# taz.de -- Berichterstattung über die Darts-WM: Faszination Bierbauch | |
> Pfeil ins Herz: Die Begeisterung für den Darts-Sport in den deutschen | |
> Medien ist nachvollziehbar – zumindest ein wenig. | |
Bild: Phil Taylor (l.) und Rob Cross während des Matches | |
Gut, dass der TV-Sender Sport1 für den Neujahrstag 2018 ein Sportereignis | |
im Programm hatte, dem auch verkaterte Partyleichen trotz dröhnenden | |
Kopfschmerzen gut folgen können – das Finale der Darts-WM. Der Wettbewerb | |
um das platzierte Werfen von Pfeilen auf eine Scheibe gewinnt seit einigen | |
Jahren in Deutschland an Aufmerksamkeit. Das WM-Finale zum Jahresbeginn | |
wartet auch gleich mit einem Duell auf, das denkfaule Drehbuchautoren sich | |
nicht besser hätten ausdenken können. | |
Hier der Veteran bei seinem letzten großen Auftritt, dort der unerfahrene | |
Youngster, der gar nicht glauben kann, wie weit er es geschafft hat. Der | |
Engländer Phil Taylor hat schon 16 WM-Titel gewonnen, davon zwischen 1995 | |
und 2002 sogar acht in Folge. Für die Darts-Welt ist er Muhammad Ali und | |
Michael Jordan in einer Person. Keiner hat den Sport so geprägt wie er. An | |
Neujahr bestreitet der 57-Jährige sein letztes Match. Auf der anderen Seite | |
steht der ebenfalls aus England stammende Rob Cross (27), der überhaupt | |
erst seit 2016 Profi ist und sein erstes großes Finale bestreitet. | |
Schon beim Einlauf der beiden Matadoren ist zu erkennen, warum viele | |
Kolumnisten diese Sportart so sehr lieben. Statt bedeutungsschwangerer | |
Kampfmusik – wie beim Boxen üblich – kommt Phil „The Power“ Taylor mit… | |
gut gelaunten „I’ve got the Power“ von Snap auf die Bühne, genießt das … | |
in der kreischenden Menge und schießt Selfies mit Fans. Überhaupt sind die | |
Zuschauer die eigentlichen Stars der TV-Übertragung. Mit selbstbemalten | |
Anfeuerungsschildern sitzen sie an langen Bierbänken und stimmen regelmäßig | |
unterhaltsame Gesänge an. Viele kommen kostümiert, der unglaubliche Hulk | |
hat sich ebenso ins Publikum gemischt, wie eine Mariachi-Band und fünf | |
Jungs mit Verkehrspylonen auf dem Kopf. | |
Kaum etwas erinnert hier an ein deutsches Fußballstadion. Niemand hat | |
Leuchtfackeln im eigenen Rektum in den Londoner Alexandra Palace | |
geschmuggelt, auf den Schildern wirbt keine „Sektion Stadionverbot“ für die | |
eigenen Anliegen und die Fangesänge branden unkoordiniert auf, ohne dass | |
ein junger Mann in Jogginghose mit einem Megafon den Text vorgeben würde. | |
Beim Darts nimmt man sich einfach nicht allzu ernst. | |
## Gleichförmige Ansichten | |
Das Geschehen auf der Bühne ist dagegen eher langweilig. Zwei Männer werfen | |
Pfeile auf eine Scheibe – und das ziemlich lange und ziemlich oft. Sie | |
werfen zwar mit verblüffender Präzision, aber mehr als eine Stunde Duell | |
sind für einen dermaßen gleichförmigen Spielmodus etwas zu lang. Und so | |
wechselt sich der eine Mann mit Bierbauch mit dem anderen Mann mit | |
Bierbauch beim Werfen ab – immer und immer wieder. | |
Apropos Bierbauch. Den lieben die Sportreporter nämlich ganz besonders und | |
erwähnen ihn entsprechend häufig. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet Taylor | |
als „Pelé mit Bierbauch und Darts“. Auch Cross zeigt auf der Bühne ein ga… | |
prächtiges Exemplar. | |
Vielleicht wollen die Journalisten die Lebemänner im bierseligen | |
vermeintlichen Unterschichtensport Darts mit den geschliffenen Weiß-Trägern | |
von Oberschichtensportarten wie Tennis kontrastieren. Die Darts-WM als | |
Anti-Wimbledon des kleines Mannes. Mit Profis, die Dialekt sprechen und | |
nicht – wie beim Fußball – von ganzen Presseteams vorgegeben bekommen, dass | |
sie nach dem Doppelhattrick gegen Brasilien artig dem Trainer danken und | |
die geschlossene Mannschaftsleistung loben sollen. | |
## Charmant oder rückständig | |
Das neue Interesse am Habitus des kleinen Mannes ist in den Medien ja dank | |
Brexit und Donald Trumps Wahlsieg wieder entbrannt. Dazu passt die | |
verruchte Kneipen-Sportart Darts natürlich hervorragend. Hier kommen die | |
Stars aus dem Volk, sind nahbar und haben Schwächen. Taylor gebe mit den | |
Tattoos und seiner Halbglatze die perfekte Identifikationsfigur ab, „für | |
all die Working Class Blokes, die abends in den Pubs ihr Pint trinken“, | |
schreibt die Süddeutsche. Mit 16 Jahren hat er die Schule abgebrochen und | |
vor seiner Darts-Karriere für Hungerlöhne Klopapierhalter aus Keramik | |
hergestellt. Man würde ihn gern fragen, was er vom Austritt Großbritanniens | |
aus der EU hält. | |
Offenbar gilt derzeit die kleinste Unangepasstheit – und sei es nur ein | |
Bierbauch – schon als Auflehnung gegen gesellschaftliche Normvorstellungen. | |
Allerdings ist man von der Lebensart der Unterschicht nur solange | |
begeistert, wie sie Pfeile auf Scheiben wirft – aber nicht wenn sie den | |
Brexit erzwingt oder Donald Trump wählt. Dann wird der Bierbauch von der | |
charmanten Beigabe zu einem unprätentiösen, einfachen Leben zum Symbol | |
habitueller Rückständigkeit. | |
Doch zurück zum Wettbewerb: Der betagte Phil Taylor hat es nicht geschafft, | |
den Titel noch ein letztes Mal zu gewinnen. Rob Cross gewinnt mit 7 zu 2 | |
Sätzen und darf sich nun ein Jahr lang Weltmeister nennen. Taylor stört die | |
Niederlage nicht besonders. „Ich habe einfach nicht mehr die Kraft um mich | |
mit diesen jungen Spielern zu messen. Ich bin schon froh, dass ich nicht zu | |
null verloren habe“, sagt der Ex-Weltmeister nach dem Match. Ein Abgang mit | |
Stil – und Bierbauch. | |
2 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Jörg Wimalasena | |
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