| # taz.de -- Künstler im Wald: Kein Friede der Hütte | |
| > Der Straßenkünstler Thomas Pollhammer hat sein Zuhause im Plänterwald. | |
| > Ein Förster hat seine Hütte entdeckt, die bis zum 15. März entfernt sein | |
| > muss. | |
| Bild: Thomas Pollhammer vor seinem „Haus der Würde des Menschen“ im Plänt… | |
| An diesem sonnigen Morgen sitzt Thomas Pollhammer entspannt und gelassen in | |
| seiner Stammkneipe, der Blechbilderbar in Friedrichshain. Den Espresso hat | |
| der Künstler schon ausgetrunken. Tom – wie er lieber genannt werden möchte | |
| – arbeitet in der Bar an seinem Laptop, weil er in seinem Zuhause weder | |
| Strom noch Internet hat. | |
| „Rechtlich gesehen bin ich obdachlos“, sagt der Künstler. Pollhammer lebt | |
| im Plänterwald, wo er sich im vergangenen Jahr eine Hütte gebaut hat. Trotz | |
| guter Tarnung wurde diese im Januar von einem Förster entdeckt. Bis zum 15. | |
| März muss er die Hütte nun abbauen und den ursprünglichen Zustand des | |
| Waldes wiederherstellen. Denn der Bau der Unterkunft ist ein Verstoß gegen | |
| das Landeswaldgesetz. Jetzt sucht der Straßenkünstler nach einem Ort, wo er | |
| seine Bleibe neu aufbauen kann. | |
| Für das Leben außerhalb der üblichen Regeln hat sich Thomas Pollhammer | |
| schon früh entschieden: Aufgewachsen im bayerischen Landshut, kam er | |
| bereits mit 18 Jahren nach Berlin, wo er unter anderem als Kulissenbauer | |
| für Film und Kino arbeitete. Weil Tom aber keine vollendete | |
| Berufsausbildung hat, bekam er irgendwann keine Aufträge mehr. Doch sowieso | |
| sei „die normale Arbeitswelt“ nicht sein Ding, sagt Tom: „Ich mache lieber | |
| Kunst. Und ich nehme es dafür auch in Kauf, als Nomade unterwegs zu sein.“ | |
| Mit 22 begann er in Barcelona auf der Las Ramblas, einer bekannten | |
| Flaniermeile, Straßenkunst zu machen, Musik und plastische Arbeiten. „In | |
| Italien und Spanien war ich lange reisender Straßenkünstler mit Rucksack | |
| und Didgeridoo, bis die Reglementierung in beiden Ländern für | |
| Straßenkünstler immer strenger wurde und in manchen Städten Straßenkunst | |
| gar nicht mehr möglich war.“ Pollhammer fährt nicht auf der „Mein Haus, | |
| mein Auto, mein Boot“-Schiene mit. Im Gegenteil: Er ist von diesem | |
| familien- und karriereorientierten Zug abgesprungen. | |
| ## „Das Haus der Würde des Menschen“ | |
| 2013 kam Tom zurück nach Berlin und fand seinen Platz im Plänterwald. Dort | |
| lebte er zuerst im Zelt, dann baute er sich eine erste, kleinere Hütte, die | |
| er unter Ästen und Blättern versteckte. „Im Winter gehe ich zum Duschen in | |
| die Schwimmhallen“, so Tom, für sein kleines und großes Geschäft geht er in | |
| die Natur. Vor einem Jahr entstand seine jetzige Hütte, die er „Das Haus | |
| der Würde des Menschen“ taufte. | |
| Tom argumentiert dabei mit dem ersten Passus des Grundgesetzes: „Die Würde | |
| des Menschen ist unantastbar.“ Dazu gehört für ihn auch die „artgerechte | |
| Haltung“ eines Menschen: ein Ort zum Schlafen, Sich-Waschen, zum Essen und | |
| Trinken. Kurz: zum Wohnen. „Das Eigentum von Obdachlosen wurde bei | |
| Räumungen als Unrat beschimpft und weggeschmissen“, erklärt er. „Das geht | |
| nicht, denn das ist ihr Eigentum, auch wenn es etwas müffelt. Aber das | |
| Eigentumsrecht gilt anscheinend nicht mehr für Obdachlose.“ | |
| Pollhammer weiß selbst, dass es illegal ist, im Wald zu wohnen. In einem | |
| [1][YouTube-Video] greift er die Widersprüche auf und fragt: Was passiert, | |
| wenn die Würde des Menschen gegen das Eigentumsrecht steht? Heißt es dann: | |
| Grundrecht gegen Grundrecht? | |
| Dass er mit seiner Art zu leben aneckt, ist für ihn nichts Neues. Für viele | |
| seiner Statuen, an denen er öffentlich in der Friedrichshainer | |
| Simon-Dach-Straße arbeitet, hat er Strafanzeigen bekommen. „Ich befasse | |
| mich schon länger mit den Widersprüchen der Justiz“, sagt Tom. „Ich | |
| schreibe zu jeder Strafanzeige Stellungnahmen, auch bei Bußgeldbescheiden.“ | |
| Über seine Befunde hat er eine Geschichte geschrieben, die er „Die | |
| Bußgeldsümpfe“ nannte. „Das ist der Ort, in dem mein Drache hin und wieder | |
| gern mal drin versinkt.“ | |
| ## Eigentumsrecht gegen Kunstfreiheitsgesetz | |
| „Max der Zauberdrache“ heißt die aktuelle Arbeit von Pollhammer. Seine | |
| vorherige Figur, „Die großen Wünsche der kleinen Tiere“, hat er auf einen | |
| alten Sonnenschirmständer gebaut, der über drei Jahre vor seiner Stammbar | |
| Ecke Simon-Dach-/Wühlischstraße stand. Wünsche wie „die eines Schweines, | |
| ein Löwe zu sein, um nicht mehr gefressen zu werden“, bildet er darauf ab. | |
| Das Ordnungsamt tolerierte das nicht und seine Skulptur wurde entfernt. Der | |
| Sonnenschirmständer stand danach wieder wie Müll auf dem Gehweg. Seinen | |
| Drachen hat er deswegen direkt auf einem Rollwagen gebaut, um ihn zurück zu | |
| Freunden in den Hof schieben zu können. | |
| „In einer Strafanzeige wegen öffentlicher künstlerischer Arbeit hat mir das | |
| Ordnungsamt geschrieben, dass es damit ja nicht gegen das Gesetz der | |
| Kunstfreiheit verstoße, das besagt‚ dass nicht auf Methoden, Inhalte und | |
| Tendenzen der künstlerischen Tätigkeiten eingewirkt werden dürfe. Das | |
| Gesetz, so habe ich herausgefunden, hat noch einen zweiten Teil, der nicht | |
| erwähnt war. Dieser sagt, dass man insbesondere nicht den künstlerischen | |
| Gestaltungsraum einengen darf, was für meine Tätigkeit sprechen würde.“ | |
| Das Eigentumsrecht Berlins gegen das Kunstfreiheitsgesetz. Damit | |
| konfrontiert Pollhammer die Behörden, mit Erfolg, denn einige seiner | |
| Strafanzeigen wurden schon fallen gelassen. | |
| ## „In Berlin zu wohnen macht mir eher Angst“ | |
| Sehr ruhig erklärt er das im lauten Ambiente seiner Stammkneipe. Seit er | |
| wieder in Berlin ist, bekommt er Hartz IV. Die Chancen auf eine Wohnung | |
| seien deswegen sehr schlecht, da fast alle Vermieter keine Hartz- | |
| IV-Empfänger wollten, so seine Erfahrung. Sowieso: „In Berlin zu wohnen mit | |
| so vielen Menschen macht mir eher Angst“, sagt Tom. Die Kunst macht er in | |
| der Stadt, das Leben verbringt er lieber etwas abseits der Menschen. | |
| „Ich fände es nicht so schlimm, wenn die Hütte jetzt wegkommt“, sagt Tom. | |
| Dann würde er wieder im Zelt wohnen und seine zwei Statuen fertig machen. | |
| Sein Häuschen würde er aber doch gerne wieder aufbauen: am liebsten vor dem | |
| Brandenburger Tor. Denn dieses Jahr feiert das Grundgesetz 70. Geburtstag. | |
| Das sei der perfekte Anlass für seine Holzhütte alias Kunstobjekt, das den | |
| ersten und wichtigsten Paragrafen des Grundgesetzes hinterfrage und darauf | |
| Antworten liefert, so Tom. | |
| 28 Feb 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=63oCoMYnUBk&feature=youtu.be | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Schroth | |
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