# taz.de -- Die Wahrheit: Goethe und Napoleon bei der Post | |
> Eine echte Begegnung, wirklich so passiert: Wie unser Kolumnist einmal | |
> auf Gerhard Schröder traf, ganz ohne Personenschutz. | |
Überraschung: Es geschah an einem tristen Novembertag in Hannover. Zunächst | |
hatte ich mich bei der Sparkasse aufgehalten, wo ich angesichts des | |
Kontostands daran dachte, mir endlich dieses eine Album von Fehlfarben | |
anzuhören: „Knietief im Dispo“. Ganz so schlimm wie der Titel sahen die | |
Zahlen zwar nicht aus, aber irgendwie passte es zur Gesamtlage. | |
Danach ereignete sich etwas, das nur mit der Begegnung von Goethe und | |
Napoleon vor 210 Jahren zu vergleichen ist. Ich nahte von links dem Eingang | |
der Postfiliale, rechter Hand schritt – ungelogen – der Altkanzler Gerhard | |
Schröder zusammen mit seiner Frau zum Entree. Ich eilte fix hinein vor dem | |
„Genossen der Bosse“, der nach der Regierungszeit ja den „Drehtür-Effekt… | |
meisterlich genutzt hatte. | |
Wir reihten uns in die Menschenschlange ein, die sich zwar nicht „schier | |
endlos“ erstreckte, um eine Floskel zu vermeiden, aber sieben, acht | |
Mitmenschen standen vor uns. Es tat sich so gut wie nichts im Vorwärtsgang, | |
denn bloß zwei der sieben Schalter waren besetzt. | |
## Keine Angst vor Hartz IV | |
Leise tauschten sich Schröder und seine Frau gelegentlich aus, doch diese | |
Gesprächsfetzen gebe ich nicht preis, bin ja kein Bild-Reporter, der Witwen | |
schüttelt und dergleichen, sondern ein einigermaßen höflicher Mensch, der | |
allerdings die meisten politischen Taten des Exkanzlers nicht so doll | |
gefunden hatte. | |
Etwas verzögert stieg ein Gedanke auf: Aha, sie sind zu zweit, kein | |
Bodyguard ist zu sehen, alle Achtung. Ist da nie etwas vonseiten eines | |
Hartz-IV-Empfängers passiert, zerrüttet durch dieses System, das Angst | |
einflößt, wie die SPD-Vorsitzende Nahles gerade zusammenfasste? | |
Das Verhalten der Leute bestätigte Schröder, auf den Personenschutz zu | |
verzichten. Niemand im Raum sprach ihn an. Ohnehin herrschte Stille, | |
durchwoben nur von den Gesprächen an den Schaltern. Norddeutsche sind eben | |
wortkarg und gelassen. Oder es fiel niemandem eine Bemerkung ein. Oder die | |
Jüngeren unter uns (er)kannten ihn gar nicht. Oder die drei Ursachen | |
mischten sich, wie auch immer. | |
## Sagte der Lobbyist | |
Weitere Minuten versickerten, die Uhrzeit tropfte zäh. Kurz bevor ich den | |
ersten Warteplatz einnahm, rumpelte doch eine Frage heran. Ich drehte mich | |
um und sagte: „Verzeihung, war das in Ihrer Amtszeit, als die Post | |
privatisiert wurde?“ Der Lobbyist Gerhard Schröder sagte: „Nee.“ Kurze | |
Pause. „Gott sei Dank.“ | |
Das war’s schon, der Schalter rechts war frei geworden, ich war jetzt dran. | |
Irgendwann hätte ich darüber nachdenken können, was genau dieses „Gott sei | |
Dank“ bedeutete, aber ich hatte Wichtigeres vor. | |
Ich würde nämlich eine Huldigung zum 80. Geburtstag von Herbert | |
Achternbusch verfassen, einem meiner Helden in der Jugendzeit. Und | |
plötzlich entsann ich mich seiner einzigartigen Sentenz: „Das schöne | |
Gefühl, Geld zu haben, ist nicht so intensiv wie das Scheißgefühl, kein | |
Geld zu haben.“ Warum, weiß ich auch nicht. | |
5 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Dietrich zur Nedden | |
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