# taz.de -- Zwischen Kneipe und Fernsehbühne: Kleine Pfeile, große Party | |
> Darts ist beliebter Kneipensport und füllt auf Profiebene gleichzeitig | |
> Riesenhallen. Ein Blick auf zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein | |
> könnten. | |
Bild: Star, Vorbild, erfolgreicher Selbstvermarkter: Dartsprofi Michael van Ger… | |
Wenn am 21. März weit über 10.000 Menschen in der Mercedes-Benz Arena | |
frenetisch zehn Männer feiern, die mehrheitlich leicht übergewichtig, nur | |
noch mit lichtem Haarwuchs gesegnet und mit nichts anderem beschäftigt | |
sind, als den ganzen Abend lang auf einer Bühne dieselbe Armbewegung | |
durchzuführen –, [1][dann muss es Darts sein]. | |
Die zehn bejubelten Männer sind zehn der besten Dartsspieler der Welt. Und | |
dass sie mit ihren Wettbewerben quer durch die Welt reisen und überall auf | |
begeisterte Fans stoßen, war noch vor wenigen Jahren unvorstellbar. Die | |
Premier League ist eines der wichtigsten Ereignisse im Dartskalender. An 16 | |
Spieltagen touren die Profis durch Westeuropa, Berlin ist die einzige | |
Station in Deutschland. | |
Der ursprüngliche Kneipensport ist zum Massenphänomen gereift, und das | |
kommt nicht nur in seinen Zuschauerzahlen und den enormen Preisgeldern (bei | |
der Premier League werden knapp 900.000 Pfund ausgezahlt, bei der | |
jährlichen Weltmeisterschaft rund 2,5 Millionen – Tendenz steigend) zum | |
Ausdruck. Auch im Amateurbereich wächst Darts aus seinem Dasein als | |
Nischensport heraus. | |
In Berlin organisieren sich die Spieler*innen seit fast 30 Jahren im | |
Dartsverband Berlin-Brandenburg (DVBB), und ihre Zahl wächst (siehe | |
Kasten). Der Verband organisiert mehrere Ligabetriebe und regelmäßige | |
Ranglistenturniere für seine Mitglieder. Die besten Vereine des Verbandes | |
können in der Bundesliga spielen. Dafür trainieren die Spieler*innen | |
regelmäßig, teils in eigenen Vereinslokalen, teils noch immer in den | |
Kneipen, in denen sie zu spielen begonnen haben, erklärt Verbandspräsident | |
Klaus Marquardt, der den DVBB 1990 mitbegründete. | |
## Schrille Typen vor grölendem Publikum | |
Joachim Kotzmann ist Mitglied der ersten Stunde und er darf den Spielerpass | |
Nummer 1 sein eigen nennen. Er erzählt der taz, wie der Dartssport nach | |
Deutschland kam: als kultureller Austausch. Bei einer Reise nach England | |
habe er gemerkt, dass sich über den Sport viel besser als mit wenigen | |
Sätzen auf Englisch Kontakt zu den Menschen knüpfen ließ. Seine | |
Begeisterung fürs Pfeilewerfen importierte Kotzmann nach Berlin, als er in | |
den achtziger Jahren in die Stadt zog. Die Dartsszene sei damals wie eine | |
Familie gewesen, erinnert er sich. „Jockel“, wie ihn seine Mitspieler*innen | |
nennen, wurde schließlich erster Präsident des DVBB und ist bis heute | |
aktiv. | |
Jene, die ihren Sport an die Massen herangeführt haben, beenden ihre | |
Karrieren hingegen zurzeit. Der übermenschliche Phil Taylor, 16-maliger | |
Weltmeister aus England, hat seine Karriere 2018 beendet, sein ewiger | |
Konkurrent Raymond van Barneveld lässt sie in diesem Jahr ausklingen. Die | |
alten Legenden können mit den immer schneller und immer präziser werfenden | |
Nachwuchsspielern nicht mehr mithalten. | |
Ihre Nachfolger sind von Anfang an Profis – [2][zumeist männliche, auch | |
wenn Darts keine strikt geschlechtergetrennte Sportart ist] –, die ihre | |
Profession zelebrieren. Und sie sind außergewöhnliche Typen: Da ist etwa | |
der Schotte Peter Wright, privat ein sehr introvertierter Mensch, der sich | |
auf der Bühne in den tanzenden Peter „Snakebite“ Wright verwandelt, mit | |
kreischend bunten Klamotten und ebenso kreischend bunter Irokesenfrisur. Da | |
ist der ehemalige walisische Rugbyspieler Gerwyn Price (einer der wenigen | |
ohne Bäuchlein), und da ist natürlich der alle überragende Nachfolger Phil | |
Taylors, der Niederländer Michael van Gerwen. | |
Jeder Spieler hat seine eigenen Fangesänge, die vom fröhlich Alkohol | |
konsumierenden Publikum mit großem Enthusiasmus gegrölt werden – die | |
Spieler*innen auf der Bühne trinken längst nur noch Wasser. Darts ist zu | |
einem gewaltigen Ereignis geworden, bei dem es neben spektakulären | |
Punktezahlen und idealerweise dem einen oder anderen Neundarter – dem | |
perfekten Spiel, bei dem der Spieler 501 Punkte mit neun Würfen auf null | |
herunterspielt – vor allem um eines geht: um Party. Die Zuschauer*innen | |
verkleiden sich, sie singen, trinken und haben Spaß – kurzum: sie feiern. | |
## Professionelle Vermarktung und die Sache mit dem Alkohol | |
Joachim Kotzmann sieht den Event-Charakter der großen Turniere zwiespältig. | |
Einerseits führe die Professionalisierung zu unglaublichen Leistungen – | |
andererseits sei es schade, dass der Dartssport für Teile des Publikums zum | |
Nebenprogramm einer großen Party verkomme: „Viele Leute im Publikum wissen | |
gar nicht richtig, was Darts ist. Sie gehen hin, um zu feiern, ohne die | |
Leistungen der Spieler würdigen zu können.“ Bei der Premier League gehe es | |
zu wie beim Karneval, findet Klaus Marquardt. | |
Die Selbstinszenierung der Profis sieht Kotzmann als notwendiges Übel. „Das | |
ist Geschäft“, sagt er lakonisch über das Wetteifern der Spieler*innen um | |
die Anhängerschaft. Die Stars verstehen Darts mittlerweile als Beruf, und | |
um damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, müssen sie sich | |
[3][vermarkten]. „Das hat mit dem Sport nichts zu tun, gehört aber bei den | |
Profis dazu“, findet Kotzmann. Bei den Amateuren sehe man die Sache noch | |
wesentlich entspannter. Man treffe sich nicht nur zum sportlichen | |
Wettkampf, sondern auch für das Gemeinschaftserlebnis. Rauchen und erhöhter | |
Alkoholkonsum sind indes auch für die Amateure längst unvereinbar mit ihrem | |
Sport. | |
Anders als bei den Profis spielen hier auch viele Frauen mit. Und nicht nur | |
das: In den Amateurligen bringen sie es zu so manchem Erfolg. Die | |
Berlinerin Sabine Shanahan ist so Schatzmeisterin des Dartsweltverbandes | |
WDF geworden, Annegret Willkomm ist Mitglied der deutschen | |
Amateur-Nationalmannschaft. Dass Frauen selten zu den Profis aufsteigen, | |
liegt für Kotzmann am hohen Aufwand, der mit dem Schritt zum Profisport | |
verbunden ist. Frauen seien seltener dazu bereit, jede Woche zu Turnieren | |
anzureisen und letztlich alles andere der Dartskarriere unterzuordnen. | |
Derweil schickt sich der Sport mit den kleinen Pfeilen an, auch noch den | |
Rest der Welt zu erobern. Außer in Großbritannien entschließen sich | |
zunehmend auch in Mitteleuropa, Ostasien oder Australien Spieler*innen, mit | |
Darts ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Weltweit werden Turniere im | |
Fernsehen übertragen, und auf Pressekonferenzen umdrängen die | |
Journalist*innen die Profis. | |
## Zwei Parallelwelten, die nicht ohne einander können | |
Von einer solchen medialen Aufmerksamkeit sind die Aktiven im DVBB und in | |
den zugehörigen Vereinen weit entfernt. Doch sie arbeiteten daran, ihre | |
Strukturen weiter zu professionalisieren, sagt Joachim Kotzmann. Wer wolle, | |
könne mittlerweile an vielen Orten Darts spielen. Im vergangenen Jahr seien | |
wieder zwei Vereine hinzugekommen. Kotzmann geht davon aus, dass der | |
Verband in den kommenden Jahren weiter wachsen wird. | |
Der Zugang ist einfach: Wer im Verein Darts werfen will, müsse nur auf der | |
Website des Verbands das nächstgelegene Vereinslokal heraussuchen und zum | |
wöchentlichen Training kommen, betont Präsident Marquardt. Um sich für die | |
Zukunft aufzustellen, suchen die Aktiven nach geeigneten Räumlichkeiten für | |
den Verband. Kotzmann befindet: „Wir sind auf einem guten Weg.“ | |
Dass die Premier League nach Berlin kommt, ist in den Vereinen kaum ein | |
Thema. „Ich wäre hingegangen, wenn es terminlich gepasst hätte“, sagt | |
Kotzmann, „aber ich weiß auch, dass ich da nichts versäume.“ Vielleicht | |
wäre er sogar ein wenig enttäuscht gewesen, wenn er hätte miterleben | |
müssen, dass sein Sport auf der großen Bühne nur noch den Rahmen für eine | |
große Party bietet. | |
Ein Deutscher wird in Berlin auch auf der Bühne sein, aber nur für einen | |
Spieltag und weil der „Flying Scotsman“ Gary Anderson verletzungsbedingt | |
absagen musste: Max Hopp wird als deutsche Dartshoffnung für die nächsten | |
Jahre gehandelt, und weitere Spieler drängen nach – auch aus dem DVBB. | |
Martin Schindler hat seine ersten Schritte im Verband gemacht, mittlerweile | |
spielt er auf den großen Bühnen der Welt. So unterschiedlich die Welten der | |
Amateure und der Profis sind – ohne die einen gäbe es die anderen nicht. | |
21 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Tammo Kohlwes | |
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