| # taz.de -- Die Wahrheit: Schippen für Deutschland | |
| > Immer weniger Bundesbürger machen sich an eine der wichtigsten Aufgaben | |
| > unserer Zeit: Das Schneeräumen droht in Vergessenheit zu geraten. | |
| Bild: Mancherorts werden Anwohner sogar zur Räumung von Autobahnen herangezogen | |
| Peter Guhrke erhebt sich, stöhnend wegen der ungewohnten Anstrengung, vom | |
| Sofa. „Wissen Se?“, keucht er. „Als ick hier nach Jottwedee jezojen bin, … | |
| sagte mich keener wat von Schnee. Und nu soll icke selba ditt weiße | |
| Dreckszeug fort schippen? Die hammse ja nich alle, wa!?“ | |
| Kaum ein Thema spaltet dieser Tage die Gesellschaft mehr als das | |
| Schneeschippen. Oder besser gesagt: Die Frage, wer dazugehört und wer nicht | |
| – zu den Menschen mit Schneeräum-Hintergrund. Millionen Bundesbürger, | |
| Tendenz stark steigend, wissen nicht, wie man Schnee räumt, da sie aus | |
| schneearmen Gebieten abgewandert sind. Dies führt immer häufiger zu | |
| Konflikten, wie zum Beispiel bei Herrn Guhrke, der vor zwei Monaten nach | |
| Finsterlochwalde zog, um wegen gewisser Geschäfte ein wenig Abstand von | |
| gewissen Leuten in Friedrichshain zu bekommen. | |
| ## Dreihundert Tage Schnee | |
| Finsterlochwalde ist ein Weiler, der aus gefühlt fünf, real jedoch nur drei | |
| Häusern besteht und ein Tiefdruckgebiet von Garmisch-Partenkirchen entfernt | |
| in einem gottverlassenen Dreckstal liegt. In dem es allerdings an | |
| dreihundert Tagen im Jahr schneit. | |
| „Ditte war für mich jar keene Fraje“, poltert Guhrke und zündet sich eine | |
| Kippe an. „Ditt macht der Hausdienstmeister oder wer, die Stasi oder wie | |
| dat früja hieß, wa? Aba unter Jarantie nich icke!“ Mühsam streckt er den | |
| Zeigefinger aus und deutet zum Fenster. Was allerdings völlig zwecklos ist, | |
| da eine gewaltige Wand aus Schnee die Sicht durch die Scheibe verdeckt. Und | |
| selbst dieses Schneemassen-Schlamassel überrascht uns nicht, da wir ja erst | |
| kurz vorher durch einen etwa fünfzig Meter langen Eistunnel gekrochen | |
| waren, der erst vor Guhrkes Wohnzimmertür endete. | |
| ## Gebührenfreies Anmelden | |
| Die Politik versucht gegenzusteuern, doch scheiden sich in der | |
| Bundesregierung die Geister. SPD-Vorsitzende Andrea Nahles erklärt, „jeder | |
| Mensch und jede Frau kann selbst entscheiden, ob er oder sie Schneeräumer | |
| oder -räumerin ist“. Diese Entscheidung habe Zeit bis zur Vollendung des | |
| 60. Lebensjahres, ein dementsprechender Eintrag beim Einwohnermeldeamt sei | |
| sinn-, wenngleich auch gebührenfrei. | |
| Bundesinnenminister Horst Seehofer dagegen verkündet: „Schneeräumen gehört | |
| zu Deutschland! Wer nicht bereit und willens ist, Schnee zu schippen, wird | |
| abgeschoben. In die schneefreien Städte des Ruhrgebiets. Denn Abschieben | |
| und Schneeschippen liegen in unserer DNS!“ Wobei er natürlich die bewiesene | |
| Tatsache unterschlägt, dass in diesem Winter die Anzahl der Bewohner von | |
| Mehrfamilienhäusern, die fälschlicherweise behaupten, den Laufzettel der | |
| Schneeordnung „beim Einkaufen verloren“ zu haben, einen neuen Rekordstand | |
| erreichen dürfte | |
| ## Schippende Mehrheit | |
| Nur im Bundesministerium für Arbeit und Soziales geht man die Krise | |
| konstruktiv an: „Wir sind Kummer gewöhnt“, heißt es dort. Man werde | |
| „Crash-Kurse“ einrichten, in denen „Menschen ohne Schneeräum-Hintergrund | |
| möglichst schnell fit gemacht werden, um in die schippende | |
| Mehrheits-Einwohnerschaft integriert zu werden“. Lehrkräfte würden aus | |
| allen relevanten Berufs akquiriert, wie Zahnärzte, arbeitslose | |
| Raumfahrtingenieure oder Crystal-Meth-Fachhändler. | |
| „Wir schaffen das. Ich meine: Den Schnee weg“, verkündet Minister Hubertus | |
| Heil auf einer Pressekonferenz, ehe er in irres Gelächter ausbricht und von | |
| seinen Personenschützern vor die Tür des Ministeriums in der Berliner | |
| Wilhelmstraße abgeführt wird, wo sich die Schneemassen türmen, die Heil | |
| jetzt höchstpersönlich beseitigen darf, um sein Gemüt abzukühlen. | |
| Vielleicht, aber wirklich nur ganz, ganz vielleicht hat der böse | |
| Klimawandel dann doch noch eine gute Seite … | |
| 5 Feb 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Theobald Fuchs | |
| ## TAGS | |
| Winter | |
| Schnee | |
| Wetter | |
| Fasten | |
| Nürnberg | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Sex | |
| Familie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Der Fluch des Fastens | |
| Es ist völlig verhext mit dem Abnehmen: Mitten in der so negativen | |
| Abspeckzeit gewinnen wir plötzlich alle an leckerer, positiver Energie. | |
| Die Wahrheit: Verhinderter Retter in Ketten | |
| In Nürnberg soll die berühmte Burg über der Stadt mit dem Sinwellturm einer | |
| Autobahn weichen. Nur einer kämpft dagegen: Markus Söder. | |
| Die Wahrheit: Der Untergang der Alternative | |
| Das Ende der Populisten ist nahe: Spätestens nach den Bundestagswahlen im | |
| Jahr 2029 ist der rechte Spuk endgültig vorbei. | |
| Die Wahrheit: Lecker Populistenfutter | |
| Die Großdemonstration der AfE am Samstag in Berlin wirft ihre blutigen | |
| Schatten voraus. Die Gegner der Kannibalen formieren sich. | |
| Die Wahrheit: Der schnellste Sex der Welt | |
| Irgendwann werden die Leute genug haben vom ewigen „Schneller und | |
| Schlaue“'. Und sich auf die gute, alte Zeit besinnen, als die Betten noch | |
| wackelten … | |
| Die Wahrheit: Lob des Fabrikbiers | |
| Nichts geht über ein sauberes Industrieprodukt, das unter Einsatz der | |
| modernsten Techniken und Prozesse in einer sauberen Fabrik hergestellt | |
| wird. |