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# taz.de -- Kolumne Air de Paris: Fingerschnipsen für Frankreich
> Wie naiv man doch sein kann! Unsere Autorin dachte, Emmanuel Macron könne
> Frankreich befrieden. Aktuell wirkt er überfordert.
Bild: Befriedeter, zukunftsbejahender, von der Angst befreit? Frankreich unter …
Als ich kürzlich anlässlich der Trauerfeiern des 7. Januars meine
[1][Kolumne des Vorjahres] las, war mein erster Gedanke: Wie naiv man doch
sein kann, wenn man glauben möchte! Damals saß ich, so wie auch am
vergangenem Montag, in meinem kleinen Büro oberhalb des Boulevard Richard
Lenoir, sah aus meinem Fenster und beobachtete, so wie auch schon im Jahr
zuvor, die kurze Gedenkfeier, die seit den [2][Anschlägen des 7. Januar
2015] jährlich dort unten abgehalten wird.
Die Zeremonie verläuft immer gleich: Eine kleine Menschentraube läuft gegen
11 Uhr von den ehemaligen Charlie-Hebdo-Räumen rüber zum Boulevard, es wird
der Name Ahmed Merabet vorgelesen, eine Schweigeminute gehalten, die
Marseillaise gesungen, bis sich die Traube wieder auflöst und die Menschen
den Boulevard in dicken dunklen Autos verlassen.
Das war im vergangenen Jahr so, das war auch im Jahr zuvor schon so. Nur
schien mir am 7. Januar 2018 trotz der Wiederholung der zeremoniellen
Schritte alles ganz anders. Oder besser gesagt: Mir schien dieses
Frankreich, in dem man die Gedenkfeier abhielt, anders. Befriedeter,
zukunftsbejahender, ein Stück weit von der Angst, von Zorn und
Orientierungslosigkeit befreit.
Ich hatte den Eindruck, dieser neue, junge Präsident, Emmanuel Macron, habe
es geschafft, ein bisschen Ruhe in sein Land zu bringen und sei dabei,
diesen schwer beweglichen Frachter in eine neue Richtung zu lenken. Und
das, obwohl mir natürlich klar war, dass die Konflikte, die Frankreich vor
Macron zerrissen hatten, mit Macron nicht einfach durch ein Fingerschnipsen
verschwunden waren.
Und natürlich sah auch ich, dass diese vermeintliche Befriedung, an die ja
viele, besonders im Ausland, hatten glauben wollten, ein bisschen zu
einfach und schnell vor sich gegangen war. Nur greift man im Land der
Meckerer und Pessimisten wohl gerne mal nach einem unerwartet
optimistischen Rettungsstrohhalm.
## „Acte huit“
Nur beweist das Ende des hinter uns liegenden und der Beginn dieses neuen
Jahres, dass ich mich getäuscht habe und Wunschdenken auch niemanden
voranbringt. Ein Jahr, nachdem ich da, wie viele andere, von einem
Neuanfang träumte, steht das Land und sein junger, wie man jetzt
feststellt, wohl doch zu unerfahrener Präsident vor einer Krise, dessen
Ausgang immer unklarer ist. Es scheint, als brächen plötzlich alle
Versäumnisse der vergangenen Jahre über ihn herein und als habe er nicht
die leiseste Ahnung, wie darauf zu reagieren ist.
Erst am vorvergangenen Samstag, dem sogenannten „Acte huit“, wie das Medien
und Gelbwesten übertrieben theatralisch nennen, fuhren ein paar Gelbwesten
mit einem Gabelstapler in die Tür eines Ministeriums im 7. Arrondissement,
durchbrachen die Tür, das Tor, zertrümmerten die Windschutzscheiben von
zwei Autos im Hof und suchten dort – man weiß nicht genau, was. Der
Regierungssprecher Benjamin Griveaux wurde sofort evakuiert.
Etwa zur gleichen Zeit verprügelte ein professioneller Boxer einen
Polizisten auf der Sédar-Senghor-Brücke. Sein Gesicht verbarg der Mann
dabei nicht, so, als spiele es gar keine Rolle mehr, dass man für einen
solchen Angriff fünf Jahre im Knast landen kann.
## Autos anzünden ist aufregender als Shoppen
So, als sei das Recht, das bis auf Weiteres in Frankreich gilt, für ihn,
wie offensichtlich für viele dieser Randalierer (ob sie nun „echte“
Gelbwesten sind oder nicht, ist eigentlich egal), längst überholt. Weil sie
das System für überholt halten? Weil Autos-in-Paris-Anzünden aufregender
ist als in einer Vorstadt-Mall rumzuhängen?
Mit den legitimen Forderungen der Bewegung hat das zumindest nicht viel zu
tun. Die Opposition, die Marine Le Pens und Jean Luc Mélenchons dieses
Landes, finden für die allwöchentliche Anarchie allerdings trotzdem keine
mahnenden Worte und schieben die Gewalt stattdessen einfach auf den
Präsidenten. Ist ja auch zu praktisch!
Emmanuel Macron wiederum antwortet nur noch mit dem mittlerweile schon
traditionellen [3][Samstagabend-Tweet]: „Die extreme Gewalt hat die
Republik ein weiteres Mal getroffen. Die Justiz wird urteilen.“ Alle
müssten sich nun wieder fangen, schreibt er, um den Dialog, seinen
geplanten „nationalen Dialog“, zu ermöglichen. Was dabei angesichts dieser
kollektiven Irrationalität rauskommen kann, wird sich zeigen.
15 Jan 2019
## LINKS
[1] /Kolumne-Air-de-Paris/!5472567
[2] /Kommentar-Anschlag-auf-Charlie-Hebdo/!5024512
[3] https://twitter.com/emmanuelmacron?lang=de
## AUTOREN
Annabelle Hirsch
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