# taz.de -- Kolumne Durch die Nacht: Wir brauchen die Zecken und Zotteln | |
> Die Aktivist*innen der von Schließung bedrohten Neuköllner Kneipe | |
> Syndikat geben der Macht ein Gesicht – gut so! | |
Bild: Der neue „Mercedes Platz“ zwischen Warschauer Brücke und Ostbahnhof | |
Nie war ich jemals im Syndikat, bis vor Kurzem kannte ich den Laden | |
überhaupt nicht. Die linke Szenekneipe im Schillerkiez sei jetzt bedroht, | |
hieß es dann. Der böse Investor habe den Mietvertrag gekündigt. Wieder so | |
eine Geschichte halt, nichts Neues in Berlin, das war meine Reaktion auf | |
diese Meldung. Doch inzwischen fühle ich eine enge Verbundenheit mit der | |
Kneipe, auch ich gehöre jetzt zum Syndikat. | |
Ein Zettel hing kürzlich bei uns im Hausflur. Das Syndikat suche weitere | |
von den Machenschaften ihres Vermieters Betroffene, war auf diesem zu | |
lesen. Angehängt war eine lange Liste mit Namen von Briefkastenfirmen, | |
unter denen der Investor aus Großbritannien auf dem Berliner | |
Immobilienmarkt tätig sei. | |
Mit grünem Edding hatte schon jemand den Namen Maybank Properties S.A.R.L. | |
unterstrichen. Maybank Properties, genau die haben vor Kurzem unser Haus | |
gekauft. Natürlich hatten wir damals auch gegoogelt, wer dahinterstecken | |
würde. Aber wir sind nie auf etwas Brauchbares gestoßen. Unser neuer | |
Hauseigentümer blieb ein nur schwer greifbarer Geist, ein Phantom. | |
## Eine fremde Form zu leben | |
Dank dem Syndikat hat er nun einen Namen und eine Adresse. Man kann dort | |
hingehen und sich beschweren, falls es mal nötig sein sollte. So wie es die | |
Leute vom Syndikat inzwischen ja auch tun. | |
Es fühlt sich schon ein wenig besser an – die unheimliche Macht hat eine | |
Art Gesicht bekommen. Und das lässt sie, zumindest dem Empfinden nach, ein | |
wenig angreifbarer wirken. Ein paar Bewegungslinke haben mir also zu neuen | |
Erkenntnissen verholfen. Ausgerechnet die. Mit ihren Voküs, Plenen und | |
ihrem Punkrock waren die mir immer eher fremd gewesen und mit Latschdemos | |
habe ich auch schon lange nichts mehr am Hut. Doch ich glaube, ich lag | |
falsch mit meiner Distanzierung. Wir brauchen sie, die Zecken und Zotteln, | |
die Aktivisten und Nervensägen. | |
Um mich herum in Friedrichshain wird es immer düsterer. Mercedes-Platz, | |
East Side Mall – eine Form von Berlin, wie ich sie nie haben wollte, kommt | |
stetig näher. In ein paar Jahren wird es auch auf dem RAW-Gelände völlig | |
anders aussehen als derzeit. Mit etwas Pech so wie bereits auf dem | |
Mercedes-Platz. | |
Immer schneller und immer präsenter steht da eine mir fremde Form zu leben | |
direkt vor meiner Haustüre. Und die Einzigen, die noch wirklich dagegen | |
aufmupfen, das sind die Bewegungslinken, scheint mir, Leute wie die vom | |
Syndikat. Und sie sind sogar manchmal erfolgreich. Der Google-Campus kommt | |
zumindest vorerst nicht nach Kreuzberg, weil linke Gruppierungen dagegen | |
protestiert haben. | |
Und ich bin nicht der Einzige, der sich plötzlich fragt, ob er sich nicht | |
endlich ein wenig stärker politisieren sollte. Mein Nachbar hat bislang | |
beim Film gearbeitet, jetzt geht er wieder auf die Uni, besucht Kurse zu | |
Karl Marx und interessiert sich für die Gelbwesten. „Das Rote Berlin – | |
Strategien für eine sozialistische Stadt“ steht auf der Zeitschrift, die er | |
mir neulich unter der Tür durchgeschoben hat. Über Weihnachten werde ich | |
sie mir mal durchlesen. Und außerdem: „Potse bleibt!“ | |
23 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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