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# taz.de -- Der Sänger der Pop-Band Talk Talk ist tot: Graue Jahre, schwarze T…
> Die Platten seiner Band Talk Talk sind Schätze, die sich immer wieder
> heben lassen. Nun ist Mark Hollis, Sänger der britischen Pop-Band,
> gestorben.
Bild: War der Sänger bei Talk Talk: Mark Hollis
Man stelle sich eine Platte vor, die an einen körperlichen Zustand in einem
bestimmten Moment erinnert: Die Nacht war tief und hat lang gedauert. Die
Nerven liegen blank, die Ohren kriegen mehr mit. Windstille klingt jetzt
wie eine Tonfolge. Die Sinne sind so angespannt, dass sie Licht wie Klang
wahrnehmen können. Ein Silberstreif am Horizont hört sich an wie ein sich
in einem Lautsprecher drehender Ventilator.
Mit ihm beginnt „Laughing Stock“, das fünfte und letzte Album von Talk
Talk. Als die englische Band 1990 ins Studio ging, um es aufzunehmen,
hatten Songschreiber Mark Hollis sowie Produzent und Musiker Tim
Friese-Greene eine Popstar-Karriere hinter sich. Mit Songs wie „It’s My
Life“ , „Such a Shame“ oder „Life’s What You Make It“, die ihre dra…
Wirkung zu einem gut Teil noch aus neuromantischen, [1][zuckersüßen
Synthesizer-Katarakten] bezogen, schafften sie es in die Charts mehrerer
europäischer Länder.
Doch über die Jahre der mit der großen Plattenfirma EMI vertraglich
vereinbarten Hit-Lieferungen waren die Ambitionen von Talk Talk gewachsen.
Daher wechselten sie zum kleineren Label Verve, wo sie einen neuen Ansatz
entwickeln durften. Ihre Musik sollte nun aus freudig begrüßten
Studiounfällen, erspielten Zufällen und viel, viel Zeit entstehen.
Um sie zu nutzen, luden Hollis und Friese-Greene über etliche Monate
nacheinander 50 Musiker ins Studio. Sie baten sie, auf Vorgaben zu
verzichten und Ziele ab sofort als Spießerkram zu betrachten. Stattdessen
sollten sie mit ihren Instrumenten um ihr Gefühl kreisen wie eine Motte um
eine Zimmerlampe.
## Die Platten sind Schätze
Waren die Musiker gegangen, machten sich Hollis und Friese-Greene daran,
aus den teils über Wochen entstandenen Aufnahmen Mitschnitte von manchmal
nur ein paar Sekunden Länge herauszunehmen und mit anderen
zusammenzusetzen.
Das Ergebnis war eine Platte, die seit ihrem Erscheinen vor bald drei
Jahrzehnten neu geblieben ist. Darauf zu hören ist die behutsamste Musik,
die sich damals denken ließ, ergänzt um Hollis’ assoziative Zeilen, die den
erwähnten Silberstreif immer breiter werden ließen: „Stell meinen Stuhl an
der Tür des Hinterzimmers auf / Hilf mir auf / Ich kann nicht mehr warten /
Die Liebe, die ich gesehen habe / auf jeder Treppe, die ich raufgetrödelt
bin / Die eine mit Zuversicht, die zweite mit Angst / Unter meinen Füßen
Abhängigkeit“.
Nach „Laughing Stock“ waren Talk Talk [2][erschöpft oder zerstritten] oder
nicht mehr darauf erpicht, sich einem Publikum nahzubringen. Hollis, Vater
von zwei Kindern, sprach davon, sich mehr seiner Familie widmen zu wollen.
Sieben Jahre später folgte das Soloalbum „Mark Hollis“. Jetzt lagen Zeiten
in unterschiedlichen Farben hinter dem Privatier. Graue Jahre, schwarze
Tage, blaue Stunden und immer wieder andere Lebenslagen.
Die Platte war kaum weniger hinreißend als „Laughing Stock“. Dabei hatte
Hollis sie vor allem herausgebracht, um die mit Verve noch bestehenden
vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Nach der Veröffentlichung
kündigte er seinen offiziellen Rückzug vom Musik-Business an, als wollte er
das Signal senden, dass ihm in Zukunft bitte keiner mehr näherkommen solle.
Das fiel und fällt vielen schwer. Denn Platten von Talk Talk sind Schätze,
die sich immer wieder heben lassen. Vor ein paar Tagen ist Mark Hollis im
Alter von 64 Jahren gestorben.
26 Feb 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Kristof Schreuf
## TAGS
Nachruf
Pop
David Berman
Popmusik
Bildende Künstler
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Neneh Cherry
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