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# taz.de -- Ausstellung „Life in Cities“ in Hamburg: Auf engstem Raum
> Der in Hongkong lebende Fotograf Michael Wolf zeigt in den Hamburger
> Deichtorhallen wie es aussieht, wenn Millionen Menschen zusammenleben.
Bild: Stadt als Fassade: Arbeit aus der Serie „Architecture of Density – Ho…
Hamburg taz | „Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten.“
Das ist so ein Satz, der vieles und nichts aussagt. Weil nicht klar ist,
was mit Städten gemeint sein soll, das über den „urbanen Verdichtungsraum“
hinausgeht, weil „Stadt“ von Land zu Land unterschiedlich definiert ist,
und nicht zuletzt, weil nicht gesagt wird, was es für das Zusammenleben der
Menschen bedeutet, wenn sie mehrheitlich in Städten leben.
Aber egal, „Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten“, das
steht als Statement über „Life in Cities“, der Ausstellung des Fotografen
Michael Wolf in den Hamburger Deichtorhallen, und zumindest klingt das
schön weltläufig und urban.
Wolf bietet sich durch seine Biografie für das Label „weltläufig und urban�…
an: geboren 1954 in München, aufgewachsen in Kalifornien und Kanada,
Fotograf für Stern und Geo, lebt seit 1994 mit einer mehrjährigen
Paris-Unterbrechung in Hongkong. Aber, Vorsicht, das Vorurteil
oberflächlicher Urbanität führt in die Irre: Wolf studierte an der
Folkwang-Hochschule in Essen bei Otto Steinert, und der stand für eine
nüchterne fotografische Analyse des Alltäglichen.
Und so startet „Life in Cities“ auch: mit Wolfs Studienarbeit
„Bottrop-Ebel“ von 1976, der Langzeitstudie einer unter dem schon damals
spürbaren Strukturwandel ächzenden Zellensiedlung.
## Momente der Zärtlichkeit
Armut, Umweltzerstörung, überraschende Momente der Zärtlichkeit finden sich
in diesen Bildern, und obwohl die Aufnahmen manchmal noch nach ihrer
eigenen Sprache zu suchen scheinen, manchmal auch gefährlich nahe ans
Klischee geraten (Brieftauben!), findet man hier schon Motive, die auch
spätere Arbeiten Wolfs prägen: den genauen Blick auf Details, einen
altmeisterlichen Sinn für Bildaufbau, das Spektakel im Unspektakulären.
All diese Motive finden sich auch wieder in Serien wie „The Transparent
City“ (2006) über die Glasarchitektur Chicagos und „Hong Kong Corner
Houses“ (2005–2011), wo traditionelle (und mittlerweile vom Verschwinden
bedrohte) Eckhäuser in Wolfs Wahlheimat im Zentrum stehen, einfache
Nachkriegsbauten mit gemischter Wohn- und Gewerbenutzung, die immer wieder
notdürftig saniert und erweitert und so zum Symbol ungeplanten Wachstums
wurden.
Gleichzeitig spürt man hier allerdings auch einen Hang zum Effekt, der den
genauen Blick auf soziale Gemengelagen auszuhebeln droht: Wenn in „The
Transparent City“ etwa der Blick in ein Apartment fällt, wo auf einem
riesigen Fernseher ausgerechnet Alfred Hitchcocks „Rear Window“ läuft,
James Stewarts riesiges Teleobjektiv also auf den Betrachter zurückblickt,
dann ist das ein gelungener Gag, ein Spiel mit dem Bild des Fotografen als
Voyeur. Aber es ist keine Aussage mehr über die Spezifik einer bestimmten
Stadt.
## Zufällig vor die Kamera geraten
Der Voyeurismus erweist sich als weiteres Motiv von Wolfs Arbeit: Im
Nebenprodukt „Transparent City Details“ (2006), bei dem Menschen in den
Chicagoer Hausansichten vergrößert werden, bis sie in einer Pixellandschaft
verschwimmen; in „Street View“ (2008–2012), Screenshots aus Google Street
View, die zufällig vor die Kamera geratene Menschen zeigen, als dreckige,
fiese, pixelige Störfaktoren in der Kartographierung des Alltags. Vor allem
aber in „Tokyo Compression“ (2010–13), Bildern von U-Bahn-Passagieren, die
in vollbesetzten Waggons gegen die Scheiben gedrückt werden und denen es
sichtlich unangenehm ist, in dieser entwürdigenden Haltung fotografiert zu
werden.
Zentral hängt die Serie „Architecture of Density“ (2003–2014), die
inhaltlich mit „Tokyo Compression“ verknüpft ist: Wolf fotografiert hier
gleichförmige Wolkenkratzer in Hongkong ohne architektonischen Anspruch als
abstrakte Fassadenflächen, ohne Menschen, Himmel oder Erdboden ins Bild zu
bekommen. „Architecture of Density“ ist so die Dokumentation einer mit über
sieben Millionen Einwohnern massiv überbevölkerten Stadt, präsentiert als
freie Hängung in der Mitte der Halle.
Vielleicht ist tatsächlich das mit „Life in Cities“ gemeint: die einerseits
bedrückende, andererseits ästhetisch faszinierende Aufgabe, das
Zusammenleben von Millionen Menschen auf engstem Raum zu organisieren. Und
die künstlerischen Funken zu beobachten, die diese Organisation schlägt.
Von „Architecture of Density“ aus führt ein Weg zu ein paar installativen
Arbeiten: „100 x 100“ (2006) ist der Nachbau einer neun Quadratmeter großen
Wohnzelle im Hongkonger Shek Kip Mei Estate, der die liebevollen Versuche
der Bewohner dokumentiert, den normierten Raum individuell zu gestalten.
Ein wenig als Fremdkörper wirkt in der mehr ästhetisch als sozioökonomisch
kuratierten Ausstellung die Plastikspielzeug-Arbeit „The Real Toy Story“
(2004), die an der Grenze zwischen Kunst und Fotojournalismus die
Behauptung von China als „Werkbank der Welt“ weiterschreibt.
Ganz frei von Klischees ist keine dieser Arbeiten. Aber „Life in Cities“
ist so klug kuratiert und originell gehängt, dass diese Klischees nicht
überspielt, sondern zum Teil des künstlerischen Konzepts werden.
11 Dec 2018
## AUTOREN
Falk Schreiber
## TAGS
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