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# taz.de -- Kolumne Eier: Selbstfindung mit Säge
> Handwerkskunst verhilft einem zum Gefühl der Schaffenskraft, ohne dass
> man befürchten muss, nachhaltig Schaden anzurichten.
Bild: Es gibt immer was zu tun
Verzeihen Sie, falls diese Zeilen eine leichte Schlagseite haben sollten.
Ich bin auf die Idee gekommen, mir selber einen Tisch zu bauen, und der ist
jetzt natürlich schief.
Seit ich vor zwei Monaten ein größeres Renovierungsprojekt in Angriff
genommen habe, scheint mir nicht nur die Welt komplett aus Sperr- und
Massivholz, Universalgrund, Mörtel und aus Wänden unterschiedlicher
Porosität zu bestehen. Ich bin außerdem der Verblendung erlegen, als
Akademiker ganz bestimmt mit Stichsäge und Bohrer jedes Problem lösen zu
können. Das Ergebnis wird dann halt, na ja, nicht ganz gerade.
Trotzdem übt die Arbeit an der unbelebten Natur – auch Handwerkerei genannt
– so eine wahnsinnige Faszination aus. Traditionell stellen wir uns diese
Arbeit ja eher als „Männerarbeit“ vor, während die Arbeit an der lebendig…
Natur – Pflege und Erziehung – als Frauensache gilt. [1][Diese Aufteilung
nach Geschlecht] ist natürlich Humbug, das Unterscheiden dieser
Tätigkeiten hingegen nicht. Die Handwerkskunst verhilft zum Gefühl der
Schaffenskraft und Selbstwirksamkeit, ohne dass man befürchten muss,
nachhaltig Schaden anzurichten.
Ein schiefer Tisch oder eine angebohrte Leitung sind ärgerlich, aber nicht
mal ansatzweise so schlimm wie die Fehler, die man bei einem Menschen
anrichten kann, den man versorgt oder betreut. Männerarbeit, so scheint es,
war schon immer die einfachere. Mir jedenfalls soll’s recht sein. Denn so
flüchte ich mich, während um mich herum immer mehr Menschen sich ans
Kinderkriegen machen, in einen Kosmos, in dem Begriffe wie Glattkantbrett,
Silcoferm und Gehrungslade beinahe poetische Qualität gewinnen.
## Gehrungsladenpoesie
Und übrigens bin ich nicht allein. In meiner Nachbarschaft haben
reihenweise Geisteswissenschaftler*innen Kneipen und Cafés aufgemacht
und ihnen handwerkliche Namen gegeben. Obwohl dort überall Leute mit
Laptops an allen anderen als handwerklichen Projekten arbeiten, heißen
diese Orte Werkbank, Seilzug oder Zur Leuchtröhre. Die Sehnsucht nach der
handwerklichen Arbeit ist ganz besonders groß im urbanen Kreativprekariat.
Kann ich verstehen. Ich halte ja gerade in diesem Moment auch einen
Akkuschrauber in der linken Hand wie John Wayne seinen Colt und mache
brrm-brrm, brrm-brrm.
Und daran ist ja auch nichts auszusetzen. Irgendjemand muss schließlich
Bücherregale bauen und Wände durchbrechen und dabei Gehrungsladenpoesie
dichten. Wäre nur schön, wenn wir es demnächst hinkriegten, dass diese
Geschlechtervorstellungen davon, wer lieber mit Holz und Metall und wer
besser mit Pipi und Kacka arbeiten sollte, überwunden würden. Im Baumarkt
habe ich leider nicht den Eindruck, dass Heimwerken auch nur annähernd
gleichwertig Frauensache geworden wäre. Dafür haben aber wenigstens die
Männer, die an der Bar der Leuchtröhre sitzen, hin und wieder mal ein Baby
dabei.
8 Apr 2019
## LINKS
[1] /Studie-zu-Homeoffice/!5578226
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Eier
Männer
Männlichkeit
Heimwerken
Care-Arbeit
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Aufräumen
Anti-Feminismus
Männer
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