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# taz.de -- „Lob der Homosexualität“ von Luis Alegre: Das Privileg der Dis…
> Homosexuelle sind die Avantgarde, die der Gesellschaft jene Freiheit
> vorlebt, die sie sich verbietet. So schildert es Philosoph Luis Alegre.
Bild: Zuneigung mit Zärtlichkeit zeigen ist gar nicht so schwer
Warum eigentlich müssen sich heterosexuelle Männer schmerzhaft auf die
Schulter hauen, wenn sie doch eigentlich ihre gegenseitige Zuneigung zum
Ausdruck bringen möchten? Und muss das immer so bleiben? Der spanische
Philosophieprofessor Luis Alegre, Mitbegründer [1][der Partei Podemos],
sagt: Nein. Wenn sich die Mehrheitsgesellschaft auch weiterhin an den
Homosexuellen orientiert, der Avantgarde, die schon längst in Freiheit
lebt, ganz ohne heterosexuelle Zwangsmatrix.
Auf eben jene akademische Prunksprache, bekannt aus der Gender- und
Queerforschung, verzichtet Alegre in seinem „Lob der Homosexualität“, das
nun im C.H. Beck-Verlag anlässlich des anstehenden Jubiläums „50 Jahre
Stonewall“ erschienen ist, übersetzt aus dem Spanischen.
Alegre betet auf seinen rund 215 Seiten auch nicht bloß Judith Butler
herunter sondern beruft sich vor allem auch auf Sigmund Freud, argumentiert
mal mit Schlagertiteln und mal mit Kant, um sein Anliegen deutlich zu
machen. Dabei entgeht er der großen Schicksalsfrage, „natürlich oder
konstruiert“ mit verblüffender Eleganz: Am Ende sei das doch gar nicht so
wichtig.
Vielmehr geht es ihm um ein gelingendes Leben für alle: Alegre, der
Protestpartei-Begründer, möchte die Mehrheitsgesellschaft befreien, die
sich trotz einigen Wandels zum Besseren noch immer eingekastelt sieht in
feste Formen von Weiblichkeit und Männlichkeit.
## Eine gewisse Narrenfreiheit
Heterosexuelle Männer und Frauen befänden sich in festen Waben, während
Homosexuelle diese schon recht früh (und gezwungenermaßen) sprengten, und
sich von nun an frei zwischen verschiedenen Waben bewegen könnten. Bei
Heteros dagegen werde schon mit der Aussprache des Satzes „Wir sind
verlobt“ ein ganzes Programm heruntergeladen, inklusive Schwiegereltern,
Urlaub und Sitzverteilung im Auto.
Wie bei modernen Neuwagen würden Männlichkeit und Weiblichkeit nur in
„Paketen“ angeboten“ und das Leben verliefe weitestgehend auf Schienen: �…
der Tat überkommt einen eine gewisse Rührung, wenn man sieht, wie sich fast
alle Heteros mit Leib und Seele der Ausführung eines Rezepts verschrieben
haben, dessen Urheber sie nicht sind.“
Im Gegensatz sei den Homosexuellen, der Unterdrückung und der
Nichtzugehörigkeit sei Dank, das Privileg der Distanz geschenkt worden,
inklusive einer gewissen Narrenfreiheit: „Es besteht immer eine Distanz zu
der Person, die wir sind.“ Ganz gut beschreibt Alegre, wie LGBTIQ zumeist
[2][schon in der Schule] (und häufig gewaltsam) mit der Frage „Was bist du
eigentlich“ konfrontiert werden und sich von da an gezwungen sehen, eigene
Antworten zu finden, eigene Wege zu gehen. Was Freiheit bedeutet, aber auch
ganz schön anstrengend sein.
Nun wurde Luis Alegre aber damit beauftragt, ein Lob der Homosexualität zu
verfassen und nicht, deren Qualen zu schildern. So skizziert er die Devianz
als Vehikel der Freiheit – und von der könnten sich Heteros vor allem im
sexuellen Bereich ruhig etwas abschneiden. Denn während sich in Fragen der
Liebe auch die Homos mangels Alternativen irgendwo zwischen Shakespeare und
Hollywood herumquälen müssten, hätten sie in Fragen der Sexualität
Pionierarbeit geleistet.
## Die Egalität des Darkrooms
Die Sexualität von der Fortpflanzung trennen und sie als etwas
eigenständiges begreifen – für den Homosexuellen sei der Sex eine
Kathedrale, die er selbst gestalte. Man habe eine bessere Lösung gefunden
für den Umgang mit Thanatos und kümmere sich eben auch um die „B-Seite“,
die im heterosexuellen Leben meist nur in Form von Prostitution vorkomme.
Alegre preist die Egalität des Darkrooms, die Außerkraftsetzung der Zeit
auf schwulen Sexparties („ob mit Chems oder Kaffee“) – und ist Gott sei
Dank ehrlich genug einzuräumen, dass er von weiblicher Sexualität
eigentlich keine Ahnung hat.
Anmaßend ist Alegre nicht, auch wenn sein „Lob der Homoesexualität“ auf
manchen so wirken könnte. Denn „Heteros sind Heteros wie Pinguine Pinguine
sind“ und ihr „Verhältnis zur Heterosexualität wie der Stein zur
Schwerkraft“ – es gibt dazu keine Reflexion, und genau das wird auch diesem
bei aller Zuspitzung und Vereinfachung ziemlich klugen, vermittelndem Buch
zum Verhängnis werden. In Form von Desinteresse. Schade eigentlich.
22 Mar 2019
## LINKS
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[2] /Geschlechterstereotype-in-Schulen/!5567329
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Homosexualität
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50 Jahre Stonewall
LGTBI
taz.gazete
Paragraf 175
Homosexualität
Grüne Schleswig-Holstein
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