# taz.de -- Sponsoring in der Club- und Musikkultur: Auf der Suche nach neuen F… | |
> Sponsoring von Firmen wie Red Bull wird in der Club- und Musikkultur als | |
> notwendiges Übel betrachtet. Allerdings gibt es Alternativen. | |
Bild: Den Stier im Nacken: Künstler DJ Rafik bei einer von der Red Bull Music … | |
Popkultur lebt seit Langem von einem Mythos, der die Welt in ein Oben und | |
ein Unten aufteilt. An der Spitze liegt der Mainstream, wo sich | |
Musiker*innen mit kommerziellen Interessen tummeln. Unten schwimmt ein | |
breiter Underground, das Plankton, die integren Avantgardisten. Der Mythos | |
fußt auf einer halbgaren Patchwork-Ideologie: Die Guten sind die wahren, | |
kritischen, unabhängigen Künstler und die Bösen die Sell-outs, Lakaien der | |
Kulturindustrie. | |
Zu einer Zeit, als es noch möglich war, selbst als Noise-Musiker oder | |
Produzent von experimenteller elektronischer Clubmusik mit Plattenverkäufen | |
ein lukratives Nebeneinkommen zu haben, war dieser Mythos relativ | |
plausibel. Heute ist die Unterscheidung komplizierter geworden und manchmal | |
gar ein Marketing-Gag. Das heißt nicht, dass es nicht noch alternative, | |
„saubere“ Vertriebswege geben würde, ob klassisch via kleinen Agenturen | |
oder mit der Onlineplattform Bandcamp, auf der Musiker*innen ihre Musik zum | |
Selbstkostenpreis anbieten können. Indem die Verbreitung aber einer sehr | |
großen Eigeninitiative bedarf, stehen jene Möglichkeiten im Kontrast zu | |
denen von Superstars wie Beyoncé, der bei der Veröffentlichung eines neuen | |
Albums weltweite Aufmerksamkeit gewiss ist. | |
Für Vertriebswege mag die Unterscheidung zwischen Mainstream und | |
Underground oder besser gesagt, Major und Indie noch gelten. Aber selbst | |
für – zum Beispiel – die experimentelle Musikproduzentin aus Kapstadt, die | |
ihre neue EP mit einer Kleinauflage von 300 Platten selbst vertreibt, wird | |
es immer schwieriger, jenseits des kapitalistischen Systems zu agieren. Wir | |
sind mit allen möglichen Kanälen dauervernetzte Wesen und als Macher*innen | |
wie Rezipient*innen selbst der nischigsten Musik treue Kompliz*innen eines | |
auf Profit gebürsteten Systems. Wir hören morgens von Werbung unterbrochene | |
Musik auf Soundcloud, posten mittags Songs auf den Websites | |
internationaler Medienmonopole und gehen abends auf Konzerte, die von | |
Energy-Drinks oder hippen Schuhmarken finanziert werden. | |
Das geht meist unbemerkt vonstatten. Branded Content ist subtil, gerade, | |
wenn er intelligent verpackt ist und kultursensibel, wie bei der Red Bull | |
Music Academy (RBMA), der „Vans Warped Tour“ und der Kollaboration des | |
unabhängigen Londoner Radiosenders NTS mit der Modemarke Carhartt, im | |
Vergleich zum marktradikal agierenden Versandhaus Zalando, das anlässlich | |
der Berliner Modemesse Bread & Butter im Spätsommer internationale Popstars | |
wie M.I.A einfliegen ließ. | |
## Quasifeudale Beziehung zwischen Künstler und Firma | |
Mit der Unsichtbarkeit dieser Praxis ist es seit der Debatte [1][über die | |
rechtspopulistischen Äußerungen von Red-Bull-CEO Dietrich Mateschitz] | |
anlässlich des Berliner RBMA-Festivals vorbei. Etliche Kollaborateure haben | |
seitdem der RBMA abgeschworen, neben [2][Labels wie Live From Earth] auch | |
Clubs wie der renommierte „Zukunft“ in Zürich. Dass bei aller Liebe zum | |
Programm von RBMA, das sich indirekt von Mateschitz distanziert hat und | |
auch fraglos große Erfolge in puncto Diversität in der Clubkultur erzielt | |
hat, eine quasifeudale Beziehung zwischen Unternehmen und Künstler | |
herrscht, wurde kurz darauf bekannt. So hat das RBMA-Radio im Herbst ein | |
Interview mit dem Berliner Soundkünstler Nik Nowak abgebrochen, [3][sobald | |
sich dieser kritisch über den Red-Bull-Unternehmer äußerte]. | |
Doch auch in weniger extremen Fällen ist klar: Gebrandete Events sind nie | |
völlig frei. Sie finden nicht in der Öffentlichkeit statt, sondern in einem | |
privaten Rahmen, weshalb alle Besucher*innen für die Dauer der | |
Veranstaltung zu wandelnden Werbeflächen werden, die das Lebensgefühl einer | |
Generation symbolisieren sollen. Dass dieses Gefühl dann so aussehen soll | |
wie die Brause schmeckt, kann selbst dem ignorantesten Zeitgenossen nicht | |
gefallen. | |
Doch warum stellen sich etliche Künstler*innen nach wie vor hinter die Red | |
Bull Music Academy? Es steht womöglich viel mehr auf dem Spiel als ein | |
bisschen Kohle eines fragwürdigen Unternehmens. Womöglich hat das immense | |
Kapital von Red Bull und Co. eine prekäre, von staatlichen Förderungen | |
weitgehend ignorierte Musikindustrie künstlich am Leben gehalten – und | |
damit nicht nur für das Überleben der Künstler*innen, sondern auch des | |
eingangs beschriebenen Mythos gesorgt. | |
Branded Content in der Musik nervt zwar, aber er ist auch ein Advocatus | |
Diaboli. Dank dieser Marketingstrategie kommen wir alle kostengünstig in | |
den Genuss abgefahrener Musik, aber zugleich leistet sie mit ihrer | |
Konzentration auf Einzelne bei gleichzeitiger Ausblendung der | |
dahinterstehenden kulturellen wie sozialen Grundlage, Szene genannt, auch | |
so etwas wie aktive Sterbehilfe einer Musikkultur, die immer auch | |
Gegenkultur war. Was würde passieren, wenn Akteure wie RBMA verschwinden | |
würde? Welche Alternativen gibt es? | |
Ein schlaues Konzept verfolgt [4][der Streaming-Sender Boiler Room (BR)], | |
der regelmäßig Partys mit experimenteller Clubmusik live aus den Venues | |
dieser Welt, von New York bis Ramallah, „sendet“ und den Club ins | |
Schlafzimmer holt – eine amüsante Idee, die in der Produktion teuer, aber | |
kostenfrei für die Zuschauer ist. Um sie zu finanzieren, arbeitet auch BR | |
mit zugkräftigen Marken zusammen. Zuletzt mit „scopes driven by Porsche“, | |
einem Event, der „jungen Leuten den visionären Geist“ der Automarke | |
nahebringen möchte. | |
Branded Content für viele Künstler nur ein Extra | |
Im Gegensatz zu RBMA finanziert sich BR nicht über die Monetarisierung von | |
„Content“, sondern aus Drittmitteln. Da es für diese Nischen kaum | |
öffentliche Förderung gibt, anders als im Sektor Jazz oder „Kunstmusik“, | |
ist BR auf Medienpartner angewiesen. Werbung zu schalten, käme aber nicht | |
infrage, erklärt der BR-Kurator Michail Stangl. Sie würden sehr darauf | |
achten, die Szenen, mit denen sie zusammenarbeiten, zu respektieren und zu | |
schützen. „Wir möchten immer auf Augenhöhe kommunizieren.“ Um nicht | |
komplett von Markengeld abhängig zu sein, hat BR inzwischen eine Reihe von | |
Investoren. Die Finanzierung ist eine Mischung aus Markenkollaboration und | |
Investment. | |
Der „Mehrwert“ des Unternehmens besteht im Gegensatz zu RBMA nicht in einem | |
ökonomischen, sondern einer Art Sichtbarkeitskapital – die Reichweite des | |
Senders von rund 250 Millionen Zuschauern im Monat ist definitiv ein | |
Karrieresprungbrett. Erzeugt das nicht auch eine Art Abhängigkeit der | |
Künstler*innen? Stangl zufolge ist das wenig ausschlaggebend. Auch die | |
Abhängigkeit von Markensponsoring schätzt Stangl eher gering ein. Hier | |
existiere laut BR eine Art „blinder Fleck“. Der finanzielle Anteil des | |
Markensponsoring sei vergleichsweise gering. Für viele Musiker*innen sei | |
Branded Content nur ein Extra, aber keine Alternative zur herkömmlichen | |
Karriere, für die sich immer noch die meisten entschieden. Das bedeute | |
heute vor allem: Live-Gigs oder die Lizensierung ihrer Musik an Werbung und | |
Filme. | |
Wichtige Fragen zum Einkommen von Künstlern stellt sich seit jeher auch | |
[5][der britische Musiker Mat Dryhurst], den man auch als Duopartner der | |
US-Künstlerin Holly Herndon kennt. Den 34-Jährigen interessieren | |
alternative ökonomische Modelle wie group equity, die auf kollektivem | |
Eigenkapital und Kryptowährung basieren. Letztere erlauben einen | |
dezentralen unabhängigen Zahlungsverkehr, der statt der zentralen Instanz | |
wie eine Bank über eine blockchain organisiert ist. Mit „Saga“ hat Dryhurst | |
ein digitales Verlagssystem geschaffen, das der Ausbeutung entgegentritt. | |
„Es ermöglicht Künstlern volle Kontrolle, also auch, verschiedene Formen | |
der Monetarisierung“, erklärt Dryhurst. So ließe sich etwa ein Timer | |
einbauen, der sich automatische einschaltet, nach den ersten 500 | |
kostenfreien Plays, bevor der Stream von Musik dann nach einem selbst | |
festgelegten Preis berechnet wird. | |
## In Kunstorte investieren | |
Interessant ist die Möglichkeit, Musik auch online ortsabhängig nach | |
Reichweite zu vermarkten. Ein Blog, der wenige Leser*innen erreicht, könnte | |
die Musik kostenlos nutzen, aber eine Website von großen Unternehmen müsste | |
zahlen. „Es geht darum, dass der Marktwert eines Kunstwerks immer vom Ort | |
abhängig ist. Ein Gemälde ist in einer Galerie mehr wert als in meinem | |
Wohnzimmer, dasselbe gilt für Musik.“ | |
Ein zentrales Problem ist, dass dieselbe Generation, die ihre | |
Komplizenschaft mit dem System nicht hinterfragt, genauso wenig bereit ist, | |
überhaupt noch Geld für Musik auszugeben. Das weiß auch Dryhurst – und | |
sinniert über das Potenzial physischer Räume, dem auch außerhalb der | |
Kulturblase wohl größten politischen Schlachtfeld, weil die, die sie | |
besitzen, auch oft die Macht haben. In Berlin gebe es zumindest noch einige | |
Räume, allerdings eher für etablierte Szenen wie Techno und House. In | |
traditionellen Clubs fühlten sich laut Dryhurst die neuen experimentellen | |
Elektronikszenen, die eher in virtuellen Räumen existieren, oft fehl am | |
Platz. „Was aber würde passieren, wenn eine große Gruppe von Menschen einen | |
Ort gemeinsam besitzen und kuratieren würde?“ Statt für Downloads zu | |
zahlen, die keinen „echten“ Wert haben, könnte man in Räume investieren. | |
In Berlin hätten allein aus den millionenfachen Vinyl-Verkäufen jede Menge | |
Immobilien erworben werden können. Dryhurst trifft hier womöglich auf jenen | |
blinden Fleck, von dem Stangl spricht – geht es hier doch um die letzte | |
verlässliche Einnahmequelle: Live-Musik. Es wäre daher ratsam, Unternehmen, | |
die von sich selbst sagen, ihnen läge etwas an einer nachhaltigen Förderung | |
von Musikkultur, nicht zu verteufeln, sondern ihnen solche neuen | |
Vermarktungsideen nahezubringen und Interesse für eine Beteiligung zu | |
wecken. Vielleicht ist ja dann bald auch endlich wieder Platz, um an einem | |
Indie-Mythos zu basteln. | |
28 Dec 2018 | |
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## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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