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# taz.de -- Gelbwesten-Proteste in Frankreich: Präsident Macron schweigt
> Seit Wochen demonstrieren Franzosen gegen Macrons Steuerpolitik. Am
> Wochenende eskalierte die Gewalt in Paris schon wieder.
Bild: Bei den Gelbwesten hat sich Wut angestaut – und sich am Wochenende erne…
Paris taz | Hinter dem Triumphbogen steigt aus brennenden Barrikaden
schwarzer Rauch in den grauen Pariser Himmel. Es riecht penetrant nach
Tränengas. Regelmäßig ist der Knall von Polizeigranaten zu hören, die
Demonstranten auf dem Etoile-Platz sind deshalb in ständiger Bewegung.
Unter ihnen sind vor allem jüngere Personen, einige von ihnen tragen
Atemschutzmasken. Aber auch Ältere und Pensionierte sind an diesem Samstag
hier zusammengekommen, um Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung in
der Frage der Treibstoffpreise zum Einlenken zu zwingen. Ihr
Erkennungszeichen: die gelbe Auto-Warnweste.
Seit zwei Wochen blockieren die gilets jaunes, die „Gelbwesten“, im ganzen
Land Straßen, Tankstellen und Treibstoffdepots. Sie ärgert nicht nur, dass
die Benzin- und vor allem die Dieselpreise nach einer ersten Erhöhung der
Ökosteuer Anfang 2018 kräftig anstiegen sind.
Bisher ist die Regierung nicht von ihren Plänen abgerückt, die Ökosteuer
Anfang 2019 ein weiteres Mal anzuheben. Im Gegenteil. Während Tausende
Franzosen im ganz Land frierend ihren Unmut auf die Straße tragen, schweigt
ihr Präsident zu ihren Problemen. Und damit nicht genug. In der Zeitung
lesen sie, dass sich Macron in seiner Sommerresidenz einen neuen Pool gönnt
oder für Unsummen seinen Elysée-Palast renovieren lässt.
Bei den Gelbwesten hat sich Wut angestaut. [1][Am Wochenende] hat sie sich
im Herzen der französischen Hauptstadt entladen. Mehrere Geschäfte an der
luxuriösen Avenue Kleber wurden verwüstet und geplündert, zahlreiche Autos
und Motorräder verbrannt. Holzplatten, die Schaufenster schützen sollten,
dienten für Barrikaden und als Schilder gegen Polizeigranaten. Dabei geht
es den Demonstranten [2][längst nicht mehr allein um die Spritpreise].
Mitten auf dem Etoile-Platz steht stoisch ein junges Paar mit Spruchtafeln.
Sie fordern die Auflösung der Nationalversammlung sowie mehr Mitbestimmung
der Bürger. Auf die Frage, ob sie den Sturz der Regierung wollten,
antworten beide mit einem entschiedenen Ja. „Ich bin vielleicht etwas
weniger radikal als Aurélien“, meint Charline. Beide sind in Paris in
künstlerischen Berufen tätig.
Hier, auf den Champs-Elysées, hoffen die Demonstranten, können sie ihre
Forderungen durchsetzen und Macron eine empfindliche Niederlage zufügen.
„Dritter Akt: Macron kapituliert“ lautete der Facebook-Aufruf. Zehntausende
haben ihn geteilt. „Die Gelben Westen werden triumphieren“ hat jemand auf
den Triumphbogen geschmiert.
Ob sie Macron, der noch vom G20-Gipfel aus Argentinien jede Gewalt als
inakzeptabel zurückgewiesen hat, wirklich zum Einlenken bringen können,
darf bezweifelt werden. Klar ist nur: Der Protest der Unzufriedenen
radikalisiert sich. Ein paar Hundert Demonstranten haben Schutzmasken und
zum Teil auch Helme mitgebracht.
## Mehr als 300 Festnahmen
Nicht alle, die hier mit Pflastersteinen auf Polizeiautos werfen, tragen
die gelbe Warnweste. Wer sind sie? Provokateure, die letztlich mit ihrer
Gewalt eine Kundgebung verhindern oder diskreditieren wollen? Erfahrene
Aktivisten von linken oder ultrarechten Gruppe?
Die Behörden reden von „Casseurs“, die ausschließlich zum Randalieren und
Plündern kommen. In den ständigen Konfrontationen sind durchaus kleinere
Gruppen zu beobachten, die sich in Seitenstraßen formieren, um zum Angriff
überzugehen. Das zahlenmäßig starke Polizeiaufgebot scheint demgegenüber
ziemlich ohnmächtig.
Mehr als 300 Personen nimmt die Polizei am Samstag fest. Mehr als hundert
Personen wurden verletzt, davon zwanzig Polizisten. Der Sachschaden ist
enorm. Am Sonntag erwog die Regierung, den Ausnahmezustand zu verhängen.
Präsident Macron hat eine Krisensitzung einberufen. Polizeigewerkschaften
fordern sogar Unterstützung durch das Militär.
Auch in der Provinz, wo die Bewegung begann, kam es zu schweren
Zusammenstößen mit zahlreichen Verletzten. In Puy-en-Velay, mitten in der
ländlichen Auvergne, wurde das Gebäude der Präfektur in Brand gesteckt.
Gewaltsame Auseinandersetzungen wurden unter anderem aus Tours, Dijon,
Avignon, Toulouse und Marseille gemeldet.
## Macron in der Klemme
Den ganzen Tag über waren zudem mehrere Autobahnen oder deren Zufahrten von
Gelbwesten gesperrt. Trotz dieser Behinderungen und der Gewalt unterstützen
laut Umfragen mehr als 80 Prozent die Proteste. Droht Macron, der selber
mithilfe einer Bewegung ins Amt gespült wurde, nun von einer neuen aus dem
Amt gejagt zu werden?
Der Präsident sitzt in der Klemme, so viel ist klar. Für
Pseudokonzessionen, um die Leute zu besänftigen, oder nachträgliche
versöhnliche Phrasen dürfte es zu spät sein. Längst hat sich der Protest
auf Schüler und Studenten, Bauernverbände und Gewerkschaften ausgeweitet.
Die Forderungen der Bewegung gehen längst über das anfängliche Anliegen der
ab 1. Januar erneut steigenden Treibstoffabgaben hinaus.
So verlangen die Gelbwesten mittlerweile eine deutliche Erhöhung der
Mindestlöhne und -renten, eine bessere Integration der Immigranten, eine
Rückverstaatlichung der privatisierten Energiekonzerne, mehr Mittel für die
Polizei und die Justiz, nicht mehr als 25 Schüler pro Klasse, aber auch ein
Initiativ- und Referendumsrecht zur Schaffung einer direkten demokratischen
Mitsprache des Volks. Das tönt wie ein politisches Programm und hat für das
festgefahrene System in Frankreich die Sprengkraft einer politischen
Revolution.
## „Macron muss weg“
Mit einig wenig politischem Fingergespür hätte es nie zur heutigen
Kraftprobe kommen müssen. Noch zu Beginn des Konflikts hätte Macron die
Möglichkeit gehabt, die geplante Abgabenerhöhung auf Treibstoffe zu
verschieben oder für die am stärksten betroffenen Kategorien finanziell zu
kompensieren. Jetzt wollen die Gelbwesten mehr, und mit ihnen eine
solidarische Bevölkerungsmehrheit.
Vom Präsidenten aber fühlen sie sich wie undisziplinierte Kinder behandelt.
Noch in Buenos Aires drohte Macron, die Schuldigen der Ausschreitungen
würden identifiziert und bestraft. Von Selbstkritik keine Spur. „Macron
dégage“ ist überall an den Barrikaden der Gelbwesten zu lesen. Macron muss
weg.
Auch Jean-Paul Michel ist enttäuscht von Macron und der ganzen Regierung.
Er verstehe nicht, sagt der Gärtner mit geröteten Augen auf den
Champs-Elysées, warum die Regierung nicht auf die Bürger hört. „Als
kommunaler Angestellter spüre ich seit zehn Jahren die
Kaufkraftverminderung für die Beamten und öffentlichen Angestellten.“ Und
wenn es mal eine Teuerungszulage gebe, so Michel, dann betrage sie
lächerliche 0,1 Prozent.
Noch im Gehen sagt er: „Mein Sohn hat gerade erst seine Stelle verloren.
Seit Kurzem wohnt er wieder bei uns. Schöne Perspektiven sind das!“, sagt
der Mann zynisch.
2 Dec 2018
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
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