# taz.de -- Preis der Leipziger Buchmesse: Sieg über die Angst | |
> Harald Jähner erhält den Leipziger Buchpreis für seine Studie | |
> „Wolfspreis“. Das Sachbuch erzählt anekdotenhaft über | |
> Nachkriegsdeutschland. | |
Bild: Mit „dramaturgischem Gespür und Eloquenz“: Harald Jähner nimmt in L… | |
Als die Jury des Leipziger Buchpreises am Donnerstagnachmittag ihre | |
Entscheidungen verkündete, schien die Nachmittagssonne auf viele zufriedene | |
Gesichter. Die Jury hat ihre Sache gut gemacht. Fünf Autoren, darunter eine | |
Frau, waren mit ihren Sachbüchern nominiert. Verliehen wurde der | |
Sachbuchpreis Harald Jähner für „Wolfszeit“, seine Studie über „Deutsc… | |
und die Deutschen 1945–1955“, bei Rowohlt Berlin erschienen. | |
Erwartet wurde, dass die Jury entweder Jähners Buch oder das seines | |
Rowohlt-Kollegen Frank Biess, „Republik der Angst. Eine andere Geschichte | |
der Bundesrepublik“, auszeichnen würde. Die Dialektik der kollektiven Angst | |
vor Automatisierung, Arbeitslosigkeit und atomarer Apokalypse besteht für | |
Biess darin, dass sie die gesellschaftliche Ordnung infrage stellte, aber | |
auch stabilisierte. | |
Mit dem Aufstieg des rechten Populismus ist Angst zu einer mächtigen | |
politischen Ressource geworden. Insofern könnte man in der Wahl der Jury | |
eine Entscheidung dafür sehen, welchen Diskurs es dringender zu stärken | |
gilt: | |
Denjenigen der Auseinandersetzung mit der Angst, oder denjenigen der | |
Rückbesinnung darauf, wie die bundesrepublikanische Gesellschaft in den | |
Trümmerfeldern der Städte, in den Familien, durch die Frauen, auf den | |
Schwarzmärkten, in den Fabriken von VW und in der Auseinandersetzung mit | |
den Verbrechen des Nationalsozialismus entstanden ist. | |
Denn davon handelt Harald Jähners Buch, das in der angelsächsischen | |
Tradition der Historiografie anekdotenreich und, wie die Jury festhielt, | |
mit „dramaturgischem Gespür und Eloquenz“ die Nachkriegsjahre umkreist, | |
über die viele Mythen kursieren. Jähner zeigt, dass sie eine Phase des | |
Neubeginns waren, die zwar auch durch das Gefühl vieler Deutscher bestimmt | |
wurde, man selbst sei ja auch nur ein Opfer der Gewaltherrschaft gewesen – | |
aber eben nicht nur. | |
Anschaulich erzählt Jähner von 40 Millionen Entheimateten, die zu Fuß oder | |
in überfüllten Zügen das Land durchquerten oder in Lagern für Displaced | |
Persons darauf warteten, weiterzureisen. Er berichtet vom Männermangel, | |
einer Scheidungswelle und vom alltäglichen Mundraub. En passant formuliert | |
er streitbare Thesen, über die es zu diskutieren lohnt. | |
Unter anderem weist Jähner darauf hin, welche bedeutende Rolle bei der | |
Entprovinzialisierung des Landes die aus den deutschen Ostgebieten | |
Vertriebenen spielten, die als „Flüchtlinge“ oft nicht wohlgelitten waren. | |
Für Jähner waren die Schlesier und Sudetendeutschen trotz ihrer | |
revisionistischen, ultrarechten Verbände „Agenten der Modernisierung“, | |
schon allein, weil sie die Verhältnisse in Dörfern und Kleinstädten | |
produktiv aufmischten. | |
22 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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