| # taz.de -- Video von Ertrinkenden im Mittelmeer: Werbespots zwischen Sterbenden | |
| > In einem Video über Flüchtende schaltet „Spiegel Online“ Werbung für d… | |
| > Bahn und Süßigkeiten – und findet das korrekt. Einer der Werbenden | |
| > distanziert sich. | |
| Bild: Konnten zum Glück gerettet werden: Geflüchtete auf einem Rettungsboot d… | |
| Köln taz | Am Sonntag veröffentlichte Spiegel Online (Spon) das Video „Es | |
| ist Mord“, das sie von der New York Times übernommen haben. Es zeigt, was | |
| mit Geflüchteten passierte, die im November 2017 von Libyen aus versuchten, | |
| [1][Europa zu erreichen] (Link führt auf das Video, in dem man sterbende | |
| Menschen sieht) – und zwischen den Toten ist im Video bei Spiegel Online | |
| Werbung platziert. | |
| Ein Sanitäter versucht im Schlauchboot, einen Geretteten wiederzubeleben. | |
| Um ihn herum schreien Menschen. Schnitt. „Haben Sie schon eine | |
| Risikolebensversicherung?“ Das Wasser brodelt vor strampelnden Körpern, aus | |
| den Wellen ragen die Hände. Schnitt: An einem weißen Sandstrand beißt eine | |
| leicht bekleidete Frau in eine weiße Kugel. „Jetzt ein Raffaelo“. | |
| Die Ertrinkenden sind zu weit verteilt. Eine Sanitäterin streckt sich aus | |
| dem Boot, um eine Hand zu erreichen, aber die Hand geht unter. Und sehen | |
| Sie: Ein paar Meter weiter, auf dem libyschen Schiff, da werden Gerettete | |
| ausgepeitscht. „Haben Sie Lust auf Milka?“ Eine Hand im Bild, Wellen | |
| schlagen über ihr zusammen, wieder einer tot. „Kennen Sie schon den | |
| ,Komfort Check-in' der Deutschen Bahn? Damit reist es sich bequemer.“ | |
| Während eine Crew der Sea Watch in Schlauchbooten versucht, die Menschen zu | |
| retten, zieht ein Kriegsschiff der libyschen Küstenwache mindestens 47 | |
| Ertrinkende aus dem Wasser und verprügelt sie zum Teil sofort. So sehr, | |
| dass einige wieder ins Meer springen, obwohl sie nicht schwimmen können. | |
| Etwa 20 Menschen ertrinken. | |
| Auf Anfrage der taz, wie es zur Einbindung der Werbung kommt und ob es | |
| medienethisch vertretbar sei, sie nicht zu deaktivieren, antwortet ein | |
| Pressesprecher der Spiegel-Gruppe: „Das Video ‚Es ist Mord‘ hat uns die N… | |
| York Times gemäß einer bestehenden Kooperation zur Verfügung gestellt. | |
| Diese sieht auch eine Vermarktung unsererseits vor.“ Spon hat nicht vor, | |
| die Werbung zu deaktivieren. Die Werbenden wurden nicht gefragt: Die Videos | |
| würden „standardmäßig mit Werbung versehen“. | |
| ## „Mehr als unpassend“ | |
| Das Versicherungsunternehmen CosmosDirekt, dessen Clip für | |
| Risikolebensversicherungen zwischen den Sterbenden läuft, positioniert sich | |
| dagegen öffentlich: Das Nachrichtenumfeld sei „mehr als unpassend“. Leider | |
| habe man keine Garantie, um eine solche Platzierung zu verhindern. „Wir | |
| möchten uns trotzdem in aller Form dafür entschuldigen!“, [2][twittert das | |
| Unternehmen]. Auf die Entschuldigung des Unternehmens hat Spon bis zum | |
| Redaktionsschluss der taz nicht reagiert. | |
| Die eine Frage ist, inwiefern die eingebundene Werbung medienethisch | |
| vertretbar ist, die andere, was die Platzierung für die Werbenden bedeutet. | |
| Für diese seien die Platzierungen wie im Spon-Video unvorteilhaft, sagt | |
| Georg Felser, Werbe- und Konsumentenpsychologe und Professor an der | |
| Universität Harz. „Es gibt sogenannte Kontexteffekte: Die beschreiben, dass | |
| wir eine Marke unterschiedlich wahrnehmen, abhängig davon, in welchem | |
| Zusammenhang wir ihre Werbung sehen.“ | |
| „Nehmen wir an, in irgendeinem Dreck wächst ein kümmerliches Blümchen. Das | |
| wirkt so viel duftender, als wenn es in einem prächtigen Strauß steckte. | |
| Bedeutet: Weil der Kontext negativ ist, nehmen wir es umso positiver wahr. | |
| Das nennt man Kontrasteffekt“, sagt Felser. | |
| Im Falle des Videos rechne er aber mit dem gegenteiligen Effekt. „Unser | |
| Automatismus ist der Angleichungseffekt: Der Kontext färbt auf die Marke | |
| ab.“ Je negativer das ist, was man im vorherigen Moment gesehen hat, umso | |
| negativer nehme man die Marke wahr. | |
| ## Effekt der Konditionierung | |
| „Verstärkt wird das hier, weil wir Werbung ja unterstellen, uns | |
| beeinflussen zu wollen“, sagt Felser. „Sehen wir in so einem Video also | |
| einen Werbeclip, rechnen wir den Kontext der Werbung der | |
| Beeinflussungsabsicht des Unternehmens zu: ‚Dass sie ausgerechnet hier | |
| werben, wie furchtbar‘.“ Und das, so Felser, beeinflusse die Wahrnehmung | |
| der Marke auch dann negativ, wenn Werbende sich wie im Fall des Spon-Videos | |
| tatsächlich gar nicht aussuchen konnten, wo ihre Werbung läuft. | |
| Bekannt sei auch, dass Werbung mitunter positiv empfunden werde, weil sie | |
| die ZuschauerInnen vor negativen Reizen sozusagen rette, sagt Felser. Hier | |
| sei ein ein Effekt der Konditionierung wahrscheinlicher. „Es gibt das | |
| Phänomen des Lernens mit nur einem Durchgang. Wenn uns etwas ekelt oder | |
| wehtut, lernen wir sehr schnell. Nehmen wir die Raffaelo-Werbung: Da | |
| kündigt dann die Marke sozusagen das Sterben an. Diese Assoziation einer | |
| negativen Emotion mit einer Marke kann auch unterbewusst sehr lange | |
| vorhalten.“ | |
| 29 Jan 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.nytimes.com/video/opinion/100000005820783/europe-migrant-crisis… | |
| [2] https://twitter.com/CosmosDirekt/status/1089930542538215425 | |
| ## AUTOREN | |
| Anett Selle | |
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