# taz.de -- Dokumentation „Surviving R. Kelly“: Das #MeToo der Musikbranche | |
> Seit Jahrzehnten werden dem R’n’B-Sänger R. Kelly sexueller Missbrauch | |
> und Pädophilie vorgeworfen. Jetzt kommen Betroffene zu Wort. | |
Bild: Die Graswurzelbewegung, die die große Aufarbeitung initiierte:#MuteRKell… | |
Berlin taz | „Ich habe entschieden: Es reicht jetzt“, sagt Jerhonda Pace. | |
Sie hat beschlossen nach Jahren des Schweigens ihre Geschichte zu erzählen. | |
Wie sie mit R. Kelly als 16-Jährige Oralsex hatte, wie er sie im Laufe ihre | |
Beziehung zwang, ihn „Daddy“ zu nennen, wie sie ihn immer um Erlaubnis | |
bitten musste, wenn sie essen oder duschen wollte. Wie er sie hungern ließ, | |
sie schlug und tagelang in ein Zimmer sperrte, wenn sie nicht tat, was er | |
wollte. | |
Jerhonda Pace ist mit ihren Erfahrungen nicht alleine. Mehrere Frauen | |
werfen in der kürzlich erschienen Doku-Serie „Surviving R. Kelly“ dem | |
R’n’B-Sänger, der vielen wohl vor allem durch seinen Hit „I Believe I Can | |
Fly“ (1998) bekannt ist, verschiedene Formen des Missbrauchs vor. Das | |
beginnt mit der illegalen Heirat zwischen dem damals 27-Jährigen und der | |
15-jährigen Sängerin Aaliyah. Auf der Urkunde wurde sie als 18 eingetragen, | |
als das nach wenigen Monaten öffentlich wird, wird die Ehe annulliert. | |
Immer wieder haben Frauen ihn verklagt, weil er mit ihnen Sex hatte, als | |
sie minderjährig waren. Sie sind Backgroundsängerinnen oder -tänzerinnen, | |
Mädchen aus armen Verhältnissen, die sich mit dem Musiker einließen, weil | |
sie auf eine große Karriere hofften. Es ist ein Muster, das sich | |
durchzieht. Sie alle sind Women of Color, die meisten haben R. Kelly | |
kennengelernt, als sie minderjährig waren. Verurteilt wurde R. Kelly nicht | |
– alle Anschuldigungen wurden außergerichtlich mit Geldzahlungen geklärt. | |
Doch ist die Gesellschaft jetzt, gut ein Jahr nach #MeToo, bereit, sich mit | |
R. Kelly auseinanderzusetzen? | |
Seit den 90er Jahren soll Kelly seine Berühmtheit, sein Geld und seinen | |
Einfluss genutzt haben, um Sex mit Minderjährigen zu haben und Frauen | |
psychisch und physisch zu missbrauchen. Aktuell gibt es Vorwürfe, dass | |
Kelly eine Art „Sex-Kult“ pflegt, in dem er junge Mädchen und Frauen als | |
„Sklavinnen“ halten soll. Dies wurde im Sommer 2017 [1][in Form einer | |
Recherche von Buzzfeed öffentlich.] Auch in „Surviving R. Kelly“ kommen | |
verschiedene Eltern zu Wort, die ihre Kinder seit Jahren nicht mehr gesehen | |
haben. Kelly streitet alle erhobenen Vorwürfe gegen ihn ab. Die | |
sechsteilige Doku lief Anfang Januar beim US-amerikanischen Fernsehsender | |
Lifetime, im Mai wird sie in Deutschland auf dem Pay-TV-Kanal A&E | |
ausgestrahlt. | |
## Verhaftet wegen Kinderpornografie | |
Bis heute wurde der R’n’B-Star für kein Verbrechen verurteilt und seine | |
Karriere hat unter den Vorwürfen nie merklich gelitten – mit mehr als 150 | |
Millionen verkauften Tonträgern zählt er zu den erfolgreichsten Musikern | |
weltweit. 2002 wurde R. Kelly zum ersten Mal verhaftet wegen | |
Kinderpornografie. Ein Video war aufgetaucht, in dem der Sänger angeblich | |
beim Sex mit einer 14-Jährigen zu sehen war. Sechs Jahre später wurde er im | |
Prozess freigesprochen, da er und das Mädchen aussagten, es seien nicht sie | |
in dem Video. Verwandte und Freund*innen identifizierten jedoch die beiden. | |
Das Video wurde als VHS auf dem freien Markt verkauft, es gab | |
Medienberichte, die Branche wusste Bescheid, doch Konsequenzen gab es | |
keine. Stattdessen sang der Musiker im gleichen Jahr bei der | |
Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Salt Lake City. Kurz nach | |
seiner zweiten Verhaftung, erneut wegen Kinderpornografie, im Jahr 2003 | |
brachte er den Song „Ignition“ auf den Markt, der zum Welterfolg wurde. Zum | |
Prozess kam es nach seiner zweiten Verhaftung nicht. | |
Welche Strukturen das Verhalten R. Kellys begünstigt haben, ist kein | |
zentrales Thema der Dokumentation. „Surviving R. Kelly“ stellt die | |
Überlebenden in den Vordergrund, die zum Teil erstmals von ihren | |
Erfahrungen erzählen. Doch ohne Mitwisser*innen und Mittäter*innen könnte | |
R. Kelly nicht über solch einen langen Zeitraum weitermachen. | |
„Er musste Helfer haben“, sagt auch seine Ex-Frau Andrea Lee. Und die hatte | |
er. Unter anderem ist da sein Bruder, der feststellt: „Ja, er mag jüngere | |
Frauen, aber das ist kein Problem.“ Und er ist nicht der Einzige, der | |
wegschaut. Sein ehemaliger Assistent Demetrius Smith und ein anderer | |
Mitarbeiter outen sich als Mitwisser und Unterstützer – sie sagen, dass sie | |
ihre Taten von damals heute bereuen. | |
Doch warum interessierte sich lange Zeit niemand für die Vorwürfe gegen R. | |
Kelly? Eine Frage, mit der sich auch die Doku beschäftigt. Autorin Mikki | |
Kendall hat darauf eine Antwort: „Die Leute haben mitbekommen, was passiert | |
ist. Aber es war ihnen egal, weil wir schwarz sind.“ Und auch Chance the | |
Rapper bestätigt das aus eigener Erfahrung: „Ich habe den Geschichten keine | |
Beachtung geschenkt, weil es um schwarze Frauen ging.“ Studien unterstützen | |
diese Annahmen, 2017 [2][fand die Georgetown Law heraus], dass Erwachsene | |
finden, schwarze Mädchen bräuchten weniger Schutz als weiße Mädchen. | |
## Kampagnen im Netz | |
Doch seit die Doku ausgestrahlt wurde, tut sich etwas. Als Produzentin | |
dream hampton auf der Suche nach Prominenten war, die bei der Doku | |
mitwirken möchten, war John Legend einer der wenigen, der zusagte. Laut | |
hampton waren Künstler*innen, wie Jay-Z oder Erykah Badu, nicht bereit, vor | |
der Kamera zu sprechen. Doch jetzt distanzieren sich immer mehr | |
Musiker*innen von dem R’n’B-Weltstar. | |
So entschuldigte sich vergangene Woche Lady Gaga für die Zusammenarbeit mit | |
R. Kelly und will den gemeinsamen Song „Do What U Want“ von allen | |
Streamingdiensten entfernen lassen. Große Radiosender verkünden, dass sie | |
seine Musik nicht mehr spielen wollen, Konzerte von ihm werden abgesagt, | |
und zuletzt überraschte die Nachricht, dass sein Musiklabel RCA Records, | |
das zum Konzern Sony Music gehört, nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten | |
will. | |
Das alles ist auch der Graswurzelbewegung #MuteRKelly zu verdanken, die | |
2017 von der #MeToo-Initiatorin Tarana Burke und Oronike Odeleye ins Leben | |
gerufen wurde. Sie suchten das Gespräch mit Szenegrößen der Musikindustrie, | |
demonstrierten und organisierten Kampagnen im Netz – mit Erfolg. Die | |
jetzigen Konsequenzen zeigen, dass #MeToo und #TimesUp etwas verändert | |
haben, sie haben die Gesellschaft für eine Debatte geöffnet. Nachdem #MeToo | |
hauptsächlich von Geschichten weißer Frauen dominiert wurde, wird die | |
Debatte um R. Kelly nun von vielen als der #MeToo-Moment der schwarzen | |
Frauen bezeichnet. | |
Doch das ist nur die eine Seite der Geschichte. Nur wenige Tage nach | |
Veröffentlichung der Doku haben sich die Klickzahlen seiner Songs bei | |
Streaming-Anbietern verdoppelt – von 870.000 auf 1,7 Millionen pro Tag. Im | |
Mai hatte Spotify die Musik von R. Kelly aus allen Spotify-Playlisten | |
genommen. Doch nach nur drei Wochen nahmen sie ihre Policy, mit der | |
„hasserfüllte Inhalte“ nicht gefördert werden sollten, wieder zurück. Und | |
noch immer hält die Musikindustrie an dem R’n’B-Star fest. | |
## Großes Geld | |
So finden in Deutschland in den kommenden Monaten noch Konzerte von Kelly | |
statt, im April soll er in Ludwigsburg sowie in Hamburg auftreten. Auf | |
Anfrage der taz, ob es Überlegungen gäbe, die Konzerte abzusagen, | |
reagierten die Veranstalter nicht, und bis heute stehen die Tickets zum | |
Kauf bereit. Allein für das Konzert in Ludwigsburg interessieren sich über | |
5.000 Menschen bei Facebook. | |
Auch in Deutschland regt sich erster Protest. Unter dem | |
#RKellyStummschalten gibt seit Anfang der Woche eine Petition, die dafür | |
sorgen will, dass die beiden angekündigten Konzerte abgesagt werden. Bisher | |
haben knapp 2.000 Menschen sie unterschrieben. | |
Während die Opfer jahrelang nicht gehört wurden und keine Gerechtigkeit | |
erfahren, verdient R. Kelly weiterhin großes Geld mit seiner Musik. Auch | |
ohne bisherige Verurteilung sind viele der Vorwürfe durch Recherchen, unter | |
anderem von Buzzfeed, [3][dem New Yorker] oder der Chicago Sun-Times, | |
Gerichtsunterlagen, Zeugenaussagen und Videos belegt. | |
Doch was die Betroffenen brauchen, ist ein fairer Gerichtsprozess. Das | |
könnte jetzt passieren. Staatsanwälte aus Chicago und Atlanta haben nach | |
der Ausstrahlung der Doku die Ermittlungen zu den Anschuldigungen der | |
Pädophilie und sexueller Übergriffe durch den Sänger aufgenommen, Sie rufen | |
Betroffene und Zeug*innen auf, sich bei ihnen zu melden. Denn auch wenn es | |
20 Jahre zu spät ist, werden die Überlebenden jetzt endlich gehört. | |
23 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.buzzfeednews.com/article/jimderogatis/parents-told-police-r-kel… | |
[2] https://www.washingtonpost.com/local/education/study-black-girls-viewed-as-… | |
[3] https://www.newyorker.com/news/daily-comment/r-kelly-and-the-complexities-o… | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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