# taz.de -- Nachruf auf Karl Lagerfeld: Für immer in Mode | |
> Er war einer der einflussreichsten und am meisten gefeierten Designer | |
> unserer Zeit. Nun ist Karl Lagerfeld im Alter von 85 Jahren gestorben. | |
Bild: Lagerfeld fiel nie seinem Erfolg zum Opfer und kam nie dauerhaft aus der … | |
Ende Januar hatte Karl Lagerfeld noch die Haute-Couture-Kollektion von | |
Chanel für die kommende Frühjahr- und Sommersaison über den Laufsteg | |
geschickt. Er selbst trat am Ende dann nicht ins Scheinwerferlicht. Es | |
hieß, er leide an einer Erkältung und bekenne, dass er sich müde und | |
erschöpft fühle. Das konnte man durchaus als Alarmzeichen deuten. Denn müde | |
und erschöpft: das gab es nicht bei Karl Lagerfeld. | |
Und er hatte ja wieder einmal eine hervorragende Kollektion gestemmt, wobei | |
er der traditionellen Braut am Ende der Präsentation nur einen | |
Glitzerbadeanzug und einen langen Schleier mitgab. Das kam dem bösen Witz | |
in Robert Altmans „Prêt-à-porter“ – in dem Lagerfeld nicht hatte mitspi… | |
wollen – ziemlich nahe, wo die Models nackt über den Runway liefen. | |
Lagerfeld wollte damit die verschnarchte Haute Couture mit ihren routiniert | |
entworfenen Roben aus kunstvollen, gestrigen Rüschen und pompösen | |
Schleifen bloßstellen. | |
Karl Lagerfeld hasste Routine. Auch deswegen war er ein Hans Dampf in allen | |
Gassen. Der Modedesigner glänzte als vielbeschäftigter Illustrator, als | |
Fotograf lieferte er nicht nur für die Kampagnen der von ihm geführten | |
Modehäuser die Bildstrecken, sondern noch weitere für die internationalen | |
Hochglanzmagazine. Als manischer Leser, der er war, konnte er wohl nicht | |
anders als auch Bücher zu verlegen. Wie sonst sollte er den Entdeckungen, | |
die er ständig machte, Öffentlichkeit verschaffen? So kam es zur Edition 7L | |
im Steidl Verlag. | |
„Ich liebe die Idee, mehr als eine einzige Person zu sein“, hatte er bei | |
der Verleihung des Lucky Strike Designer Award der Raymond Loewy Stiftung | |
1993 in Berlin gesagt und damit bekannt, dass er, der als Modedesigner sehr | |
erfolgreich für mehrere Firmen gleichzeitig arbeitete und der Idee des | |
unverwechselbaren Schöpfergenies nichts, aber auch gar nichts abgewinnen | |
konnte. | |
## Das C in Chanel | |
Wenn er trotzdem in absolut unverwechselbaren Masken auftrat oder wie er | |
sagte, den Images, die er für Chloé, Fendi, dem eigenen Label Karl | |
Lagerfeld und allen voran für Chanel prägte, dann lag es genau daran, dass | |
er sich weigerte, Autor im alteuropäisch-autoritären Sinne zu sein. | |
Als er 1983 auf Wunsch der Familie Wertheimer Chef bei Chanel wurde, | |
signierte er nicht nur unter fremdem Namen, nein, er stellte diesen Namen | |
ins Zentrum seiner Bemühungen um das Traditionshaus. Und je größer er die | |
ineinander verschlungenen Cs auf Taschen, Schals, Sonnenbrillen und | |
Kleidern plakatierte, [1][desto erfolgreicher behauptete sich Chanel am | |
Markt.] | |
So rettete er das verwaiste Haus von Mademoiselle mithilfe seines | |
symbolischen Kapitals. Wobei auch subtilere Hommagen wie seine gezeichneten | |
Chanel-Bücher oder der üppige Bildband mit den internationalen Celebrities | |
in ihrem „Little Black Jacket“ zum durchaus komplexen Framing der Marke | |
gehörten. | |
Chanel war eine Pioniertat. In Zeiten japanischer Modedekonstruktivisten | |
wie Comme des Garçons und britischer Punks wie Vivienne Westwood konnte | |
Chanel als einziges Haus der Haute Couture und des Prêt-à-porter de luxe | |
mithalten. Erst nach Lagerfeld traten die anderen berühmten Label-Sanierer | |
wie Tom Ford bei Gucci oder John Galliano bei Dior an. | |
## Diät für einen Anzug | |
Dort war dann irgendwann ein gewisser Hedi Slimane für die Herrenmode | |
zuständig, der Karl Lagerfeld entzückte. Und weil Hedi Slimane die Anzüge | |
extrem körpernah schnitt, so dass nur schlanke Männer sich diese Anzüge | |
leisten konnte, nahm Lagerfeld ab, von 107 kg auf 60 kg. Denn er wollte | |
Hedis Anzüge unbedingt tragen. | |
Gibt es Menschen auf der Welt, die von dieser Wunderleistung Lagerfelds | |
noch nicht gehört haben? Wenige wahrscheinlich. Aber sei’s drum. Als junger | |
Mann, das zeigen Fotografien aus den 1950er und 1960er Jahren, war | |
Lagerfeld ein gut aussehender, ausgesprochen athletischer Typ. | |
1933 als Karl Otto Lagerfeld in begüterten Verhältnissen in Hamburg zur | |
Welt gekommen, war für ihn nicht der Vater, der | |
Glücksklee-Kondensmilchfabrikant, prägend, sondern die Mutter, die er als | |
ungeduldig schilderte und von kindlichem Gebaren wenig erbaut. Zwei ihrer | |
Sätze führte Lagerfeld immer wieder an. So soll sie zu ihm gesagt haben: | |
„Streng dich an, wenn du sprichst, du bist sechs Jahre alt, aber ich bin es | |
nicht.“ Und später: „Hamburg gilt bekanntlich als das Tor zur Welt. Also | |
nichts wie durch.“ | |
Das tat er dann auch, gemeinsam mit Frau Mama zog er nach Paris, wo er, der | |
unentwegte Zeichner, der er war, mit dem Entwurf eines Mantels einen ersten | |
Preis im Wettbewerb des Internationalen Wollsekretariats gewann, gemeinsam | |
mit Yves Saint Laurent, der für ein Kleid ausgezeichnet wurde. | |
## Eine gegensätzliche Freundschaft | |
Danach wurden die ganz und gar gegensätzlichen Männer, der eine | |
depressions- und drogengefährdet, der andere immer nüchtern, immer | |
alkohol-, drogen- und nikotinfrei, erst einmal Freunde. Wurden für den | |
einen Modeideen in quasi genialischen Schöpfungsakten geboren, erarbeitete | |
Lagerfeld sie sich im Entwurfsprozess, denn wie er sagte, „der Appetit | |
kommt mit dem Essen“. Und immer suchte er, wie er sagte, „auch Sachen, die | |
ich nicht suche. Das nennt sich Kreativität.“ | |
Nach dem Erfolg mit Chanel stagnierte seine Karriere in den 1990er Jahren, | |
er wurde der rundliche Herr, der ständig mit dem Fächer wedelte. Aber zur | |
Jahrtausendwende erfand er sich neu. Er wurde schlank, initiierte die | |
Sonderedition einer preiswerten Designerkollektion mit H&M, was die | |
Schweden zu einer bis heute währenden Sonderreihe mit berühmten Modemachern | |
ausbauten. Ständig kamen nun die Leute mit dem Mikrofon und der Kamera bei | |
ihm vorbei. Zum Glück, so kennt man noch ein paar der schönen Aphorismen, | |
die er so beim Dampfplaudern von sich gab. Wahrscheinlich hatte er immer | |
noch seine Mutter im Ohr, die in dieser Hinsicht wohl vorbildlich war. | |
Wahrscheinlich ist es ihren kritischen Einwendungen gedankt, dass Karl | |
Lagerfeld zu den wenigen bedeutenden Menschen gehört, die ihrer eigenen | |
Bedeutsamkeit nie auf dem Leim gingen („außer zeichnen, ein bisschen reden | |
und die Eisschranktür aufmachen kann ich nichts“). Er fiel nie seinem | |
Erfolg zum Opfer, er entging dem Ennui der Arriviertheit und, last but not | |
least, kam nie dauerhaft aus der Mode. Im Gegenteil wurde er jüngst als | |
besser denn je gefeiert. Und bis zuletzt zeichnete ihn – wie sein | |
Hochzeits-Glitzerbadeanzug belegt – ein vollständiger Mangel an Furcht vor | |
dem Feind aus. Aber am Ende hat er sowieso schon alles, was es über ihn zu | |
sagen gibt, selbst viel besser gesagt. | |
[2][Karl Lagerfeld starb im Alter von 85 Jahren] in Paris, wie Chanel am | |
Dienstagmittag bestätigte. | |
19 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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