# taz.de -- Nachruf auf Ludmila Alexejewa: Furchtloses Symbol der Aufrichtigkeit | |
> Seit Jahrzehnten gehörte die Bürgerrechtlerin Ludmila Alexejewa zu einem | |
> kleinen Haufen Aufrechter in Russland. Nun ist sie mit 91 gestorben. | |
Bild: MenschenrechtlerInnen leben in Russland gefährlich, doch selbst Putin ko… | |
Moskau taz | Ludmila Alexejewa war die Grande Dame der russischen | |
Menschenrechtsbewegung. Am Samstag verstarb sie im Alter von 91 Jahren nach | |
schwerer Krankheit in einem Moskauer Krankenhaus. „Ein riesiger Verlust für | |
die gesamte russische Menschenrechtsbewegung “, sagte Michail Fedotow, der | |
Menschenrechtsbeauftragte des Kremls. Trotz längerer Krankheit sei ihr | |
Geist stärker als jede Krankheit gewesen. | |
Auch Wladimir Putin konnte die kleine, drahtige, unerschrockene Frau nicht | |
ignorieren. Sie galt im In- und Ausland als Symbol russischer | |
Aufrichtigkeit. Ihre Furchtlosigkeit war eine Herausforderung für die | |
gesichtslosen Drahtzieher des Unrechtsstaats. | |
Im vergangenen Jahr verlieh der Kremlchef seiner Kritikerin zum 90. | |
Geburtstag gleichwohl einen Preis für „besondere Leistungen im Bereich der | |
Menschenrechte“. Für ihren Mut gebühre ihr enormer Respekt, sagte Putin. | |
Zuletzt war es etwas ruhiger um sie geworden. | |
An Demonstrationen nehme sie nicht mehr teil, entschuldigte sie sich noch | |
mit 85 Jahren. Sie sei zu klapprig, um dem Geschiebe der Polizei Stand zu | |
halten, meinte Alexejewa schmunzelnd. Ihre Stimme war jedoch noch immer | |
deutlich zu vernehmen, sie mischte sich auch weiterhin ein: Klar und | |
unmissverständlich. Kam sie dennoch seltener zu Wort, dann lag das an der | |
Atmosphäre im Land, die nur noch Spurenelemente politischen Widerspruchs | |
zuließ. | |
## Protest gegen den Einmarsch in die Tschechoslowakei | |
Ludmila Alexejewa war eine jener russischen Persönlichkeiten, die | |
angesichts erdrückender Übermacht von Unrecht und Niedertracht Mut und | |
Furchtlosigkeit beweisen. Ohne mit der Wimper zu zucken, ohne sich als | |
Heldin zu gebärden. Schon 1968 gehörte die Bürgerrechtlerin zu einem | |
kleinen Häuflein von Aufrechten in der Sowjetunion, die in Moskau gegen den | |
Einmarsch der Roten Armee in die Tschechoslowakei des Prager Frühlings | |
demonstrierten. | |
Fast ein Jahrzehnt später musste die Archäologin die UdSSR verlassen. Für | |
die Altertumskunde hatte sich die geschichtsbegeisterte Studentin | |
entschieden, weil sie unter den historischen Disziplinen vom ideologischen | |
Einfluss noch verschont geblieben war. | |
Der Ausweisung waren über Jahre Hausdurchsuchungen vorausgegangen. Nach dem | |
Protest gegen die sowjetische Intervention beim „tschechischen Brudervolk“ | |
hatte sie bereits Berufsverbot erhalten. Dass sie seit Anfang der 1960er | |
Jahre Samisdat-Literatur mit herausgab, dürfte dem Geheimdienst auch nicht | |
unbekannt gewesen sein. | |
1977 war es dann so weit. Die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) | |
trieb die Dissidentin ins Exil. Letzter Auslöser war die Schlussakte von | |
Helsinki. Mit Gleichgesinnten gründete Alexejewa danach 1976 einen Moskauer | |
Ableger der Helsinki-Gruppe. | |
## Neigung zum Glücklichsein | |
Erst 1993 kehrte die Bürgerrechtlerin aus den USA nach Moskau zurück. Trotz | |
Erfahrungen mit Erniedrigung, Exil und dem Abgleiten Russlands in | |
autoritäre Fahrwasser sei sie ein Mensch, der zum „Glücklichsein neige“, | |
sagte sie einmal. Wer seine Würde verteidigt, müsse doch zufriedener sein | |
als ein Schurke. Das klang nach einem Credo. | |
Vor der Unbeugsamkeit der alten Dame haben selbst die Männer im Kreml | |
Respekt. 2015 kehrte Ludmila Alexejewa in die Menschenrechtskommission beim | |
Präsidenten zurück, die sie drei Jahre zuvor aus Protest gegen die | |
Behinderung der Zivilgesellschaft verlassen hatte. Seither sind die Zeiten | |
noch härter geworden. Dennoch sei der Menschenrechtsrat einer der wenigen | |
Orte, wo sich noch etwas bewirken lasse, meinte sie pragmatisch. „Wir sind | |
ein Land, das nicht dafür gemacht wurde, ein normales Leben zu führen“, | |
lachte Alexejewa und meinte es bitterernst. | |
Diese Einsicht hatte sich in letzter Zeit noch verhärtet. Mit 80 Jahren | |
hegte die unermüdliche Warnerin noch den Glauben, Russland werde sich im | |
Laufe der nächsten zehn Jahre in einen Rechtsstaat verwandeln. Die Annexion | |
der Krim und die große Begeisterung der russischen Bevölkerung, die mit 84 | |
Prozent den Anschluss begrüßte, setzten der Hoffnung ein jähes Ende. „Ich | |
habe unsere Möglichkeiten überschätzt“, räumte sie ein. Solange Russland | |
anderen Völkern weder mit Achtung begegnet noch das imperiale Bewusstsein | |
abschüttelt, werde auch die Demokratie scheitern, sagte sie. | |
Wenn sie nach fast einem Jahrhundert Bilanz zog, klang dies ernüchternd: | |
Russlands materielle Lebensbedingungen haben sich deutlich verbessert. Das | |
Verhältnis zwischen Machthabern und Volk veränderte sich indes kaum. Wer in | |
Russland an der Macht sei, begreife oft nicht, dass er Menschen erniedrige. | |
„Noch sind wir weit von einem wirklich menschlichen Leben entfernt“, | |
diagnostizierte sie ohne Bitterkeit. | |
Russlands reaktionäre Wende bekam die Menschenrechtlerin auch in den | |
sozialen Medien zu spüren. Alter schütze vor Anfeindungen nicht. Doch sei | |
es eine Erleichterung, im Alter nicht mehr populär sein zu müssen, meinte | |
sie. Kurz vor dem Tod setzte sie sich noch für den Menschenrechtler Lew | |
Ponomarjow ein. Der 77jährige Aktivist hatte zu einem Protest aufgerufen | |
und war diese Woche zu mehren Tagen Haft verurteilt worden. | |
9 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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