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# taz.de -- CTM Festival Berlin: Offener denn je
> Die Berliner Clubtransmediale wurde 20 Jahre alt. Früher war die CTM ein
> Festival von Jungs für Jungs. Heute ist sie divers.
Bild: Katharsis durch Lärm: der Drummer des US-Duos Lightning Bolt
Berlin taz | Wenn schon [1][ein runder Geburtstag] ist, kann man ruhig mal
sagen: Danke, CTM. Für 20 Jahre Gegenwartsausleuchtung, Panels zu
Abseitigem und Naheliegendem, konzeptuelle Offenheit und immer neue
Klangwelten. Dank auch für die Ideen, die nicht funktioniert haben, gerade
an ihnen zeigt sich der Spielwille der Veranstalter.
Dieses Jahr lautete eine solche Idee, schräge Klänge und Schlittschuhlaufen
zusammenzubringen. Bitterkalt ist es in der Eishalle neben dem Berghain,
die Bahn ist trotzdem aus Plastik und lädt nicht zum Gleiten ein.
Entsprechend leer blieb es oft, schade um die Sounds.
Während man noch [2][in der Schlange vor dem Berghain ausharrt], kann man
Revue passieren lassen, wie anders sich solche Abende vor 17 oder 20 Jahren
angefühlt haben – wohl nicht nur, weil man inzwischen älter ist. Seinerzeit
hielt man die Elektronik für den Hort des Progressiven, doch oft genug
blieb es dabei, dass Checker-Jungs anderen Checker-Jungs beim
Knöpfchendrehen zuguckten. Doch dieser Tage ist der Körper zurück, und mit
ihm die Performance.
Den interkulturellen Dialog sucht man außerdem. Für den sorgte diesmal
unter anderen die Nusasonic-Initiative des Goethe-Instituts mit Gastspielen
südostasiatischer Künstler. Am Mittwochabend im Berghain etwa tritt Caliph8
mit seiner Kollegin Nonplus auf, beide sind als DJs in Manila unterwegs.
Leider wirkt ihr Set zäh und rumpelig, gefühlt schleppen sich nicht nur das
Publikum, sondern auch die Künstler durch.
## Ein welpenhaftes „Fuck you“
Es wird jedoch bald besser, dank der Afrofuturistin MoorMother. Die
Spoken-Word-Poetin hat sich für ihr aktuelles Projekt mit DJ Haram aus
ihrer Heimatstadt Philadelphia zusammengetan, toll kaputt gekloppte
HipHop-Beats führt diese mit arabischen Klängen zusammen. Nach Mitternacht
spielt Cocaine Piss, eine belgische Punkband, deren überdrehter Sängerin
das Kunststück gelingt, welpenhafte Verspieltheit mit Fuck-you-Gesten zu
verbinden.
Ähnlich vielfältig, konzeptionell, aber fokussierter geht es am folgenden
Abend weiter, unter anderem mit Gazelle Twin. Die Künstlerin aus Brighton
hat mit ihrem Album „Pastoral“ einen vielstimmigen, verstörenden Kommentar
zu aktuellen Befindlichkeiten in ihrer Heimat geschaffen, Brexit etc. Jetzt
turnt sie im rot-weißen Outfit über die Bühne, das aussieht wie ein
Harlekin-Burkini, unheimlich und narrenhaft zugleich. Leider gehen live die
leisen Abgründe und auch so manch subtil satirisches Motiv des Albums
verloren, von ihrem collagenhaften Sound hat man unter Kopfhörern mehr.
Zugucken macht trotzdem Spaß.
Beim anschließenden Auftritt der in Berlin lebenden, aus Houston stammenden
Lotic, die Avantgarde und Empowerment zusammenbringen, ist das Berghain
wieder ganz eins mit sich. Den Fallstricken der Identitätspolitik
entfleucht der Techno, Pop und R’n’B zerhackstückelnde Produzent und DJ
J’Kerian Morgan, indem sich der Künstleralias Lotic sich nicht für „er“
oder „sie“ entscheidet, sondern gleich für den Pluralis Majestatis.
Ziemlich royal wirken auch die Tanzeinlagen mit strandfetzenartigem Kleid
und platinblonder Perücke.
Kurzum, [3][es passiert einiges beim CTM]. Doch warum werden die Künstler
im Programm mit Begrifflichkeiten umschrieben, die an zähestes
Proseminar-Geschwurbel erinnern? Lebt an dieser Stelle der abgelegte,
eingangs erwähnte, latent autoritäre Welterklärungshabitus weiter?
## Das Publikum leidet
Hauptsache, man lässt sich den Freitagabend im Festsaal Kreuzberg nicht
ausreden. Auf den rhythmusgetriebenen Auftritt des indonesischen Duos
Setabuhan – inspiriert ist das grunzende Gechante von Rully Shabara von
animistischen Ritualen auf der Insel Sulawesi, dazu gibt’s
Kampfkunst-Moves, die das Publikum involvieren – folgt die ähnlich
tribalistisch anmutende Show des US-Duos Lightning Bolt. Mit minimalen
Mitteln, einem als Cello gestimmten Bass und Schlagzeug, erzeugen sie ein
prägnantes, facettenreiches Klanggewitter. Neu ist das nicht, aber
effektiv. Katharsis durch Lärm.
Schwer greifbar bleibt dagegen, was der Londoner Musiker Darren J.
Cunningham aka Actress kommunizieren will. Er ist ein regelmäßiger Gast auf
Festivals dieser Art. Der Samstagabend im HKW wird beworben mit dem Claim,
dass der Spezialist für Techno mit Young Paint interagiert, einer
selbstlernenden künstlichen Intelligenz. Angeblich hat diese einiges von
Cunningham gelernt und übernimmt bereits gelegentlich selbst die Regie.
Worin die Interaktion besteht, bleibt jedoch unklar, da erhellt auch der an
die Wand projizierte Film wenig. Das einzige Kleidungsstück dieses
metallisch glänzenden Humanoiden, ein Stahlhelm mit Union-Jack-Emblem, soll
wohl dieser kecke Pepita-Hut sein, den Cunningham selbst gerne trägt. Hmm.
Vielleicht will Actress Young Paint nur trainieren, damit er irgendwann
nicht mehr selbst auftreten muss.
Das Publikum jedenfalls leidet. Die Musik ist toll, eigentlich will man
sich bewegen. Manchmal zucken die Leute in ihren Klappstühlen, doch richtig
überspringen will nichts. Zum Glück sagt diese etwas dröge Zukunftsvision
wenig über die Gegenwart der CTM aus. Die hat sich auch in diesem Jahr als
weitgehend erquicklicher Kessel Buntes erwiesen.
4 Feb 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Stephanie Grimm
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CTM Festival Berlin
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