| # taz.de -- Der Darm und die Psyche: Probiotika statt Antidepressiva? | |
| > Psyche und Darmflora hängen zusammen. Zwar wird zur Darm-Hirn-Achse | |
| > geforscht, Therapien oder Ernährungstipps sind in weiter Ferne. | |
| Bild: Camembert, der diverse probiotische Keime enthält, verbessert bei Mäuse… | |
| Als der Arzt James Parkinson im Jahr 1871 als Erster die gleichnamige | |
| psychiatrische Erkrankung beschrieb, notierte er nicht nur die | |
| Schüttellähmung als Symptom, sondern auch Darmbeschwerden wie Verstopfung | |
| oder Bauchschmerzen. Und auch andere psychische Leiden wie Autismus gehen | |
| häufig mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten und anderen | |
| Verdauungsproblemen einher. Umgekehrt leiden auch Reizdarm-Patienten häufig | |
| unter psychischen Auffälligkeiten. | |
| Früher hat man dies wenig beachtet und sich auf die Erforschung der | |
| Hirnchemie konzentriert um die Ursachen von Parkinson oder Autismus zu | |
| verstehen. Mit der schnell voranschreitenden Entschlüsselung des | |
| Mikrobioms, also der Mikroben-Gemeinschaft im Darm, bestehend aus | |
| Bakterien, Archaeen, Viren und Pilzen, ändert sich dies seit rund 10 | |
| Jahren. Mikrobiologen und Psychiater arbeiten Hand in Hand und erkennen | |
| immer besser, dass Darm und Gehirn ständig über Nerven oder Botenstoffe | |
| kommunizieren. Neben Reizdarm, Parkinson und Autismus wird auch eine Rolle | |
| bei Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie oder Alzheimer diskutiert. | |
| So weiß man etwa, dass Parkinson-Patienten eine andere Zusammensetzung der | |
| Darmbakterien haben als Gesunde. Zudem ist ihre Darmschleimhaut | |
| durchlässiger, was einerseits dazu führt, dass Krankheitserreger in den | |
| Darm gelangen, die dort Entzündungen verursachen. Andererseits gelangen | |
| auch größere Bakterienbestandteile vom Darm in den Blutkreislauf, die | |
| normalerweise nicht durch die Schicht können. Diese alarmieren das | |
| Immunsystem und beeinflussen über Zytokine das Gehirn, wo über eine Kaskade | |
| der für die Krankheit typische Dopaminmangel entsteht. | |
| ## Bakterien kommunizieren mit dem Gehirn | |
| Auch Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen haben ein | |
| sogenanntes Leaky-Gut-Syndrom. Bei Gesunden ist die Darmschleimhaut jedoch | |
| sehr funktionstüchtig und kann auch nicht durch Alltagsstress oder | |
| „falsche“ Nahrungsbestandteile wie Gluten durchlässig werden und zu | |
| diversen Krankheiten führen, wie selbsternannte Experten behaupten. | |
| Bakterien können jedoch auch noch auf einem anderen Wege mit dem Gehirn | |
| kommunizieren. So bauen sie unverdauliche Nahrungsbestandteile und | |
| körpereigene Stoffe wie Gallensäuren im Dickdarm ab. Es entstehen unter | |
| anderem Amine, Phenole oder auch kurzkettige Fettsäuren. Diese | |
| Abbauprodukte beeinflussen die im Darm sitzenden Immunzellen, die wiederum | |
| über den Vagusnerv Signale ans Gehirn senden und etwa die | |
| Stressverarbeitung oder das Schmerzempfinden beeinflussen. Umgekehrt kann | |
| das Oberstübchen über den Vagusnerv die Zusammensetzung der | |
| Mikrobengemeinschaft oder auch ihre Genexpression verändern. | |
| Solch Wissen beziehen Forscher aus Tierstudien, vornehmlich mit Mäusen. So | |
| zeigen mit Antibiotika behandelte Tiere einer ängstlichen Rasse ein | |
| verändertes Darmmilieu und werden wagemutiger. Kappt man bei diesen Tieren | |
| jedoch den Vagusnerv, bleiben sie ängstlich. Und entfernt man an Parkinson | |
| erkrankten Mäusen einen für die Aktivierung des Immunsystems wichtigen | |
| Rezeptor, leiden sie seltener unter Darmentzündungen und motorischen | |
| Symptomen. | |
| Auch die Manipulation des Systems funktioniert im Tierversuch: Bekommen | |
| Mäuse probiotische Bakterien, Lactobacillus rhamnosus, werden sie | |
| unternehmungslustiger und resignieren in schwierigen Situationen nicht so | |
| schnell. Und füttert man an Alzheimer erkrankten Mäusen Camembert, der | |
| diverse probiotische Keime enthält, verbessern sich Entzündungen in | |
| Gehirnregionen, die für das Gedächtnis zuständig sind. | |
| In den Forschungsabteilungen von Yakult, Danone & Co wird darum große | |
| Hoffnung in Probiotika gesteckt. Aber auch nach anderen | |
| Nahrungsbestandteilen, die glücklich machen könnten, wird gesucht. So | |
| sollen neben Probiotika, wie sie etwa auch in fermentierten Lebensmitteln | |
| wie Käse oder Sauerkraut stecken, Prebiotika (bestimmte Ballaststoffe) oder | |
| Omega-3-Fettsäuren Labsal für die Bakteriengemeinschaft sein, während viel | |
| Fett und bestimmte Zusatzstoffe das Darmmilieu ins Chaos stürzen, | |
| psychische Leiden anfachen könne. | |
| ## Ermutigende Befunde | |
| „Allerdings konnten die vielen ermutigenden Befunde aus Tierstudien bislang | |
| kaum beim Menschen wiederholt werden“, schrieb kürzlich Emeran Mayer, | |
| Neurobiologe an der University of California in Los Angeles und einer der | |
| Vorreiter bei der Erforschung der Darm-Hirn-Achse. „Es gibt also kaum | |
| Belege, dass eine Veränderung des Mikrobioms Effekte auf klinische Symptome | |
| hat.“ | |
| So zeigten etwa kürzlich zwei Meta-Analysen, dass sich Probiotika nicht im | |
| Kampf gegen Angsterkrankungen oder Depressionen eignen. Teilweise konnte | |
| noch nicht einmal belegt werden, dass die Probiotika das Darmmilieu in | |
| irgendeiner Weise veränderten. Und auch Omega-3-Fettsäuren in | |
| Tablettenform, die durch Mikroben zu kurzkettigen Fettsäuren werden und | |
| theoretisch das Wachstum freundlicher Mikroben unterstützen, waren gegen | |
| Alzheimer oder Depressionen unwirksam. Das Problem: „Gehirnchemie- und | |
| Struktur sind bei Maus und Mensch doch sehr verschieden“, so Mayer. | |
| Dennoch gibt es kleine Studien mit positiven Ergebnissen. So litten etwa 22 | |
| gesunde, männliche Probanden, während sie den Keim Bifidobacterium longum | |
| 1714 über vier Wochen einnahmen, weniger unter Stress und hatten ein | |
| besseres Gedächtnis als in vier Wochen, in denen sie nur ein Placebo | |
| erhielten. Studienergebnisse sind aber nicht einheitlich und es fehlen | |
| größere Studien, die längere Zeiträume umspannen. | |
| Trotzdem ist klar, dass Darm und Gehirn miteinander kommunizieren. „Aber | |
| wir sind noch meilenweit davon entfernt, konkrete Ernährungsempfehlungen zu | |
| formulieren, die bei psychiatrischen Krankheiten helfen“, sagt Hans Hauner, | |
| Ernährungsmediziner an der TU München. | |
| ## Keine konkreten Ernährungsempfehlungen | |
| Diäten gegen Autismus oder Depressionen sind also reine Geldmacherei. Eine | |
| gesunde Ernährung mit viel Ballaststoffen und wenigen Fertigprodukten, wie | |
| sie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, helfe aber laut | |
| Hauner, sich in gewissem Rahmen gegen Alzheimer zu schützen. | |
| Dennoch braucht es in jedem Fall eine genetische Veranlagung für Alzheimer, | |
| Parkinson & Co. „Ungünstige Lebensumstände wie Stress, Luftverschmutzung | |
| oder eine ungesunde Ernährung könnten dann die Darmflora stören und dazu | |
| führen, dass Menschen tatsächlich krank werden“, so Aletta Kraneveld, | |
| Pharmakologin an der Universität Utrecht gegenüber dem Wissenschaftsportal | |
| spektrum.de. Vor allem Widrigkeiten am Anfang des Lebens, im Mutterleib | |
| sowie in den ersten Lebenswochen prägen das Mikrobiom nachhaltig. So sind | |
| ein Kaiserschnitt, der Verzicht auf das Stillen, häufige Infektionen sowie | |
| Antibiotikagaben eher schädlich für eine gesunde Darmentwicklung. „Die | |
| Darm-Hirn-Achse könnte schon in den ersten drei Jahren festgelegt werden | |
| und dann unveränderbar sein“, vermutet auch Emeran Mayer. | |
| Auch das könnte erklären, warum Studien mit Stuhltransplantationen, bei | |
| denen gesunde Bakteriengemeinschaften in einen kranken Darm verpflanzt | |
| werden, bislang ebenso widersprüchlich sind. Dennoch scheinen sie bei einem | |
| Teil der Patienten gut zu wirken. „Möglicherweise hilft eine solche Spende | |
| der Darmflora nur unter Verwandten, die sich in ihrer Darmflora ähneln“, so | |
| Kraneveld. | |
| Dennoch gibt es Gefahren, wie Gastroenterologen warnen. Es fehlen | |
| Standards, wie die Proben aufbereitet werden. Teilweise werden | |
| entsprechende Therapien über das Internet vertrieben. Und auch eine | |
| Übertragung von HIV oder von Malignomen seien möglich. | |
| 8 Dec 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Kathrin Burger | |
| ## TAGS | |
| Depression | |
| Darm | |
| Forschung | |
| Adipositas | |
| Giulia Enders | |
| Bakterien | |
| Pflanzen essen | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Fettverteilungsstörung Lipödem: Krank, nicht dick | |
| Die chronische Krankheit Lipödem wird oft spät diagnostiziert. Einfach | |
| abnehmen hilft bei der Fettverteilungsstörung nicht. | |
| Ein Buch macht Karriere: Reise durch den Verdauungstrakt | |
| Das Buch „Darm mit Charme“ ist mittlerweile in 40 Sprachen erschienen. In | |
| Paris dient es jetzt als Vorlage für eine Wissenschaftsausstellung. | |
| Wissenschaftliche Revolution aus Kiel: „Lebensgemeinschaft mit Bakterien“ | |
| Der Mensch sei kein Individuum, sagt der Kieler Evolutionsbiologe Thomas | |
| Bosch. Er erforscht wie wir mit Mikroorganismen zusammenleben. | |
| Kolumne Pflanzen essen: Tierliebe geht durch den Darm | |
| Wie wichtig die Darmflora für unser Wohlbefinden ist, wird immer bekannter. | |
| Für vegan lebende Menschen sind das gute Nachrichten. | |
| Psychologie-Kongress über Spaltungen: Autoritär ist wieder da | |
| Die gesellschaftlichen Spaltungsprozesse nehmen zu. In Berlin diskutierten | |
| Psychologen über die Ursachen und die Folgen. |