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# taz.de -- Juristin über Referentenentwurf zu 219a: „Orwell'sche Abstrusit�…
> Der Gesetzentwurf der Regierung zur Reform des Paragrafen 219a löse die
> bestehenden Probleme nicht, sagt Maria Wersig vom Juristinnenbund.
Bild: Mai 2018: Das Thüringer Frauen*kampftagsbündnis protestiert gegen Parag…
taz: Frau Wersig, das Bundesjustizministerium hat einen [1][Vorschlag zur
Reform des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch] vorgelegt. Was halten Sie
davon?
Maria Wersig: Wir vom Juristinnenbund sind damit nicht zufrieden. Die
verfassungsrechtlichen Probleme, die aus der Kriminalisierung der Ärztinnen
und Ärzte entstehen, werden damit nicht gelöst.
Wieso nicht? Ärzt*innen sollen doch künftig darüber informieren dürfen,
dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Sie dürfen künftig straflos darüber informieren, dass sie Abbrüche
durchführen. Aber schon für die Information, welche Methoden angewandt
werden, muss auf Listen neutraler Stellen verlinkt werden. Erst dort steht
dann, ob jemand einen medikamentösen Abbruch anbietet oder einen
operativen.
Wie sieht es denn aus mit der Webseite der angeklagten Kasseler Ärztinnen
Nora Szász und Natascha Nicklaus? [2][Dort steht]:
„Schwangerschaftsabbruch, operativ oder medikamentös mit Mifegyne“.
Das wäre wohl weiterhin strafbar, wegen allem, was nach dem Komma kommt.
Zwar ist Rechtsanwendung auch ein kreativer Umgang mit Sprache, der Wille
des Gesetzgebers ist aber sehr deutlich. Man sollte sich auf diesen
Kompromiss nicht in der Hoffnung einlassen, dass das neue Gesetz
wohlwollend den Ärztinnen und Ärzten gegenüber ausgelegt wird.
Ist die Regelung denn so problematisch?
Das ist in mehrerer Hinsicht ein Problem. Zum einen ist es ein Widerspruch
in sich: Ein und dieselbe Information ist auf der Webseite einer neutralen
Stelle legal, [3][auf der Webseite einer Ärztin aber eine Straftat]. Dass
die Information über eine legal durchgeführte Dienstleistung im Strafrecht
reguliert wird, ist einmalig. Das Bundesverfassungsgericht hat
klargestellt: Wenn es rechtlich möglich ist, Abbrüche durchzuführen, dürfen
Ärztinnen und Ärzte darüber auch informieren. Und auch in der Praxis wird
diese Regelung Probleme nach sich ziehen.
Zum Beispiel?
Ärztinnen und Ärzte müssen weiter sehr vorsichtig sein. Ein falsches Wort
auf der Webseite, und sie stehen wieder mit einem Bein in der Strafbarkeit.
Warum? Wir reden hier doch über sachliche Information. Das Ganze erinnert
schon sehr an Orwell’sche Abstrusitäten.
Und was schlagen Sie in Ihrer Stellungnahme vor?
Wir [4][plädieren weiterhin dafür], Paragraf 219a zu streichen. Wenn man
den gesellschaftlichen Diskurs über Schwangerschaftsabbrüche regulieren
will, dann geht das auch im Ordnungswidrigkeitenrecht. Dort könnte man etwa
grob anstößige Werbung oder Werbung für rechtswidrige Abbrüche mit
Geldbußen belegen. Wenn man aber über die Grenzen des öffentlichen
Diskurses spricht, gibt es aus unserer Sicht noch ganz andere Probleme.
Und zwar?
Bei der Debatte geht es immer wieder auch um einen „gesellschaftlichen
Klimaschutz“. Wer so argumentiert, darf auch zu etwas anderem nicht
schweigen: Sogenannte Lebensschützer vergleichen öffentlich Abtreibungen
mit dem Holocaust. Diese Relativierung und Instrumentalisierung nimmt zu,
im Netz, auf Postkarten und so weiter. Das ist geeignet, den
gesellschaftlichen Frieden zu stören, und wir schlagen vor, auch das als
Ordnungswidrigkeit zu ahnden.
Gibt es dafür nicht schon Gesetze?
Es gibt den [5][Paragrafen 130 Strafgesetzbuch, Volksverhetzung]. Dort ist
unter anderem die Holocaustleugnung geregelt. Aber diese Menschen leugnen
den Holocaust ja nicht. Sie sagen: Er war rechtswidrig, aber straffrei, und
genau so ist es heute mit den Abtreibungen. Oder sie sprechen vom „neuen
Holocaust“.
Letzteres steht etwa auf der von Abtreibungsgegnern betriebenen Webseite
„Babycaust“.
Ja. Auf solchen Seiten darf übrigens auch künftig stehen, wer
Schwangerschaftsabbrüche durchführt, und auch mit welchen Methoden. Die
Betreiber dieser Seite haben ja selber keinen Vermögensvorteil und erfüllen
deswegen nach herrschender Meinung nicht den Straftatbestand.
1 Feb 2019
## LINKS
[1] /Reaktionen-auf-Gesetzentwurf-zu-219a/!5565835
[2] https://www.frauenaerztinnen-kassel.de/ambulante-operationen.html
[3] /Kommentar-Gesetzentwurf-zu-219a/!5569402
[4] https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/ASRep/pm19-04/
[5] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__130.html
## AUTOREN
Dinah Riese
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