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# taz.de -- Grünen-Abgeordnete in Bayern: Jetzt ist es so
> Tessa Ganserer ist Grünen-Abgeordnete im Bayerischen Landtag. Ihr
> Coming-out war ein Befreiungsschlag. Sie kämpft darum, als Frau zu
> gelten.
Bild: „Ich kann mit Dreitagebart hier sitzen und trotzdem bin ich eine Frau�…
Sie trägt eines jener Kleider, das die Form des Körpers betont. Die Absätze
der Stiefel lenken den Blick auf die langen Beine. Alles ist abgestimmt.
Der Grauton des Kostüm, dazu viel Nagellack, viel Make-up, viel blondes
Haar. Fast zu viel für eine Alltagssituation. Für Tessa Ganserer ist es
gerade genug. „Ich habe da ein Gefühl dafür. Das macht mir auch Spaß.“
[1][Die bayerische Landtagsabgeordnete der Grünen] empfängt in ihrem Büro
in der Nürnberger Innenstadt. Für eine Politikerin ist der Ort auch
irgendwie zu Hause, 70 Wochenstunden mindestens verbringe sie da und in der
jetzigen Situation ist es besser, wenn keiner weiß, wo sie mit ihrer
Familie wohnt.
Vor dem Jahreswechsel nämlich saß Tessa Ganserer noch als Markus Ganserer
hier. Dass ihr alter Name genannt wird, findet sie nicht schlimm – er ist
Teil ihrer Geschichte. Und er steht noch überall: auf dem Schild, das an
der gläsernen Bürotür klebt, auf Flyern, die auf dem Tisch der Assistentin
liegen, und auf Visitenkarten neben dem PC. Auch die E-Mail-Adresse lautet
noch so. „Es steht einfach an so vielen Stellen“, sagt sie und meint mit
„es“ ihn, den fremd gewordenen Namen. Ihr Team, sagt sie, sei da dabei, das
zu ändern.
## Endgültig tot
Denn jetzt ist Markus Ganserer tot. „Ich sage das so, weil es endgültig
ist“, sagt sie. Endgültig gestorben kurz vorm Jahreswechsel. Da hat Markus
Ganserer der Öffentlichkeit offenbart, dass sie eine Frau ist, auch wenn
sie da noch aussah wie ein Mann. „Ich kann mit Dreitagebart hier sitzen,
und trotzdem bin ich eine Frau.“ Es sei das Innere, es sei ein Gefühl. „Man
weiß es einfach“, sagt Tessa Ganserer. „Und dann ist das so.“
Aber trotzdem: Das Innere verkümmert ohne das Äußere. Denn eine Frau zu
sein, bedeutet auch als solche wahrgenommen zu werden. Und genau darauf hat
Tessa Ganserer zehn Jahre lang verzichten müssen. „Ein Höllentrip.“
Das Sterben von Markus Ganserer hat schon vor rund zehn Jahren begonnen,
„mit 31 Jahren“. Daran erinnert sich Tessa Ganserer noch genau. Es war ein
innerer Impuls, dem sie gefolgt ist. Sie hat sich ein Kleid ihrer Frau
angezogen und sich vor den Spiegel gestellt. „Ich habe mich in dem Moment
so wohl gefühlt wie noch nie.“ Dieses Bedürfnis zu akzeptieren, sei
trotzdem nicht leicht gewesen, sagt sie. Denn zu diesem Zeitpunkt war Tessa
Ganserer verheiratet und Vater.
## Die Frau der Frau
Die Ehefrau kommt dazu. Sie will dabei sein beim Gespräch, aber nichts
sagen oder gefragt werden. Für Tessa schält sie eine Orange und legt ihr
die Fruchtspalten auf einen Teller. Sie selbst hat ein Mittagessen in der
Tupperdose dabei, das sie isst, während sie beobachtet und ganz selten kurz
eingreift. „Schatz, den letzten Satz würde ich streichen.“
Tessa Ganserer erzählt, dass sie nach rund zwei Jahren ihrer Frau offenbart
hat, dass sie auch eine Frau ist. „Sehr gefasst, offen und positiv hat sie
reagiert. Das hat mich ungemein bestärkt“, erzählt sie. Ob ihre Frau es
schon geahnt hatte? Die Ehefrau schüttelt den Kopf. „Keine Fragen an mich
bitte“, wiederholt sie.
Also erklärt es Tessa Ganserer: „Man verliebt sich ja nicht in die
Genitalien.“ Die beiden lieben sich, egal welches Geschlecht die andere
hat, deshalb bleiben und halten sie zusammen. Das haben sie auch in jenen
schwierigen Jahren getan, in denen es Tessa Ganserer immer schlechter ging.
Die Rolle des Markus Ganserer, die ihr anerzogen wurde „aufgrund der
körperlichen Geschlechtsmerkmale“, wird immer schwerer zu ertragen. Es sei
diese männliche Aggressivität gewesen, die andere einschüchtert, die sie am
meisten gehasst habe. „Das war nicht mein Naturell.“
Aber weil diese Rolle gut funktioniert hat, habe sie sie gespielt. Dass ihr
das so gut gelang, hat sie fast wahnsinnig gemacht. Und auch war es
schwierig für sie, dass sie das Weiche und Emotionale immer ausschalten
musste. „Ich bin ganz nah am Wasser gebaut“, sagt sie.
Irgendwann ging es nicht mehr anders. Immer mal ein paar Stunden Tessa zu
sein, hat nicht mehr gereicht. „Das war kein Mut, ich hatte einfach keine
Kraft mehr.“
Ihr Vorname, Tessa, war dann plötzlich da. „Wenn man sein Kind sieht, weiß
man auch, wie es heißen soll.“ Seit sie offiziell Tessa sein kann, sagen
ihr Bekannte, dass sie endlich wieder fröhlich aussehe. Tatsächlich sind es
die blauen Augen, die an Tessa Ganserer am meisten auffallen. Nicht wegen
der Schminke, sondern wegen des Glanzes in ihnen.
## Ein Seelenstriptease
Das Coming-out war ein Befreiungsschlag. Aber nicht nur. „Es ist auch ein
Seelenstriptease.“ Den muss Tessa Ganserer seit ihrem Outing in einer
Dauerschleife wiederholen, in all den Interviews, die sie gibt. In allen
Gesprächen mit Bürgern und Bürgerinnen. Und auch mit Kolleginnen und
Kollegen, die sie darauf ansprechen. Jetzt, im Interview, hört man ihren
Sätzen schon an, dass sie bereits oft gesagt wurden und dass sie sie noch
oft sagen wird.
Viele Leute reagierten positiv, meint sie. Wenige offen negativ. Manche
indes reagierten gar nicht. Das treibt Tessa am meisten um. „Ein kurzes
‚Das ist okay‘ reicht mir schon.“
Tessa erzählt auch von ihrem Vater, der in einer ganz anderen Zeit geboren
wurde. Ins kleine Dorf im Allgäu ist sie erst nach dem öffentlichen Outing
gefahren, weil sie so unsicher war, wie er reagieren wird. Aber der Vater
hat die Tochter einfach nur umarmt und gefragt, was er denn, bitte schön,
dagegen haben soll. „Er hat sein Herz einfach am rechten Fleck.“ Dann
kommen die Tränen.
Gestik und Mimik von Tessa Ganserer würde vermutlich jeder als weiblich
lesen. Nach ganz kurzer Zeit hat man deshalb die Bartspuren und die tiefe
Stimme vergessen. Dennoch liegen jetzt tausend kleine und große Schritte
vor ihr. „Die Krankenkasse verlangt einen Alltagstest“, und damit in Tessa
Ganserer Pass in vielleicht ein, zwei Jahren das Geschlecht „weiblich“
steht, muss sie eine Psychotherapie machen. Dies, „obwohl ich weiß, dass
ich eine Frau bin“.
Wie viele Formulare sie bis dahin ausfüllen muss, mag sie sich gar nicht
vorstellen. Es sei so viel Verwaltungskram zu bewältigen. Und auch Kosten,
die viele, die in der gleichen Situation seien wie sie, „gar nicht tragen
können“.
Ob anschließend eine Hormontherapie oder eine Geschlechtsanpassung komme?
„Ich bitte Sie, so eine intime Frage stellen Sie doch auch keinem
anderen!“, antwortet sie.
## Beispiele und Studien
Wer von Tessa Ganserer wissen will, wie es denn jetzt so sei, auch nach
außen endlich eine Frau zu sein, dem erzählt sie sofort von der großen
Ungerechtigkeit, von der Benachteiligung ihres Geschlechts. Sie nennt
Beispiele und Studien. „Es ist empirisch belegt, dass Frauen im
öffentlichen Raum öfter angerempelt werden. Sie werden einfach übersehen.“
In ihren Sätzen liegt Wut über all das. Aber ebenso Erleichterung, dass sie
dieses Schicksal jetzt offiziell teilt. „Endlich werde ich so wahrgenommen,
wie ich mich fühle.“
Als Markus Ganserer war sie ein erfolgreicher Politiker mit steiler
Karriere. Die Themen, die sie sich ausgesucht hat, waren Mobilität und der
Schutz des Waldes. „Mein Vater hat mir die Liebe zur Natur beigebracht.“
Das ist jetzt vorbei. Denn ihr persönliches Schicksal gibt nun ihr
politisches vor. Tessa Ganserer wird für die Rechte derer kämpfen, deren
Geschlechtsidentität weder klassisch Mann noch Frau ist. „Denn unser Bayern
ist so viel bunter als das Papier, auf das der Koalitionsvertrag
geschrieben wurde.“
All das wird viel Arbeit, aber auf die freue sie sich. Denn sie ist froh,
dass sie endlich nicht mehr unter der Maske Markus Ganserer fast ersticken
muss. Was sie unter dieser Maske erlebt hat, will sie trotzdem nicht aus
ihrem Leben streichen. „Mit meiner Vergangenheit bin ich im Reinen“, sagt
sie. Tessa Ganserer und ihre Ehefrau schauen sich über den Raum hinweg an.
Und die Zukunft – wo sieht Tessa sich denn in zehn Jahren? „An der Seite
von meiner Frau“, antwortet sie.
23 Feb 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Judith Schacht
## TAGS
Tessa Ganserer
Transgender
Grüne Bayern
Lesestück Recherche und Reportage
Tessa Ganserer
50 Jahre Stonewall
Grüne Bayern
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