# taz.de -- Kommentar Umbau des DFB-Teams: Wer braucht schon Weltmeister? | |
> Bundestrainer Löw sortiert Thomas Müller, Jerome Boateng und Mats Hummels | |
> aus. Und er verabschiedet sich vom System der Verdienste. | |
Bild: Hat sich lange gegen unangenehme Entscheidungen gesträubt: Joachim Löw | |
Es gab einmal eine Zeit, da war der deutsche Fußball seiner Zeit ein | |
kleines Stück voraus. Bundestrainer [1][Joachim Löw] nahm unter den Leitern | |
der Nationalteams den Rang eines großen Visionärs ein so wie Pep Guardiola | |
unter den Vereinstrainern. Und Spieler wie Thomas Müller, [2][Jerome | |
Boateng] oder Mats Hummels waren von Löw dazu berufen, den Fußball immer | |
auch ein wenig neu zu erfinden. | |
Als dann der Bundestrainer bei der [3][Weltmeisterschaft in Russland] seine | |
Ideen des Ballbesitzfußballs auf die Spitze treiben wollte – wie er es | |
später formulierte – rannte das DFB-Team der Entwicklung des Fußballs bei | |
diesem Turnier hinterher. Das lag nicht nur an den verwegenen Vorstellungen | |
des Trainers, sondern auch an seinem Glauben, es mit betagteren, | |
erfolgsgesättigten Spielern wie Müller, Boateng und Hummels schaffen zu | |
können. | |
Spätestens seit Dienstag nun, da Löw seine drei Weltmeister von 2014 wenig | |
elegant aus dem Elitekader entließ, kann man beim DFB-Team eine erneute | |
Zeitverschiebung feststellen. Eine, die seltsam und gar ein bisschen | |
grotesk wirkt. Denn Joachim Löw bewegt sich bei seinen Umbauarbeiten in | |
einer Welt der zwei Geschwindigkeiten. Nach einem guten halben Jahr ist er | |
mit der Aufarbeitung des Scheiterns so beschäftigt, als wäre alles gerade | |
gestern passiert. Es ist wie bei einem Film, bei dem Bild und Ton | |
auseinandergeraten sind. | |
In dem großen Lehrvortrag von Löw Ende August im Mediensaal der Münchner | |
Arena, der sich der [4][Fehleranalyse der Weltmeisterschaft 2018] und den | |
zu ziehenden Konsequenzen widmete, hätte sich die Verabschiedung von | |
Müller, Boateng und Hummels noch gut eingefügt. Der Eindruck des großen | |
Aufbruchs sollte damals erweckt werden. Zu hören war allerdings nur, dass | |
Löw vorerst nicht mehr mit dem ohnehin recht maladen Sami Khedira arbeiten | |
wolle. Und die größte Überraschung war noch die verkündigte Ausbootung des | |
Assistenztrainers Thomas Schneider. | |
## Ungestüme Entscheidung anstelle von Strategie | |
Zu seiner Aufbruchspressekonferenz hat Löw jetzt gut sechs Monate später | |
den passenden Ton nachgeliefert. Zur momentanen Situation wiederum passt | |
die Demission der Weltmeister nur bedingt. Thomas Müller erscheint | |
angesichts der nachwachsenden und sich aufdrängenden Konkurrenz (Serge | |
Gnabry, Kai Havertz, Julian Brandt) zwar nach wie vor am leichtesten zu | |
ersetzen. Im Falle von Innenverteidiger Mats Hummels, der vor kurzem in | |
Liverpool beim wieder aufblühenden FC Bayern mal wieder eine beeindruckende | |
Leistung zeigte, könnte man aus guten Gründen mit dem alten Löw gegen den | |
neuen Löw argumentieren. Für einen Umbruch, argumentierte er damals im | |
August, bräuchte es auch erfahrene Stützen, sofern diese Spieler noch gute | |
Leistungen erbringen könnten. | |
Hinzu kommt, dass derzeit in der Defensive im DFB-Kader nicht gerade von | |
einem großen Konkurrenzkampf großer Nachwuchshoffnungen gesprochen werden | |
kann. In der jetzt eher fortgeschrittenen Phase der Umgestaltung würde man | |
eher Ausdifferenzierung als grundlegende veränderte Weichenstellungen | |
erwarten. Die zeitversetzten Reaktionen von Joachim Löw lassen seine | |
Entscheidungen statt strategisch nun ungestüm erscheinen. | |
Möglicherweise hat sich Löw lange vor radikalen Entscheidungen gestäubt, | |
gerade weil der Chor der Kritiker sie so einstimmig eingefordert hat. | |
Trotzig wollte er sich zumindest ein kleines Stück Handlungsfreiheit | |
bewahren. Und sei es auch nur für ein halbes Jahr. Mehr als der Abschied | |
von einzelnen Spielern schmerzt aber Löw offenbar die Notwendigkeit, sich | |
von seinem erfolgreichen System der Meritokratie verabschieden zu müssen. | |
Profis, die sich um das Nationalteam verdient gemacht hatten, stiegen im | |
Ansehen und erhielten einst ein uneingeschränktes Bleiberecht. Und Löws | |
Loyalität wurde umgekehrt auch mit reichlich Loyalität vergolten. Eine für | |
alle Seiten behagliche Welt, die am Dienstag plakativ verabschiedet wurde. | |
Das ist das eigentlich Bemerkenswerte, was am Dienstag passiert ist. Dass | |
es so lange gedauert hat, ist kein Wunder. Gerade Löw mit dieser Aufgabe zu | |
betrauen, ist nach wie vor keine besonders gute Idee. | |
6 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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