# taz.de -- Flucht und humanitäres Engagement: Nur Objekte sind willkommen | |
> Viele, die Geflüchteten helfen, interessieren sich nicht für die | |
> politische Identität der Personen. Dabei wäre das gar nicht so | |
> kompliziert. | |
Bild: Eine aus Syrien geflüchtete Frau schaut auf einen Monitor mit Integratio… | |
Schon längst ist es zum Modeartikel geworden: Das kleine Bildchen, auf dem | |
ein Paar rennt, die Frau hält ein Kind an der Hand. Darüber bogenförmig die | |
Aufschrift Refugees Welcome. Die flüchtende Familie gibt es als T-Shirt, | |
als Beutel, als Plakat, als Banner, als Sticker. | |
Und sicherlich steckt dahinter eine gute Absicht: Dem rechtspopulistischen | |
Bild der Sozialschmarotzer oder der Kriminellen, die angeblich nach | |
Deutschland kommen, wird entgegengesetzt: Eine Familie in Not, die es sich | |
nicht ausgesucht hat, ihr Land zu verlassen. „Say it loud, say it clear – | |
Refugees are welcome here“ – lautet dementsprechend der Slogan auf | |
Demonstrationen. | |
Schaut man allerdings hinter die guten Absicht, so zeigt sich eine latente | |
Überheblichkeit. Die Geflüchteten, die man meint, werden in der dritten | |
Person genannt, als seien sie abwesend. Es gibt ein „Wir“ mit politischen | |
Forderungen, das über scheinbar hilfsbedürftige Abwesende redet, die selbst | |
gar nicht gefragt werden. Solche Solidaritätsbekundungen machen die | |
„Refugees“ einmal mehr zu Objekten, zu „den Anderen“, über die geredet | |
wird, die aber unsichtbar und stimmlos bleiben. | |
Tatsächlich ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sie auf der betreffenden | |
Demo gerade nicht mitlaufen. So wie am vergangenen Samstag, als in Berlin | |
eine Demonstration gegen Rassismus stattfand. Syrer*innen waren an diesem | |
Tag aber ganz woanders unterwegs – nämlich auf einem Protestmarsch gegen | |
Assad, unter dem Motto „Die syrische Revolution lebt“. Die parallel | |
laufende Demonstration gegen Rassismus – der ja viel mehr umfasst als | |
Rassismus gegen Geflüchtete – war zweifelsohne wichtig. Aber es ist | |
befremdlich, Menschen willkommen zu heißen, über die man so wenig weiß, | |
dass man deren wichtigsten politischen Mobilisierungstag nicht auf dem | |
Zettel hat. | |
## Wo bleibt die politische Dimension? | |
Das Othering im „Refugees Welcome“ ist somit kein rein rhetorisches | |
Problem. Denn ob nun aus Elend oder wegen politischer Verfolgung – jeder, | |
der oder die ihr Land unter bedrohlichen Umständen verlässt, ist ein | |
politisches Subjekt, das sich gegen strukturelle Zwänge auflehnt, ihnen | |
entflieht. | |
In vielen arabischen Ländern gab es den Versuch einer Revolution. Der | |
Versuch, eine Diktatur in eine Demokratie zu verwandeln – Menschen gingen | |
dafür ins Gefängnis, wurden gefoltert, verloren Freund*innen und Angehörige | |
oder sogar ihr eigenes Leben. Viele wollen von ihrem hiesigen Exil aus | |
weiterhin auf die Zustände in ihrer Heimat einwirken. Die ausschließlich | |
Reduzierung auf den humanitären Aspekt – der wichtig ist – lässt die | |
politische Dimension verschwinden. | |
Das hat mit einem heimlichen Wunsch von Weißen zu tun, sich selbst als | |
Helfer*innen zu fühlen. Denn, Hand auf’s Herz: Wie heißen diejenigen, die | |
in Syrien die säkulare Opposition angeführt oder mitgestaltet haben? Wie | |
steht es um demokratische Bewegungen in Afghanistan? Was ist aus dem | |
Arabischen Frühling im Jemen geworden, und was ist eigentlich Deutschlands | |
Rolle in diesen Ländern, wenn es zum Beispiel um militärische Intervention | |
geht? Das große Unwissen ist Symptom eines gesellschaftlichen und medialen | |
Desinteresses. Und es zeigt, dass es letztlich darum geht, sich selbst als | |
Retter*innen, als Großzügige fühlen zu können. Aus dieser Position heraus | |
kann aber keine Begegnung auf Augenhöhe stattfinden. | |
Die Augenhöhe ist auch deshalb so schwierig, weil sie strukturell nicht | |
gegeben ist. Trotzdem kann es innerhalb systemisch angelegter | |
Machtverhältnisse zumindest ein erster Schritt sein, zuzuhören, sich für | |
die Anliegen derer zu interessieren, die in diesem hierarchischen Gefälle | |
nicht zu Wort kommen. Wohlgemerkt, ohne sich die Kämpfe anzueignen und sie | |
zu vereinnahmen. | |
## Die Verantwortung der Medien | |
Die Berichterstattung trägt in dieser Hinsicht unrühmliche Verantwortung. | |
Bei rund 700.000 in Deutschland lebenden Syrer*innen gäbe es Grund genug, | |
sich für den Krieg dort und in den Nachbarländern zu interessieren. Dafür, | |
dass Assad ganze Städte hat einkesseln und verhungern lassen, um seine | |
Gegner*innen zu schwächen; dafür, dass beim Kampf gegen den IS, bei den | |
Bombardierungen durch die US-Allianz, auch zahlreiche Zivilist*innen ihre | |
Lebensgrundlage verloren haben; für das Schicksal verschiedener | |
Minderheiten und verschiedener Städte; dafür, wie es sich anfühlt, acht | |
Jahre nach dem Beginn der Rebellion immer noch denselben Diktator regieren | |
zu sehen; für Enttäuschungen und Hoffnungen. | |
Stattdessen konkurrieren Medien je nach Lager darum, den gut oder den | |
schlecht „integrierten“ Geflüchteten zu zeigen, als belaufe sich dessen | |
Lebensinhalt auf seinen Bezug zu Deutschland, und als könne man sich | |
herausnehmen, das zu bewerten. Die Reaktionen „Hau ab“ versus „Willkommen… | |
sind sich darin ähnlicher als man gern wahrhaben möchte. | |
Der humanitäre Aspekt des „Refugees Welcome“ hat zwar einen wichtigen | |
Punkt, weil er klarstellt: Schutz und Asyl dürfen keine Frage von | |
moralischer Integrität sein, Grundrechte keine Frage von gesellschaftlichem | |
Verdienst oder politischem Engagement. Eben in diesem Sinne aber müsste der | |
„Refugee“-Status nach Jahren des Exils nicht mehr so sehr der Rede wert | |
sein. | |
Was deutsche Anteilnahme in Syrien hätte bewirken können, ist dabei | |
vielleicht gar nicht so sehr die Frage – auch wenn öffentlicher Druck | |
durchaus etwas bewegen kann. Vielmehr würde es vielleicht denen, die schon | |
hier sind, etwas bringen – nämlich eine Alternative zum Status „armer | |
Flüchtling“. In Algerien und im Sudan gibt es aktuell große | |
Protestbewegungen gegen die jeweiligen Regierungen. Interessiert das? Kaum. | |
Erst wenn es schlecht ausgehen sollte und die Menschen aus diesen Ländern | |
notgedrungen hierherkommen sollten – was nicht zu hoffen ist – wird es von | |
rechts Hetze geben und von links ein Willkommen. | |
## Von wegen offene Gesellschaft | |
Dass es nicht schon vorher Interesse gibt, ist so blind, wie etwa die | |
Auftaktaktion der Organisation [1][Die offene Gesellschaft], die im Sommer | |
letztes Jahr zu einem gemeinsamen Mittagessen und Kennenlernen an vielen | |
verschiedenen Orten in Deutschland aufgerufen hatte. Dafür errichtete Die | |
offene Gesellschaft Holztische und Bänke an öffentlichen Orten, zum | |
Beispiel auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. | |
Alle durften mitmachen – nur machte eben überwiegend eine weiße | |
Mittelschicht mit. Auch schien niemand auf dem Zettel zu haben, dass an | |
diesem Tag auch das Zuckerfest, das Ende des Ramadan gefeiert wurde. Das | |
Bankett der offenen Gesellschaft stand somit hoch aufgestellt inmitten | |
eines Feldes, umgeben von muslimischen Familien, die mit Grill und | |
Campingkocher auf dem Boden saßen. Von dem Tisch schallten manchmal | |
Applaus-Ausbrüche herüber, die sicherlich sich selber galten. Die Welten | |
blieben getrennt. | |
Nein, die gute Absicht reicht nicht. Denn wenn „Refugees“ und andere | |
Nichtweiße und Nichtdeutsche wie arme Würmchen behandelt werden, damit | |
weiße Deutsche sich in ihrer Barmherzigkeit feiern können, dann hat das | |
reale Konsequenzen für den Alltag all jener, die damit zum hilfsbedürftigen | |
Objekt degradiert werden. | |
Nun mag man entgegnen, dass es in Zeiten von wiedererstarkendem | |
Rechtsextremismus und rechtsextremer Gewalt doch eigentlich Wichtigeres | |
gibt als solche Nuancen – Hauptsache, man setzt dem Hass etwas entgegen. | |
Jein. Erstens sollte rechte Hetze nicht die Standards setzen. Zweitens: | |
Wenn die deutsche Öffentlichkeit vom „Refugees Welcome“ wegkäme, und die | |
Menschen im Exil als politisch aktive Menschen wahrnähme, könnte auch der | |
rechte Diskurs gebremst werden – denn der Fokus läge dann woanders: Statt | |
über vermeintlich Kriminelle oder namenlose Opfer würde über namhafte | |
Aktivist*innen, Künstler*innen, Journalist*innen gesprochen werden. | |
Klar: Auch die Reduzierung auf diesen politischen Background ist | |
anstrengend, vor allem, wenn man im Exil irgendwann mal so etwas wie einen | |
ganz normalen Alltag wiederfinden möchte. Warum also nicht ganz normal | |
reden – oder auch mal überhaupt nicht. Wenn du weiß oder deutsch oder | |
beides bist, kann es zuweilen wahnsinnig politisch sein, einfach mal die | |
Klappe zu halten. Und zuzuhören. | |
25 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.die-offene-gesellschaft.de/ | |
## AUTOREN | |
Lea Fauth | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Refugees | |
Identität | |
Opposition in der Türkei | |
Rechtsextremismus | |
#Unteilbar | |
Türkei | |
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