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# taz.de -- Die Wahrheit: Nacht bei den Engeln
> Auf einem verwahrlosten Grundstück ereignen sich unglaubliche Dinge, bis
> endlich die Polizei kommt und dem Spuk eine Ende macht.
Nichts außer dem Rauch, der eines Abends deutlich sichtbar aus dem
Schornstein aufgestiegen war, deutete darauf hin, dass wieder jemand in dem
kleinen, seit Jahren leerstehenden Haus wohnte. Weder brannte je Licht,
noch wurde das hohe Gras im Vorgarten gemäht. Auch der Schornstein rauchte
nicht wieder. Mein von dieser Ungereimtheit gereizter Verstand forderte
eine Erklärung.
Seit meiner Jugend litt ich an sogenannter „Kreislaufschwäche“, die
manchmal schon beim Erwachen auftrat und mir Schwindel, Übelkeit und in
seltenen Fällen sogar Ohnmacht bescherte. An so einem Tag musste ich trotz
meiner elenden Verfassung etwas Wichtiges in der Stadt erledigen. Weil ich
hoffte, die Bewegung werde mir guttun, ging ich zu Fuß. Indes
verschlechterte sich mein Zustand nur. Als ich durch die Straße kam, in der
das geheimnisvolle Haus stand, war ich kurz davor, zusammenzubrechen.
Zu allem Überfluss begann es, stark zu regnen. Bis zum Gartentor besagten
Hauses war es nicht mehr weit. Ziemlich nass und kaum mehr bei Sinnen,
taumelte ich auf das verwahrloste Grundstück. Während ich mich zum Haus
schleppte, glaubte ich zu sehen, dass jemand in der offenen Tür stand. Eine
freundlich klingende Stimme rief mir zu, ich solle doch hereinkommen, der
Kamin sei geheizt, und ich könne die Kleidung trocknen.
Beim Eintreten nahm ich Wärme und den Geruch von brennendem Holz wahr.
Plötzlich wurde es so hell, dass ich nichts sehen konnte. Ich bat, das
Licht auszuschalten, doch wurde darauf geantwortet, das sei leider
unmöglich. Wie zur Begründung fügte die Stimme etwas hinzu, das für meine
halbbetäubten Ohren klang wie: „Wir sind Engel.“
Ich glaubte, Flüstern und leises Lachen zu hören, dann erlosch das Licht
und mit ihm mein Bewusstsein. Lautes Klopfen und Rufen weckte mich unsanft:
„Aufmachen! Polizei!“ Ich begriff überhaupt nichts.
Es war stockfinster. Benommen tastete ich nach meiner Nachttischlampe,
konnte sie jedoch nicht finden. Alles, was ich berührte, war mir fremd. Im
Raum roch es nach trockenem Holz, auch das war ungewohnt. Ich versuchte,
mich zu erinnern, was geschehen war. Indessen ging das Klopfen und Rufen
weiter. Zweifellos kam es von der Tür. Ich stand auf, um nachzusehen. Im
Dunkeln stieß ich gegen unerwartete Hindernisse und fand zuletzt eine Tür,
die sich aber nicht vertraut anfühlte. Nach mehreren Versuchen gelang es
mir, sie zu öffnen.
Draußen standen, von Mondlicht beschienen, zwei Polizisten. Einer fragte
mich: „Was tun Sie hier? Können Sie sich ausweisen?“ Desorientiert fing ich
an, von der zerstörerischen Macht des Schlafs zu sprechen. Der andere
Polizist unterbrach mich: „Passen Sie auf: Wenn wir ,Jetzt' sagen, wachen
Sie zu Hause in Ihrem Bett auf.“ Es erstaunte mich, dass ein Polizist so
etwas sagte. Und schon riefen beide: „Jetzt!“ Tatsächlich erwachte ich in
meinem Bett. Es war früh am Morgen und noch dunkel.
21 Sep 2018
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
Groteske
Traum
Polizei
Doppelgänger
Hunde
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