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# taz.de -- Politische Verfolgung in Tschetschenien: Mord folgt auf Mord
> Sarema Sadulajewa arbeitete für die rein humanitäre Organisation "Retten
> wir die Generation". Auch ihr Vorgänger wurde bei einer sogenannten
> Säuberungsaktion ermordet.
Bild: Präsident Kadyrow warf der ermordeten Estemirowa vor, sie habe keine Ehr…
Sarema Sadulajewa und ihr Ehemann Alik Dschabrailow sind tot. Ihre Leichen
wurden im Kofferraum ihres Autos in einem Außenbezirk der tschetschenischen
Hauptstadt Grosny gefunden. Dass die beiden ermordet wurden, hat
mittlerweile auch die tschetschenische Miliz bestätigt.
Nach Bekanntwerden der Entführung am Vorabend des Mordes hatte man dort
zunächst erklärt, man sehe keine Veranlassung, Maßnahmen zu ergreifen. So
hatte es Alexander Tscherkassow von der russischen
Menschenrechtsorganisation "Memorial" gegenüber russischen
Nachrichtenagenturen berichtet. Im Gespräch mit der taz erklärte
Tscherkassow nun, es habe durchaus Sinn gemacht, sofort nach der
Verschleppung der beiden die Öffentlichkeit zu informieren, schließlich
habe man in der Vergangenheit Verschleppten immer wieder mit
Öffentlichkeitsarbeit helfen können. Der Moskauer Generalstaatsanwalt
Tschajka hat inzwischen den Mordfall persönlich übernommen und den obersten
Ermittler beauftragt, den Doppelmord vor Ort zu untersuchen.
Sarema Sadulajewa arbeitete für die 2001 gegründete und rein humanitär
wirkende Organisation "Retten wir die Generation", die traumatisierte
Kinder und Jugendliche psychologisch und ärztlich betreut und viele von
ihnen mit Prothesen versorgt. Obwohl die Organisation keine politischen
Ziele hat, war sie wiederholt mit den Behörden in Konflikt geraten. Im Jahr
2005 war Sadulajewas Vorgänger, Murad Muradow, bei einer sogenannten
Säuberungsaktion von Sicherheitskräften verschleppt und wenige Monate
später ermordet worden.
Im Februar 2006 hatte die Staatsanwaltschaft den Verwandten mitgeteilt, man
besitze keine Informationen, die auf eine Mitwirkung Muradows an einem
terroristischen Verbrechen hinwiesen. Gleichzeitig hatte die
Staatsanwaltschaft die Verwandten lapidar gebeten, dessen Leichnam
abzuholen. Dieser war nach Aussagen der Verwandten von der Folter völlig
entstellt.
Das Verhältnis zwischen Menschenrechtsorganisationen und den Machthabenden
in Russland ist sehr angespannt. Anfang Juli hatte das russische
Außenministerium den jüngsten Bericht von Amnesty International zur Lage im
Nordkaukasus in ungewöhnlich scharfer Form als "tendenziös" kritisiert. Der
Bericht würde zu dick auftragen und die Fakten so aufbereiten, dass sie
sich in die bereits zuvor gefertigten Schlussfolgerungen einfügten, lautete
die Kritik.
Im Auftrag bestimmter ausländischer Kreise und Medien solle im Vorfeld
wichtiger internationaler politischer Ereignisse ein negatives Bild von der
Menschenrechtslage in Russland gezeichnet werden. Am Samstag vergangener
Woche hatte Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow außerdem gegen die am
15. Juli ermordete tschetschenische Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa
schwere Vorwürfe erhoben. Diese habe niemals "Ehre, Würde oder ein Gewissen
besessen".
Alexander Tscherkassow von der Menschenrechtsorganisation "Memorial"
interpretierte Kadyrows Äußerungen als Signal, dass dieser auch nach der
Ermordung Estemirowas nicht bereit sei, die Sicherheit von
Menschenrechtlern zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund des
Kadyrow-Interviews, bestätigte Tscherkassow nun der taz, sei kurzfristig an
eine Wiedereröffnung der vier Büros von Memorial in Tschetschenien nicht zu
denken. Der Westen, so Tscherkassow weiter, dürfe nicht seine Augen
verschließen vor den Ereignissen in Tschetschenien.
Ludmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki Gruppe kündigte an, zeitnah mit
dem russischen Menschenrechtsbeauftragten Lukin das Gespräch zu suchen.
Gewaltanwendung gegen Aktivisten der Zivilgesellschaft sei gängige Praxis
geworden.
Im April hatte Russland die fast zehn Jahre andauernde "antiterroristische
Operation" in Tschetschenien offiziell für beendet erklärt. Stabilisiert
hat sich die Lage dadurch aber nicht. Während hundert Tage vor Beendigung
der "antiterroristischen Operation", so das zu Memorial gehörige
Internet-Portal Kavkaskij Uzel, dort zehn Aufständische getötet worden
seien, wären es hundert Tage danach 54 Aufständische gewesen.
12 Aug 2009
## AUTOREN
Bernhard Clasen
Bernhard Clasen
## TAGS
Russland
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