau so maskulin aus, dass man sich eine
Vergewaltigung einfach nicht vorstellen könne. Und dass das Opfer betrunken
war, legten die Richterinnen als „Gerissenheit“ aus, da sie sich so ihrer
Mutter gegenüber ein Alibi für den in Wirklichkeit einvernehmlichen
Geschlechtsverkehr habe schaffen wollen.
So war es vor einigen Jahrzehnten regelmäßig vor Italiens Gerichtshöfen:
Hochnotpeinliche Befragungen mussten sich regelmäßig die
Vergewaltigungsopfer, nicht die Täter gefallen lassen. Bei dem in Ancona
gesprochenen Urteil schritt jetzt allerdings das Kassationsgericht ein. Es
hob den Freispruch auf und verwies den Fall zur Neuverhandlung nach
Perugia.
15 Mar 2019
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
Gewalt gegen Frauen
Schwerpunkt #metoo
Urteil
Italien
Katholische Kirche
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