# taz.de -- Hebammen protestieren mit Postkarten: Mein lieber Jens! | |
> Die Situation der Hebammen in Deutschland ist prekär. Aktivist*innen | |
> demonstrieren dagegen – indem sie Jens Spahn Postkarten schicken. | |
Bild: Wer einen Platz im Kreißsaal und Betreuung durch eine Hebamme bekommt, h… | |
BERLIN taz | „Lieber Jens, wir müssen reden“, steht [1][auf einer schmalen | |
Postkarte]. „Letzte Woche bin ich 620 km gefahren, habe 50 Stunden | |
gearbeitet. Ich muss monatlich 8 Frauen betreuen, um meine Familie und mich | |
zu finanzieren. Außerdem musste ich 9 Schwangeren absagen, da ich bis | |
31.07.2019 ausgebucht bin. Mein lieber Jens Spahn, jede Frau hat ein Recht | |
auf umfassende Hebammenbetreuung!“ | |
Es ist eine von vielen Postkarten, die im Rahmen einer Protestaktion | |
„Lieber Jens“ an den Gesundheitsminister Jens Spahn geschickt werden. Ende | |
November startete sie, mittlerweile sind es 1000 Karten, die über eine | |
Homepage erstellt wurden. Dazu kommen 10.000 Karten, die die Aktivist*innen | |
an Praxen und Hebammen verteilt haben. Initiatorinnen der Aktion sind | |
Katharina Perreira, Gerlinde Skupin und Emine Babac, Hebammen und | |
Aktivistinnen aus Berlin, „die die Missstände nicht länger hinnehmen und | |
ganz individuell auf sie aufmerksam machen wollen“, wie sie [2][auf der | |
Website] über sich schreiben. | |
Wer im Rahmen der Aktion eine Postkarte an Jens Spahn schicken möchte, tut | |
das über jene Seite. Fünf Varianten gibt es dafür zur Auswahl: „Frau mit | |
Hebamme“, „Frau ohne Hebamme“, „Hebamme in der Klinik“, „Freiberufl… | |
Hebamme“ oder „freier Text“. Beim Klick auf die ersten vier öffnet sich … | |
Feld mit einem vorgeschriebenen Text, in dem nur ein paar persönliche | |
Zahlen eingetragen werden müssen. | |
„Seit der ___ Schwangerschaftswoche bin ich auf der Suche nach einer | |
Hebamme“, zum Beispiel. Oder „Im letzten Monat habe ich ____ Überstunden | |
gemacht und musste ____ Rufdienste übernehmen. Meine längste Arbeitszeit | |
betrug dabei ____ Stunden.“ Wie zu vermuten gibt die Variante „freier Text�… | |
Nutzer*innen die Möglichkeit, ganz eigene Gedanken zu formulieren. | |
Die Karten werden dann von den drei Aktivistinnen gedruckt und verschickt. | |
Finanziert werden die Karten über ein Crowdfunding, das vor zwei Jahren | |
gemacht wurde. Die Pressestelle des Bundesministeriums für Gesundheit | |
bestätigte der taz, dass Spahn „an beiden Dienstsitzen, in Berlin und Bonn, | |
derzeit zahlreiche Postkarten von Hebammen erhält.“ Die Aktion werde | |
aufmerksam zur Kenntnis genommen, heißt es weiter. | |
## Steigende Beiträge, sinkende Löhne | |
Genau das ist ihr Ziel: Spahn auf die Situation der Hebammen in Deutschland | |
aufmerksam zu machen. Denn die ist prekär, sowohl für die in einer Klinik | |
Angestellten, aber vor allem für die Freiberuflichen. Letztere machen | |
[3][laut einer Studie] des Bundesministeriums für Gesundheit einen Anteil | |
von circa 70 bis 80 Prozent aus. | |
Die Kosten der Berufshaftpflicht ist für freiberufliche Hebammen sehr hoch. | |
Rund 8.000 Euro im Jahr kostet sie [4][seit einer Erhöhung zum 1. Juli | |
2018]. Um sich das leisten zu können, müssen sie – das schildert die | |
zitierte Postkarte an Spahn – viele Personen gleichzeitig betreuen. | |
Denn während die Beiträge für die Versicherung steigen, sinken die Löhne | |
für die freiberuflich erbrachten Leistungen. Bekamen Hebammen zum Beispiel | |
2014 noch 275 Euro für eine Geburt im Krankenhaus und mit Nachtzulage 329 | |
Euro, sind es [5][laut Hebammenverband] 2018 nur noch 165,60 Euro und mit | |
Nachtzuschlag 198,64 Euro. Viele hören wegen der hohen Belastung auf. Die | |
Folge: Erheblicher [6][Mangel an Hebammen]. | |
Das bedeutet nicht nur Überstunden und finanzielle Unsicherheit für die | |
Hebammen, sondern auch zusätzlichen Stress für alle, die ein Kind zur Welt | |
bringen. Frauen*, die schon in den Wehen sind, werden zum Teil von einem | |
Krankenhaus ins nächste geschickt, sie wissen zuweilen bis kurz vor der | |
Geburt nicht, [7][ob ein Krankenhaus einen Kreißsaal frei hat und sie | |
aufnehmen kann.] | |
## Noch mehr Post | |
Was bedeutet, dass zu den immensen Schmerzen der Wehen auch noch die Angst | |
kommt, die Geburt ohne die Betreuung durch eine Fachkraft durchstehen zu | |
müssen. Von der fehlenden oder unzureichenden Betreuung während der | |
Schwangerschaft und im Wochenbett ganz zu schweigen. „Oft wird gesagt: Es | |
gibt doch gar kein struktuerelles Problem, das sind nur Einzelfälle“, sagt | |
Initiatorin Katharina Perreira. „Mit unserer Aktion wollen wir zeigen, dass | |
auch die krassen Geschichten eben keine Einzelfälle sind, sondern es | |
tausende Fälle davon gibt.“ | |
Um diese Bedingungen weiß auch das Gesundheitsministerium. „Minister Spahn | |
hat sich auch vor einigen Wochen im Gespräch mit Hebammenverbänden über die | |
Situation der Hebammen und Entbindungspfleger informiert“, heißt es aus der | |
Pressestelle. Im Oktober kündigte er eine Reform an: Künftig sollen | |
Hebammen und Entbindungspfleger in einem dualen Studium den Beruf erlernen. | |
Damit setzt er eine EU-Richtlinie um, die besagt, dass die Ausbildung für | |
das Berufsfeld bis zum Januar 2020 reformiert sein muss. Auch im | |
Koalitionsvertrag ist die Umsetzung festgeschrieben. | |
In den letzten Jahren wurden schon einige Maßnahmen getroffen, um die | |
Arbeitsbedingungen der Hebammen zu verbessern. „Zum Teil werden diese | |
Maßnahmen erst mittelfristig ihre Wirkung zeigen“, so das BMG. Aktuell | |
[8][fordert der Deutsche Hebammenverband ein Geburtshilfe-Stärkungsgesetz]. | |
Denn: Beim Anfang November beschlossenen Pflegepersonal-Stärkungsgesetz | |
wurden Hebammen nicht bedacht. | |
Um auf diese Forderung aufmerksam zu machen, nutzt der Verband eine ganz | |
ähnliche Maßnahme wie die Aktivist*innen von „Lieber Jens“. Auf ihrer | |
Webseite kann man [9][eine E-Card verschicken], als Weihnachts- oder | |
Neujahrsgruß. „Es läuft ja schon einiges, was die Bedingungen verbessert“, | |
sagt Ursula Jahn-Zöhrens vom Deutschen Hebammenverband. „Wir erhoffen uns | |
mit der Aktion weitere Aufmerksamkeit für das Thema.“ | |
125 mal wurde digital so ein Gruß an das Ministerium geschickt. 16.000 | |
Karten will der Verband auch analog versenden. Viel Post also, die Jens | |
Spahn in den nächsten Tagen und Wochen bekommen wird. Und die darauf | |
aufmerksam macht, wie drängend die Situation ist. | |
19 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/p/BrAiLnBHvcU/ | |
[2] https://www.lieberjens.de/index.html | |
[3] https://www.hebammenverband.de/aktuell/presse/pressematerialien/index.php?e… | |
[4] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/96064/Haftpflichtpraemie-fuer-Hebamm… | |
[5] https://www.hebammenverband.de/aktuell/presse/pressematerialien/index.php?e… | |
[6] /Versorgungsmangel/!5441783/ | |
[7] /Hebammenkrise-in-Berliner-Kreisssaelen/!5442896 | |
[8] /Geburtshilfe-Verband-macht-Druck/!5554771 | |
[9] https://www.unsere-hebammen.de/mitmachen/weihnachtskarte/ | |
## AUTOREN | |
Maike Brülls | |
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