# taz.de -- Die Wahrheit: Feldbefehle im Bett | |
> Statt zu sitzen, endlich wieder liegen lernen. Vom Schlaflager aus kann | |
> man so viele wesentliche Erkenntnisse gewinnen. | |
Das sind solche Tage, die verbringt man besser im Bett. Nicht etwa, weil | |
man krank ist. Es muss auch kein Sonntag sein. Der November ist dafür | |
ideal. | |
Den Anstoß verdankte ich diesmal einem irritierenden Blick auf den | |
Computerbildschirm. Als ich nämlich das Schreibprogramm von OpenOffice | |
aufrief, sprang mir im Menü „Einfügen“ der Begriff für das Untermenü ins | |
Auge: „Feldbefehl“! Erstmals dachte ich: Täglich wähle ich Feldbefehle? D… | |
erteilen doch sonst Offiziere im Krieg, oder? Diese militärische Anmutung – | |
ohne mich heute! Nicht ohne Grund habe ich damals den Kriegsdienst | |
verweigert! | |
Zurück ins Bett, husch, husch, die Waldfee! Und das digitale Netz, die | |
sozialen und asozialen Medien sowieso, können mir auch gestohlen bleiben. | |
Nicht sofort allerdings. Denn da war doch diese Erkenntnis des | |
Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal? Richtig: „Alles Unheil kommt | |
von einer einzigen Ursache, dass die Menschen nicht in Ruhe in ihrer Kammer | |
sitzen können.“ Mehr als 450 Jahre samt Krieg, Gewalt, Verbrechen später | |
reicht es nicht, zu sitzen, sondern man sollte liegen lernen. Auch als | |
Gegenpol zu der Nachricht des Deutschen Reiseverbandes, wir hätten in | |
diesem Jahr Reisen für etwa 36 Milliarden Euro gebucht. | |
Auf dem Nachttisch lag ein Essay des Medienphilosophen Vilém Flusser | |
(1920–1991), der wirklich nur dort aufzubewahren war. Gelesen hatte ich nur | |
den Einstieg, als ich es von „Telepolis“ ausgedruckt hatte, jetzt nahm ich | |
mir eine gründliche Lektüre vor. | |
Unter dem Titel „Das Denken vom Bett aus bedacht“ beginnt Flusser mit der | |
Frage: „Wo nehmen wir eigentlich jeden Morgen den Entschluss her, aus dem | |
Bett aufzustehen?“ Seine erste Antwort tritt wuchtig auf: „Aus der in | |
unseren Eingeweiden vergrabenen Überzeugung von der Begrenztheit unserer | |
Lebensdauer.“ Mir drängte sich der Gedanke auf, ob nicht manchmal der | |
schnöde Grund, Geld verdienen zu müssen, dazu ermuntert, aufzustehen. Aber | |
von dieser Lücke abgesehen, ist es ein toller, anregender Text. | |
Flusser probiert zunächst, das „Zubedenkende“ in Rationen zu zerschneiden, | |
in Kategorien vom Typ „Gebärbett“, „Krankenbett“, „Liebesbett“, �… | |
oder „Schlafbett“. Aber: „Das ist widerlich, weil ja das Bett gerade nicht | |
der Ort ist, worin rational gedacht wird.“ | |
Ich stand kurz auf, um frischen Tee zu kochen. Währenddessen hatte Flusser | |
Schlafmittel und andere Drogen verhandelt. Es gebe ein Argument gegen | |
Drogen. Es komme „aus der Leidenschaft des Körpers“: „Es geht um die | |
eigenartige (der Art Mensch vorbehaltenen) Fähigkeit, mittels Vermengung | |
zweier Körper aus dem Ich und dem Du ins Wir auszubrechen und dadurch den | |
Tod zu überwinden. Ich werde sterben, wir sind unsterblich.“ | |
Den gleichfalls eleganten Schluss hebe ich mir für später auf. Denn es | |
keimt die Idee, mich bei Inga zu melden. Nicht übers Netz, sondern per | |
Echttelefon. Voilà! | |
7 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Dietrich zur Nedden | |
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