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# taz.de -- Die Wahrheit: Nächtlicher Heimweg
> Aus eins mach zwei mach drei: Wir sind viele, besonders ich. Kompliziert
> wird es, wenn man seinen Doppelgängern begegnet.
An einem Sonntagmorgen kam ich wieder einmal mit der letzten S-Bahn aus dem
Stadtzentrum zurück. Wie üblich absolvierte ich den Rest des Heimwegs zu
Fuß, da ich mir kein Taxi leisten konnte.
Der kürzeste Weg war der durch eine heruntergekommene, um diese Zeit völlig
ausgestorbene Straße. Die Beleuchtung ließ zu wünschen übrig, und es gab
ein paar finstere Stellen. Als ich eben die einzige intakte Straßenlaterne
weit und breit passiert hatte, kamen zehn Meter vor mir zwei Personen aus
einem abbruchreifen Haus. Sie gingen in dieselbe Richtung wie ich und
schienen von mir keine Notiz zu nehmen. Auf den ersten Blick fand ich, dass
die beiden mir auffallend ähnlich sahen. Den Eindruck, mich selbst in
doppelter Ausführung zu sehen, hatte ich nicht. Vielmehr fragte ich mich,
wie zwei Fremde dazu kamen, solche Ähnlichkeit mit mir zu haben. Ich war
entschlossen, ihnen zu folgen.
„Die werden doch nicht dasselbe Ziel haben wie ich?“, kam mir in den Sinn.
„Was tu ich nur, wenn sie auch zu mir nach Hause gehen?“
Doch das war unlogisch. Wenn sie nicht ich waren, konnten sie auch nicht zu
mir nach Hause unterwegs sein. Und wirklich wandten sie sich nun dem
Eingang eines der wenigen gepflegten Häuser in der Straße zu, stiegen die
Stufen zur Haustür empor und verschwanden. Es war mir nicht möglich, jetzt
einfach weiterzugehen. Ich musste wissen, was es mit den zweien auf sich
hatte.
## Die Bedrohung geht vom Wasser aus
Die Haustür gab dem Druck meiner Hand nach, gedämpftes Licht empfing mich
und ich trat vorsichtig ein. Wie ich überrascht erkannte, hatte ich aber
kein Treppenhaus vor mir, sondern eine leere Halle, die das gesamte Gebäude
bis unters Dach einnahm. Wie in einem Schwimmbad war die Bodenfläche fast
völlig von Wasser bedeckt. Ich stand kaum drei Meter vom Beckenrand
entfernt. Die Personen, denen ich folgte, konnte ich nirgendwo erblicken.
Vielleicht hatte ich sie mir nur eingebildet?
Das tiefe Wasser vor mir machte einen bedrohlichen Eindruck. Dieser Ort
konnte nicht gut für mich sein. Ich wollte schnell wieder nach draußen, um
meinen Heimweg fortzusetzen. Wie ich mich umwandte und zur Haustür laufen
wollte, stieß ich beinahe mit einer plötzlich zwei Schritte hinter mir
stehenden Gestalt zusammen. Es war eine ältere Frau, gekleidet wie eine
Stewardess aus den sechziger Jahren. Erstaunt fragte sie mich: „Wohin
willst du? Wo ist dein Pendant?“
Daraus schloss ich, dass sie mich für einen meiner Doppelgänger hielt. Ohne
zu antworten, lief ich an der Frau vorbei zur Haustür. Einen Augenblick
lang befürchtete ich, letztere könne inzwischen abgeschlossen sein, aber
das war sie nicht. Ich riss sie ungehindert auf, prallte jedoch zurück bei
dem Anblick, der sich mir bot. Bürgersteig und Straße quollen über von
Menschen. Schweigend bewegten sie sich zügigen Schritts in die Richtung, in
die auch ich wollte. Und alle sahen aus wie ich.
22 Jan 2019
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
Doppelgänger
Heimweg
nachtaktiv
Groteske
Stadtplanung
Hunde
Groteske
Elektronik
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