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# taz.de -- Psychologin über Lebendorganspenden: „Frauen fühlen sich dazu a…
> Warum entscheiden sich Menschen für eine Lebendorganspende? Und warum
> spenden Frauen häufiger? Ein Gespräch mit Psychologin Merve Winter.
Bild: 62 Prozent der Nierenlebendspenden stammten in Deutschland 2017 von Frauen
taz am wochenende: Frau Winter, deutlich mehr Frauen als Männer erklären
sich zu einer Lebendorganspende bereit. Nicht nur in Indien, auch in den
USA, Spanien oder Deutschland. Woran liegt das?
Merve Winter: Dieses Ungleichgewicht der Geschlechter kann man in der Tat
weltweit beobachten. Frauen fällt aufgrund ihrer Sozialisation und der
Rollenerwartungen in der Regel die Aufgabe des Sichkümmerns zu, sie fühlen
sich da auch stärker angesprochen als Männer. Das sehen wir etwa in der
Pflege und der Care-Arbeit, wo Frauen den weitaus größeren Teil leisten.
Offenbar wirken diese Rollenbilder auch bei der Entscheidung für eine
Organspende. Hinzu kommen kulturelle und ökonomische Faktoren, die aber
meist miteinander verwoben sind.
Wie meinen Sie das?
Wenn der Mann der einzige Verdiener der Familie ist und ein Kind
nierenkrank wird, ist es im ökonomischen Interesse der Familie, dass der
Mann keinen Verdienstausfall erleidet und jemand anderes spendet. Der Mann
ist aber ja nicht durch Zufall der einzige Verdiener, sondern aufgrund der
Geschlechterrollen.
Es fällt auf, dass der Iran hier eine Ausnahme ist. Dort spenden mehr
Männer als Frauen. Wie ist das zu erklären?
Das liegt an dem staatlich eingeführten Organhandel. Der Spender bekommt
für eine Niere eine Entschädigung, die ungefähr die Höhe eines
Jahreseinkommens beträgt. Zudem erhalten Spender noch ein Geschenk des
Empfängers. Interessant ist, dass der größere Männeranteil hier auf fremde
Spender zurückgeht. Auf der privaten Ebene, auf der Spender und Empfänger
miteinander verwandt sind, spenden auch im Iran mehr Frauen als Männer.
Männer kriegt man also vor allem mit Geld?
Ja, oder zumindest kann man sagen, dass sie von Bonussystemen stärker
angesprochen werden. Das zeigen auch repräsentative Umfragen in
Deutschland. Da waren mehr Männer als Frauen der Ansicht, dass nur
derjenige überhaupt als Empfänger in Betracht kommen sollte, der selbst
einen Spenderausweis hat. Und finanzielle Entschädigungen für eine Spende
befürworteten in Deutschland auch mehr Männer als Frauen.
Sie haben für eine Studie 20 Spender-Empfänger-Paare zu ihrer Entscheidung
befragt. Gibt es Geschlechterunterschiede bei der Motivation?
In dem Wunsch, zu helfen, unterscheiden sich spendende Mütter, Väter,
Brüder oder Schwestern erst mal nicht. Aber was ich spannend fand, ist,
dass sich Frauen aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation und
ihrer Rolle als Mutter, Tochter oder Schwester stärker verantwortlich
fühlen. Sie fühlen sich meist als Erste dazu aufgerufen, zu spenden. Wenn
es mehrere Personen gibt, die spenden könnten, wird es vermutlich eine Frau
sein, die spendet, weil sie das auch so möchte. Männer spenden eher in
einer Zwangssituation, wenn sich sonst niemand findet.
Die Hemmschwelle davor, dieses Opfer zu bringen, ist für Frauen niedriger,
meinen Sie?
Das kann man so sagen. Diese Erwartungen werden aber auch aus ihrem Umfeld
ständig an Frauen herangetragen. Ich habe mit einer Frau als potenzieller
Spenderin für ihren Mann gesprochen, die Zweifel hatte, ob das für sie die
richtige Entscheidung ist. Sie hat mit ihren Freundinnen darüber geredet,
und die haben ihr gesagt, dass sei für sie als Ehefrau schon der Weg, den
sie zu gehen habe.
Wie ist es mit den Geschlechterrollen bei den Empfängern?
Das ist für Männer oft viel schwieriger als für Frauen. Männer, die von
ihrer Ehefrau eine Niere oder einen Teil der Leber bekommen, fühlen sich
oft depotenziert. Sie sind nicht mehr die Starken, sondern in einer
Position der Schwäche, angewiesen auf ihre Partnerin. Andersherum fällt es
Frauen leichter, ein Organ ihres Mannes anzunehmen. Sie fühlen sich dadurch
nicht abgewertet.
Wie sind Sie bei Ihrer Studie genau vorgegangen?
Ich habe Interviews kurz vor der Spende geführt. Die Leute befinden sich da
auf der Zielgeraden, die psychologische Begutachtung haben sie zu diesem
Zeitpunkt schon hinter sich. Bemerkenswert war, dass ich in den Interviews
über Entscheidungsprozesse relativ wenig erfahren habe. Die wurden von den
Betroffenen selbst oft nicht als solche erkannt. Ich hörte oft: „Da musste
ich nie drüber nachdenken. Das ist doch selbstverständlich.“ Ich nenne das
einen Selbstverständlichkeitsdiskurs, es wird nicht hinterfragt.
Das sehen Sie kritisch?
Es ist ein heikler Punkt, weil es da eine starke Verquickung von Zwang und
Freiwilligkeit gibt. Im deutschen Transplantationsgesetz wird ja die
Verwandtschaft ersten oder zweiten Grades oder eine vergleichbare Nähe für
eine Lebendspende gefordert. Aus psychologischer Sicht muss man aber sagen:
Diese emotionale Nähe macht die Bestimmung der Freiwilligkeit schwieriger.
Wie frei können Sie entscheiden, wenn Ihr Bruder oder Ihr Kind schwer krank
ist? Der medizinische Fortschritt macht es möglich, dass Sie helfen können.
Aber Sie können nicht mehr gut nicht spenden. Es gibt quasi einen
gesellschaftlichen Imperativ.
Sie führen auch psychologische Begutachtungen im Vorfeld von
Lebendorganspenden durch. Wie gehen Sie da vor?
Ich versuche, den Spenderinnen und Spendern die Ambivalenzen bewusst zu
machen und Raum für Zweifel zu geben. Zuerst führe ich ein gemeinsames
Gespräch mit dem Spender-Empfänger-Paar, anschließend Einzelgespräche mit
beiden. Ziel ist es, sich ein Bild von der Lebens- und Spendesituation zu
machen. Das ist notwendig, um abklären zu können, ob es
Abhängigkeitsverhältnisse gibt. Mir geht es dabei nicht darum, jemanden vom
Spenden abzuhalten. Viele potenzielle Spenderinnen und Spender sind aber so
euphorisiert von ihrem Vorhaben, dass sie kaum für die Risiken zugänglich
sind. So ein Eingriff ist etwas anderes als eine Zahn-OP, das sollte man
sich immer bewusst machen.
Ihr psychologisches Gutachten fließt in die Entscheidung der
Ethikkommission ein, die entscheidet, ob die Klinik die Lebendspende
durchführt. Wann raten Sie zur Ablehnung?
Es gibt Konstellationen, da hat man wirklich Bauchschmerzen. Wir haben zum
Beispiel einmal einen 85-Jährigen abgelehnt, der von seinem 60-jährigen
Sohn eine Niere haben wollte. Das hielten wir nicht für angemessen. Es gibt
auch zunehmend Empfänger, die mit der Haltung auftreten, sie hätten ein
Recht auf ein neues Organ. Das Bewusstsein, dass das ein großes Geschenk
ist, droht da verloren zu gehen.
Vergangene Woche hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass
Nierenspendern, die nicht richtig über die Risiken einer Spende aufgeklärt
wurden, Schadenersatz zusteht. Das Urteil hat für einiges Aufsehen gesorgt.
Mich hat das für die Betroffenen gefreut. Dahinter steht ja eine lange
Leidensgeschichte: Jemand spendet eine Niere, und danach geht es ihm
schlecht, er kann nicht mehr richtig arbeiten und muss sehr lange für sein
Recht kämpfen. Auch wenn das Einzelfälle sind, stärkt das nicht gerade das
Vertrauen in die Lebendspende. Das Urteil nimmt die Ärzte jetzt noch mal
neu in die Pflicht, richtig aufzuklären. Ich sehe als Psychologin aber auch
die andere Seite – die Schwierigkeit, Menschen, die in einer solchen
Situation spenden und helfen möchten, mit dieser Risikoaufklärung wirklich
zu erreichen. Darauf zielte ja das Argument der Gegenseite ab, dass es eine
hypothetische Einwilligung des Spenders gegeben habe. Ich erlebe viele
Spender, die so wild entschlossen sind, dass man ihnen erzählen kann, was
man will, sie werden auf jeden Fall spenden.
Wie beurteilen Sie die gesellschaftliche Debatte über die Organspende
insgesamt?
Ambivalent. Ich sehe das Problem mit den langen Wartelisten und den
geringen Spendezahlen. Das könnte man durch eine Gesetzesänderung, eine
Widerspruchsregelung, wahrscheinlich ändern. Diese ist aber politisch
derzeit nicht gewollt. Was mich stört, ist der hochgradig moralisierende
Diskurs. Es wird so getan, als gäbe es ein Anrecht auf die Organe der
Mitbürgerinnen und -bürger. Politiker aller Parteien bezeichnen es quasi
als „Bürgerpflicht“, einen Organspendeausweis zu tragen. Ich finde es aber
schwierig, wenn andere Menschen für den eigenen Gesundheitszustand in
Haftung genommen werden. Menschen sterben dann nicht, weil sie schwer krank
waren, sondern weil zu wenige Organe gespendet wurden. Da werden
Kausalitäten verdreht.
14 Feb 2019
## AUTOREN
Jan Pfaff
## TAGS
Transplantationsmedizin
Sexismus
Organspende
Transplantation
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