# taz.de -- Dinge des Jahres 2018: „Es gab klaren Nazi-Sprech“ | |
> Bei der Essener Tafel gab es 2018 einen Aufnahmestopp für Ausländer. | |
> Dominik Preußler trat von seinem Ehrenamt dort zurück. Wie sieht er das | |
> heute? | |
Bild: Transporter der Essener Tafel – Kein Essen für Ausländer? | |
taz am wochenende: Herr Preußler, zwölf Jahre lang haben Sie ehrenamtlich | |
bei der Essener Tafel gearbeitet. Im März 2018 sind Sie ausgestiegen. Wie | |
kam das? | |
Dominik Preußler: Es ging los mit dem Aufnahmestopp für Ausländer vor rund | |
einem Jahr. Diese Aktion konnte ich nicht mit mir vereinbaren, das ist im | |
Übrigen auch nicht vereinbar mit der Satzung der Tafel. Und was dann auf | |
der Jahreshauptversammlung alles so losgelassen wurde – das hat mich dazu | |
bewegt, unverzüglich meinen Austritt zu erklären. | |
Was wurde denn losgelassen? | |
Dass der Vorstand das schon alles richtig mache. Dass die Satzung relativ | |
egal sei. Und Aussagen wie „Wir müssen erst unser deutsches Stammklientel | |
versorgen“ oder „Von mir aus bräuchten wir gar keine Ausländer bei der | |
Tafel“. In meinen Augen war das sehr klarer Nazi-Sprech. Der | |
Sozialdezernent der Stadt Essen, Peter Renzel, war auch da und zumindest | |
von dem hätte ich einen entschiedenen Widerspruch bei solchen Sprüchen | |
erwartet. Da ist nichts gekommen. | |
Teilen Sie die Einschätzung, dass es in der Zusammensetzung der Kunden ein | |
Problem gab? | |
Mit Sicherheit gab es mal Probleme, das hat man auch von anderen Tafeln | |
gehört. Aber es hätte andere Möglichkeiten gegeben, dafür zu sorgen, dass | |
es nicht zu Rangeleien und Schubsereien kommt. Es wurde ja behauptet, dass | |
sich die deutsche Omi bei der Tafel nicht mehr sicher gefühlt hat. Das | |
halte ich für Mumpitz. | |
Wie hätte man es anders regeln können? | |
Mein Vater war auch mehr als zehn Jahre dabei und hat die Tafel mit mir | |
verlassen. Er betreut einen Flüchtling, der Russisch, Arabisch und Deutsch | |
kann. Der hat angeboten, sich bei der Neuaufnahme mit hinzustellen und für | |
Ruhe und Ordnung zu sorgen. Bei anderen Tafeln wird das so gesteuert: Ein | |
Verteiltag für Familien, einer für alte Leute, einer für junge | |
Alleinstehende. | |
Das heißt, Sie hatten von Beginn an kein Verständnis für die Entscheidung | |
des Essener Tafel-Vorstands Jörg Sartor? | |
Nein. Ich halte Herrn Sartor nicht für einen Nazi, im Gegenteil, er hat | |
sich ganz klar dagegen ausgesprochen, Spenden von Nazis anzunehmen. Was er | |
für sich als Hauptaufgabe sieht, überflüssige Lebensmittel | |
weiterzuverteilen, das ist ein hehres Ziel. Aber eine Unterscheidung zu | |
treffen und zu sagen: Du hast keinen deutschen Pass, du bist ein Mensch | |
zweiter Klasse – das funktioniert für mich nicht. Und Essen hat nun mal | |
einen hohen Ausländeranteil, aufgrund seiner Historie, des Strukturwandels | |
und auch der verfehlten Politik. Ist doch klar, dass sich das auch bei der | |
Tafel widerspiegelt. | |
Wobei das Ziel von Herrn Sartor war, das Essener Verhältnis von Deutschen | |
zu Nichtdeutschen auch bei der Tafel zu erreichen. Der [1][Aufnahmestopp | |
wurde beschlossen, als der Ausländeranteil bei über 75 Prozent] lag. | |
Das mag so sein, aber das ist eine Frage, die die Politik zu regeln hat. | |
Wenn ich sage: Ihr könnt zu uns kommen, wir schaffen das, dann aber die | |
Flüchtlinge zwei, drei Jahre warten lassen, ohne dass sie irgendwas machen | |
können – dann ist doch klar, dass die auf diese Transferleistungen | |
angewiesen sind. | |
Es wurden auch Lieferwagen der Tafel beschmiert, die Mitarbeiter wurden als | |
Nazis beschimpft – wie war das für Sie? | |
Auf der Seite der Essener Tafel bei Google stehen 500 Kommentare und 480 | |
davon sind: „Find ich super und lasst die Ausländer hier nicht rein“ und so | |
weiter. Also wenn da jemandem die Hutschnur platzt, kann ich das durchaus | |
nachvollziehen. Aber Gewalt ist nie eine Lösung, egal in welcher Form, und | |
sei es nur Sachbeschädigung. Das lehne ich ab. Und mit Sicherheit ist nicht | |
jeder, der für die Tafel unterwegs ist, ein Nazi. | |
Wie schauen Sie denn auf dieses Jahr zurück, auf das, was in Deutschland | |
2018 passiert ist? | |
Ich finde es erschreckend. Wenn diese Grundstimmung auch schon bei der | |
Tafel durchscheint, die sich ja eigentlich um die Schwächsten der Schwachen | |
kümmert, dann wird mir ehrlich gesagt Angst und Bange. Diese ganze | |
Migrationsdebatte … wie viele Menschen sind dieses Jahr nach Deutschland | |
gekommen? Bei Weitem nicht so viele, wie alle immer sagen. Es hilft nur der | |
AfD, wenn alle auf diesen Zug aufspringen. Es ist mit Sicherheit nicht das | |
dringendste Thema, das wir in Deutschland haben. | |
Wie haben Sie den Medienhype um die Essener Tafel wahrgenommen? | |
Klar ist das berichtenswert. Die Essener Tafel zu einem Symbol zu machen, | |
sei es für eine verfehlte Integrationspolitik oder die Rückkehr der Nazis, | |
ist jedoch völlig übertrieben. Ja, es war in meinen Augen eine völlig | |
falsche Entscheidung – aber ob sich jetzt wirklich Angela Merkel dazu | |
äußern muss? | |
Vermissen Sie die Tafel? | |
Das war eine schöne Arbeit. Man hat was für andere Menschen getan und immer | |
was zurückbekommen, und sei es nur ein freundliches Lächeln von den Leuten, | |
die sehen, was man bei den Läden an leckeren Sachen eingesammelt hat. Wenn | |
ich den Fleecepulli der Tafel anhatte, haben mich Leute darauf | |
angesprochen: Mensch, Essener Tafel, finde ich super. Das gibt einem | |
natürlich auch Bestätigung, das vermisse ich manchmal. Aber unter diesen | |
Voraussetzungen und mit den Mitarbeitern, die da zum Teil rumlaufen, bin | |
ich froh, dass ich weg bin. | |
Der Aufnahmestopp war ja nur vorübergehend. [2][Jetzt gelten andere Regeln | |
für die Aufnahme]: Familien mit Kindern unter zehn Jahren, Alleinstehende | |
über 60 und Alleinerziehende werden bevorzugt, egal welche Nationalität sie | |
haben. Bringt Sie das dazu, wieder mitzumachen? | |
Nein. Auch ein vorübergehender Stopp geht gegen die Satzung. Außerdem sind | |
noch die gleichen Leute da. Das ist auch, was ich Herrn Sartor vorwerfe: | |
dass er so etwas in seinen Reihen akzeptiert hat. Er hätte sich viel | |
deutlicher dagegen positionieren müssen. | |
Haben die Äußerungen bei der Jahreshauptversammlung Sie überrascht? | |
Klar gibt es immer wieder mal Mitarbeiter, die so ein bisschen nach | |
Gutsherrenart verfügen: Du kriegst dies, du kriegst das, ihr seid | |
Bittsteller. Aber in der Form habe ich das nie zuvor mitbekommen. Ich gehe | |
jetzt mit wacheren Augen und Ohren durch meine Stadt, und ich stelle fest, | |
es wird mehr. Es ist echt erschreckend. | |
29 Dec 2018 | |
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## AUTOREN | |
Viktoria Morasch | |
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